ÜK.
5' ß
Biegen des Holzes.
Vorwort
Einleitung
Erste Anwendungen des Holzbiegeus in der Industrie
Die Thonet’scheu Erstlingserfolge.
Das Biegen massiven Holzes bei der Fabrikation der
Thonet’scheu Möbel
Die Schablonen-Kopirdrehbank
Weitere Entwickelung und gegenwärtige Ausdehnung der
Thonet'sehen Fabrikation
Maschinen zum Biegen des Holzes ....
Biegmaschine von Richon, Lenoir und Petit
Biegmaschine von Davidson ....
Biegmaschine von Edwin Kilbnrn
Schlusswort
Das
/
} 7
/
e i n
für Möbel-, Wagen- und Schiffbauer wichtiges Verfahren.
Mit
besonderer Rücksichtnahme auf die Thonet’sche Industrie,
nach einem im k. k. österr. Museum für Kunst und Industrie
gehaltenen Vortrag
von
Dr. Wilhelm Franz Exner,
o. ö. Professor an der k. k. Hochschule für Bodenkultur in Wien, k. k, Regierungsrath.
Mit Holzschnitten im Text und zwei Figurentafeln.
Weimar, 18715
Bernhard Friedrich Voigt.
Vorwort.
Tn der technischen Journal-Literatur begegnete man in den
letzten drei Jahrzehnten ab und zu Vorschlägen, wie man bei
dem Biegen des Holzes zu verfahren habe, wie die dabei
verwendeten maschinellen Hülfsmittel einzurichten seien, und
dergleichen auf das Holzbiegen bezüglichem mehr.
Die wirklichen Erfolge, welche bei der praktischen An -
wendung der einschlägigen Erfindungen erzielt wurden, sind
in der Regel nur schüchtern angedeutet oder ganz übergangen.
Die Thonet’sche Fabrikation hingegen, welche einen so rie -
sigen Umfang angenommen hat, ist — obwohl sie ausschliess -
lich auf dem Biegen des Holzes beruht — noch nie sachge-
mäss geschildert worden. Es fehlt gänzlich an einer Dar -
stellung der Thonet’schen Methode, welche auch in anderen
Zweigen der Industrie — also auch ausserhalb des Möbel -
baues — nutzbar gemacht werden könnte.
Da ich zwei Fabriken Thonet’s eingehend zu besichtigen
Gelegenheit hatte, der gegenwärtige Chef der Firma, mein
verehrter Freund Herr Joseph Thonet mir alle gewünsch -
ten Daten zur Verfügung stellte und deren Veröffentlichung in
VI
der liberalsten Weise gestattete, so zögerte ich nicht, das von
mir angesammelte Material bekannt zu machen. Ich wählte
für meinen diesjährigen Museums-Vortrag das Thema, welches
den Inhalt dieser Schrift bildet. Die Aufnahme, welche mein
Vortrag bei Fachleuten fand, veranlasste mich nun, diesen
kleinen Beitrag zur Technologie des Holzes drucken zu
lassen*). Die befreundete Verlagsfirma bot zu einer Ver -
vollständigung meiner Besprechung durch Zeichnungen die
Hand, — und so übergebe ich denn diese anspruchslose Mono -
graphie der Oeffentlichkeit, in der Hoffnung, dass sie als erste
vollständige Zusammenstellung des Wissenswerthen über eine
Specialität hier und da willkommen geheissen werde.
W. F. Fxiier.
) Fiu 1 heil meines Vortrages erschien nach einer stenographi -
schen Aufnahme im österr. „Centralblatt für das gesammte Forst -
wesen“ 1876, 1. Heft (Faesy & Frick in Wien).
Einleitung.
Das konsequente, unermiidete Verfolgen einer Idee führt
zur genauen Erkeuntniss von den Schwierigkeiten, die sich
der Durchführung entgegenstellen. Nebensächlich scheinende
Umstände entwickeln sich vor dem Auge des Forschers als
wichtige, als maassgebeude Verhältnisse. Dagegen schrumpfen
Hindernisse der Verkörperung einer Absicht, welche gigan -
tisch, wie unüberwindlich in den Weg traten, zu ganz unter -
geordneten Velleitäten zusammen. Die Bekanntschaft mit allen
Details kräftigt und sichert das weitere Vorgehen und be -
wahrt vor planlosem Herumtappen. Nun mischt sich etwa
noch ein glücklicher Zufall hinein, der einen werthvollen Wink
giebt; äussere günstige Bedingungen treten hinzu und jene
Idee, die vorerst nur in dem Hirne eines einzelnen Menschen
laborirte, producirt nun Millionen von Werthen, ernährt Tau -
sende von Familien, umstaltet den Charakter von ganzen Land -
strichen und trägt bei zum Ruhme und zur Prosperität eines
Staates.
Je kürzer der Zeitraum ist, in welchem sich ein solcher
Process abspielt, vom ersten Gedanken bis zur That, von der
1 hat bis zu ihren Folgen, desto drastischer ist der Eindruck
auf den Beobachter, auf den Zeitgenossen. Widerspricht die
Idee den landläufigen und herkömmlichen Vorstellungen von
Exner, Biegen des Holzes. 1
2
dem Objekte der Arbeit, dann imponirt uns die Erscheinung "
umsomehr. Ist der Ausgangspunkt der Erfolge unser Vater-
land, der Schauplatz derselben aber die ganze Welt, dann ver- ^
leiht die edelste Art von Eigenliebe — die Vaterlandsliebe — •
dem ganzen Ereignisse eine Weihe, die eine gesteigerte Theil-
nalime begründet.
Ein hervorragendes Beispiel der Geschichte einer tech -
nischen Idee, ein Beispiel aus der Gegenwart, ein Beispiel,
das durch die Eigenart der damit zusammenhängenden Vor -
stellungen frappirt, ein Beispiel, welches der Patriotismus uns
werth macht, ist das Biegen des Holzes.
Was ist Biegsamkeit? Biegsamkeit ist die Eigenschaft
fester Substanzen von platten- oder stangenförmiger Gestalt,
durch äussere Kräfte nach einer Hauptdimension eine neue
Gestalt anzunehmen und in derselben zu verharren, auch wenn
die Kräfte zu wirken aufhören. Man krümmt ein ebenes Blech, ■-
indem man es zwischen drei Walzen durchlaufen lässt, die
eine entsprechende Stellung zu einander haben. Das Blech
bleibt krummflächig, wenn es die Walzen verlässt, — es ist
biegsam.
Im Widerspruch mit der Biegsamkeit steht die Eiasti-
cität. Giebt man einem Körper durch Kräfte eine neue Ge -
stalt und kehren die Körpertheilchen nach dem Aufhören der
Wirksamkeit jener Kräfte in die frühere Ruhelage zurück, so
spricht man diesen Körper als elastisch an.
Alle Körper sind bis zu einem gewissen Grade elastisch
und bis zu einem gewissen Grade biegsam. Wenn man ein
ebenes Blech nur sehr wenig krümmt und dann sich selbst
überlässt, so wird es wieder eben, — man hat die Elasti-
citätsgrenze nicht überschritten. Bei stärkeren Krümmungen
bleibt das Blech in der erhaltenen Gestalt, man hat die
Grenze der Elasticität passirt.
Man kann nun mit immer grösseren Zumuthungen an das
biegsame Material herantreten, man erreicht die Biegsam -
keitsgrenze, der Stoff geht in Stücke, erbricht. Er muss
biegen oder brechen. Die Biegsamkeit liegt also zwischen
zwei Grenzen, der Elasticitätsgrenze und der Biegsamkeits -
grenze; jenseits der ersteren ist das Material elastisch,
3
jenseits der letzteren wird die Festigkeit überwunden, liegt
die Zerstörung.
Wenn diese beiden Grenzen, innerhalb welchen die Bieg -
samkeit eines Rohstoffes liegt, recht weit von einander ent -
fernt sind, so ist dieser hochgradig biegsam, im entgegen -
gesetzten Falle besitzt er eine g er i n g e Biegsamkeit. Einige
Metalle besitzen eine enorme Biegsamkeit, so das Blei.
Das industrielle Verfahren des Biegens wird in der Re -
gel dort angezeigt erscheinen, wo man über eine hohe Bieg -
samkeit verfügt.
Das Holz hat im trockenen Zustande eine sehr geringe
Biegsamkeit. Es hat eine hohe Elastieität; ist jedoch die
Elasticitätsgrenze überschritten, so muss man auch schon den
Bruch gewärtigen, es hat ja eine geringe Festigkeit; die Bruch-
öder Biegsamkeitsgrenze liegt sehr nahe bei der Elasticitäts -
grenze. Das Holz ist also ein sehr wenig biegsames Material;
nimmt das Holz eine bleibende Biegung an, so ist sein Be -
stand gefährdet, weit mehr als dies beim Schmiedeeisen der
Fall ist.
Bei der Umformung des Rohstoffes Holz im Dienste der
Industrie schien es, als müsste man auf das rasche und wirk -
same Verfahren des Biegens verzichten. Immer und immer
wieder wurde man durch die Forderungen der Industrie auf
das Biegen des Holzes hingewiesen, und mit stets erneutem
Bedauern erprobte man die Abneigung dieses Stoffes gegen
eine derartige Bearbeitung. Man musste sich entweder mit
einer massigen Krümmung von höchst einfacher Art begnügen,
oder sehr dünne Lamellen anwenden, die man in ihrer ge -
krümmten Gestalt durch eigene Mittel festhielt — ein völlig
befriedigendes Ergebniss, ein nach jeder Richtung ausreichen -
des Verfahren konnte man erst nach einer langen Lernzeit
erfinden. Es ist eine Errungenschaft der Gegenwart.
Schon vor mehr als einem Jahrhundert wusste man, dass
gerades Holz — ein Stab oder eine Platte — sich krümme,
wenn man dasselbe auf der einen Seite erwärmt, also ihm
leuchtigkeit entzieht, während man es auf der andern Seite
benetzt, also ihm Feuchtigkeit zuführt. Davon machte man
1*
4
allerlei Anwendung auch in den Gewerben. Man krümmte
z, B. Stoekgriffe.
Holz zu krümmen, um es dann im gekrümmten Zustand
festzuhalten, wie beim Schiffbau, beim Brücken- und Hoch -
bau, im gespannten Rost, ist gleichfalls ein längst bekanntes
Konstruktionsmittel. Bei dieser Art von Biegen gelangt je -
doch das Holz nicht über die Elasticitätsgrenze, es ist hier
nicht eine dauernde, sondern eine vorübergehende Forrn-
verändernng erzielt, — also eigentlich kein technologischer
Vorgang eiugehalten.
Erste Anwendungen des Holzbiegens in der
Industrie.
Am Anfänge unseres Jahrhunderts wurden in Vorarlberg,
und zwar in Bregenz, durch den dortigen Wagner Melchior
Fink Radfelgen aus einem Stück Holz gebogen. Ich fand im
Archive des k. k. gemeinsamen Finanz-Ministeriums, welches
auch die Akten der einstigen Hofkammer enthalt, das Ge -
such Fink’s um ein Privilegium. Das Gesuch wurde im
Februar 1821 zustimmend auf Grund eines Gutachtens der
Professoren Arzberger und Prechtl, welche die Erfindung
als neu und wichtig bezeichneten, erledigt. Aus Bregenz er -
hielt ich die Nachricht, dass älteren Leuten der dortigen Ge -
gend die vortrefflichen Fink'sehen Radfelgen noch erinner -
lich sind. Der Wagenfabrikant Dl brich in Dornbirn erklärte,
selbst noch solche Räder reparirt zu haben, und vor wenigen
Jahren war noch ein Wagen mit solchen Rädern beim Hut -
ter in Thalbach nächst Bregenz in Verwendung. Fink über -
siedelte in den zwanziger Jahren nach Wien.
Die Erfindung Fink’s wurde unmittelbar nicht weiter ver -
folgt und hat für die Anwendung des Holzbiegens in der In -
dustrie keine unmittelbaren Konsequenzen*).
*) „Beiträge zur Geschichte der Gewerbe und Erfindungen Oester -
reichs“ von Prof, Dr. Wilhelm Franz Exner. Wien, 1873, I. Bd.
S. 402.
6
Im Jahre 1826 veröffentlichte das Dingler’sche polytech -
nische Journal (XXL Bd., S. 29) einen Artikel über das Bie -
gen des Holzes für Wagner-, Tischler-, Ziminermauns- und
andere Holzarbeiter nach der Methode des Isaak Sargent
eines Engländers. Nachdem die Manier krumme Holzkörper
aus dem geradfaserigen Materiale herauszuschneiden verurtheilt
worden, beschreibt unsere Quelle die in England befolgte
Methode des Biegens geradfaseriger Stäbe. Das Wesentliche
ist: Erweichen des Holzes in heissem Wasser oder Wasser -
dampf, Einpressen desselben in gekrümmte Model, Trocknen
im Schatten. Es wird mitgetheilt, dass vornehmlich Radfelgen
aus einem oder höchstens zwei Stücken Eschenholz sich be -
währten, dass Wägen mit solchen Rädern nicht so „rumpeln“
und „lärmen“ und die Pferde schonen. Es wird ferner gegen
das Biegen am Feuer polemisirt und endlich in Figuren und
Skizzen von Einspänner - Deichseln, Radfelgen etc. die Holz-
ersparniss und der Gewinn an Festigkeit beim Biegen gegen -
über dem Herausschneiden demonstrirt.
Auch in diesem Falle hat das Dingler’sche Journal seine
eminente Ortheilskraft bewährt. Es bringt die erste zusammen -
hängende, verständliche, richtige und werthvolle Darstellung
der Methode des Holzbiegens, es giebt die ersten Nachrich -
ten über die Erfolge des gebogenen Holzes im englischen
Wagenbaue.
Die Thon et’sehen Erstlingserfolge.
Der Möbeltischler Michael Thonet in Boppard am
Rhein (geboren am 2. Juli 1796), dessen Erzeugnisse sich in
der Rheinprovinz eines guten Rufes erfreuten, fing in den
dreissiger Jahren an, einzelne Möbelbestandtheile aus gekrümm -
ten und zusammengeleimten Fournieren herzustellen. In älte -
ren Gasthöfen und Privathäusern der Rheinprovinz findet man
heute noch Nachtkästchen von cyliudrischer Form, bei wel -
chen die MaJ^tlfläche aus gekrümmten dünnen Holzblättern
zusammeugeleimt erscheint. Die Kopftheile von Bettstellen
mit wulstartiger Bekrönung von ganz sonderbarer Form sind
auf dieselbe Weise gebaut. Diese Manier fand Beifall. Thonet
sali sich daher veranlasst, im Jahre 1837 Versuche in der
Herstellung ganzer Möbel, namentlich Stühlen, zu machen.
Man denke sich ein Paquet von Fournierstreifen gleicher
Breite zusamniengelegt. Dieses Paquet von Schienen oder La -
mellen wurde in flüssigen Leim gebracht und darin gekocht.
Hierauf wurde mittelst einer sehr einfachen mechanischen Vor -
richtung das aus der Leimpfaune genommene Paquet in jener
Weise gestaltet, gebogen, als es mit Rücksicht auf die zu -
künftige Bestimmung notbwendig erschien. Dabei musste sein-
schnell verfahren werden, damit der die Zwischenräume er -
füllende, auf den breiten Flächen der Lamelleu ausgebreitete
und auch das Holz selbst durchtränkende Leim nicht vorzeitig
erstarre. Der nun gekrümmte Möbeltheil blieb so lange durch
die Biegmaschine gefesselt, bis er völlig getrocknet war. Die
einzelnen Holzstreifen hatten und behielten allerdings die Ten -
denz, in ihre ebene Gestalt wieder znrückzukehreu, die Span-
nungskräfte, welche sie wieder gerade zu strecken bemüht
waren, wurden jedoch durch die Festigkeit des inzwischen
erhärteten Leimes aufgehoben. Der gekrümmte Möbeltheil
blieb nun in der ihm aufgenöthigteu Gestalt.
Je dünner die Lamellen waren, desto stärkere Krüm -
mungen konnte man ihnen zumuthen, desto mehr solcher La -
mellen waren aber für eine bestimmte Dicke des Möbelthei-
les erforderlich. Diese Methode gestattete jedoch nur Krüm -
mungen nach ebeuen Kurven, d. h. man konnte nur Möbel-
theile herstellen, welche auf eine ebene Fläche gelegt, diese
mit der Seitenkante ihrer ganzen Ausdehnung nach berühren
mussten *).
Da jeder einzelne Möbeltheil seiner Gestalt nach einer
Ebene angehörte, so war der Möbelbau bei der Wahl der For -
men sehr beengt. Sie hatten stets etwas Steifes, Geometri -
sches an sich. Der einzelne Thei 1 zeichnete sich durch Kühn -
heit der Krümmung, durch Schwäche der Breiten- und Dicken-
*) Ein nach dieser Methode angefertigter Stuhl aus dem Jahre 1839
war in der additioneilen Ausstellung der Wiener Weltausstellung
exponirt und befindet sich gegenwärtig im technologischen Museum
zu Mariabrunn.
8
Dimension, durch Leichtigkeit und Festigkeit, endlich durch
Dauerhaftigkeit in hohem Grade aus. Die ganzen Stühle,
Fauteuils, Kanapes machten daher nicht geringes Aufsehen.
Ja sie lenkten die Aufmerksamkeit von Männern auf Thonet,
deren Beruf von der Verfolgung des industriellen Fortschrittes
nach damaligen Begriffen ziemlich weit ablag. Den Mann von
Geschmack konnten diese Erzeugnisse frappiren, aber nicht
befriedigen. Auch Thonet erkannte in dieser Methode des
Biegens nur eine erste Stufe*).
Thonet versuchte ein breites gekrümmtes und getrockne -
tes Lamellenpaquet noch einmal zu zerschneiden, und zwar mit
ebenen Schnitten senkrecht auf die Breite der Fourniere und
dem früher geschilderten Verfahren nun neuerdings zu unter -
ziehen, so dass jetzt Krümmungen in einem neuen Sinne erzielt
wurden und doppelt gekrümmte, geschweifte Möbeltheile ent -
standen. Die ganze Procedur war nun folgende: Man denke sich
beispielsweise acht gerade, gleich breite Fournierstreifen zu -
sammengebunden, in Leim gekocht und dann S-föimig ge -
krümmt. Im getrockneten Zustande dieses S senkrecht auf
seine Dieken-Dimension, die Breite der Lamellen, in acht Blät -
ter zerschnitten, welche sammt und sonders eine dünne ebene
Fourniere von S-förmigen Contour dargestellt hätten. Jedes
dieser Blätter ist seiner ganzen Ausdehnung nach durch sieben
Leimfugen gestreift; es besteht ja jedes dieser S aus je einem
Abschnitt der acht ursprünglichen Lamellen.
Legte man nun diese acht S-förmigen zusammengesetzten
Blätter gebunden wieder in kochenden Leim und krümmte
man nun das Paquet neuerdings, so erhielt man einen Möbel-
theil nach einer Kurve zweiter Ordnung gekrümmt, d. h. einen
*) Schon diese erste Methode T h o n e t ’ s taud ihre Nacliahmei.
Iu den Brevets d’inv. T. 88. p. 16, findet sich die Abbildung eines
Stuhles, welcher eine intime, unverkennbare Verwandtschaft mit dem
Thonet'sehen Erzeugnisse dieser Periode hat. Der Text bestätigt
die Identität des Verfahrens mit dem obengeschilderten. Die Publi -
kation, welche mit vielfachen gewagten Behauptungen für das „Sy -
stem“ 'Propaganda macht, stammt von einem Rheinländer Meerten
aus dem Jahre 1841 her.
9
Möbeltheil, welcher, auf eine Tischplatte gelegt, diese nur
mehr in zwei oder höchstens einigen Punkten berühren konnte.
Dieser Versuch gelang nun zwar nach manchem Bemühen, er
liess aber an Komplicirtheit nichts zu wünschen übrig. Die
Möbel waren dauerhaft, gestatteten in der Konception der
Form eine freiere Bewegung, aber sie waren zu thener, um
sich einzubürgern. Diese zweite Stufe in der Entwickelung
des „gebogenen Holzes“ war inzwischen ein nützliches Ueber-
gangsglied.
Der Einfall lag nahe, die bandförmigen Fourniere sogleich,
also vor dem Leimen in so viele Streifen zu zerschneiden, dass
ein Theil gleiche Breite und Dicke hatte, so dass also lauter
Stäbchen von durchaus quadratischem Querschnitte entstanden.
Wenn nun nach dem früheren Beispiele acht Fournierbänder
durch sieben senkrecht auf die Breite geführte Schnitte in
64 Stäbchen von quadratischem Querschnitte zerthcilt wur -
den, so konnte man auch direkt aus einem parallelepipedischen
Stabe von 2 1 , , 2 Centim. Dicke und gleich grosser Breite durch
sieben Schnitte nach einer und sieben Schnitte von auf die
frühere senkrechter Lage 64 Stäbchen von einer Achtelseite
des Profiles erhalten und jetzt dieses Paquet von 64 Stäb -
chen in die Leimpfanne legen, kochen und nach dem Heraus -
nehmen in jeder beliebigen, keiner Beschränkung unterworfe -
nen Weise biegen und „schweifen“. Man erkennt, dass
diese Methode gegenüber der zweiten Stufe eine wesentliche
Vereinfachung des Verfahrens erzielte. Dieser dritten Stufe
der Entwickelung gehören aber auch weit bessere, unbefange -
ner erfundene Formen von Möbeln an.
Jedoch die Komplicirtheit auch dieser Technik stand einer
Verbilligung und damit einer weiteren Verbreitung der Pro -
dukte im Wege.
Thonet griff auf seine erste Methode des Biegens von
Schienenpaqueten zurück, überlegend, ob nicht auch mit die -
ser andere Krümmungen, als die nach ebenen Kurven, erzielt
werden könnten. Er fand, dass bei schraubenförmigem Drehen
oder bohrerartigen Windungen von Lamellen, also auch Lamel-
lenpaqueten allerlei Formen von Kurven im Raume erreicht
werden konnten.
10
Die Formenmodelle mussten sicli nun dieser Bedingung
akkoniodiren. Wurden nun diese ursprünglich vierkantigen
Paquete nach dem Biegen durch Raspeln auf runden Quer -
schnitt gebracht, so entschwand dein Auge des Beschauers
die schraubeuflächige Aussenbegreuzung, er erkannte nicht mehr
die Genesis der Form und vertraute nunmehr in die Sicher -
heit des Möbels und in dessen Beständigkeit.
Diese Vervollkommnung der ersten Stufe, welche man
nach dem Gesagten als die vierte Periode in der Ausbildung
der Fabrikation von Möbeltheilen erkennen wird, verschaffte
der Thonet’schen Industrie einen bemerk'enswerthen Auf -
schwung. Die grössere Einfachheit des Verfahrens und die
Gefälligkeit der Form, welche auch mehr vertraueneiuflössend
aussah, gaben diesem neuen Erzeugniss rasch eine gewisse
Berühmtheit. Die erste Weltausstellung, jene zu London 1851,
machte die Wiener Stühle wie mit Einem Schlage bekannt.
Die Familie Thonet, Michael Thonet und seine fünf
Söhne, konnten an einen eigentlich fabrik'smässigen Betrieb
denken, der sich in dem Wiener Geschäfte rasch entwickelte.
Thonet’s Möbel der ersten Stufe waren nämlich dem öster -
reichischen Staatskanzler Fürst Metternich, dem Besitzer
von Johannisberg am Rhein, zufällig in Rolandseck zu Gesicht
gekommen und veraulassten diesen weitausblickenden Mann,
im Gedanken an die österreichischen Holzvorräthe, Thonet
zur Uebersiedlung nach Oesterreich zu auimiren. Thonet
folgte, obwohl zögernd, dieser Einladung, verliess geordnete
häusliche und geschäftliche Verhältnisse, um bittere Erfah -
rungen über die Dauerhaftigkeit fürstlicher Zusagen zu er -
werben. •— Thonet Hess indessen von der weiteren Ausbil -
dung seiner Idee nicht ab. Er wirkte mit Lei stier und
List bei der Ausstattung des Liechteustein’schen Schlosses
rief endlich seine Söhne herein und etablirte wieder ein Möbel -
geschäft, nachdem die für den Fürsten Liechtenstein ge -
lieferten Einrichtungsstücke ihn zu neuen Anstrengungen be -
feuerten.
In Boppard begonnene Versuche wurden wiederholt, neue
unternommen, und so gelangten die sechs Thonet’s unter
ihren eigenen Händen zu der letztbeschriebenen Methode des
schraubenflächigen Windens von Fournierpaqneten.
Stühle nach dieser Manier angefertigt sind nicht nur heute
noch unzerstört, sowie die iru Jahre 1857 gelieferte Einrich -
tung des Cafe Daum in Wien noch in Verwendung steht, —
sondern auch die Methode überhaupt ist eine gegenwärtig noch
in mancher Fabrik geübte. Namentlich kleinere Werkstätten
verfertigen Stühle in dieser Weise mit gutem Erfolge.
So lange die so erzeugten Möbel in trockenen Räumen
verblieben, der hygroskopische Leim also keine Gelegenheit
hatte, Wasser anzuziehen, seine JBiudekraft einznbüssen und
die Schienen, welche den Körper der Möbel bilden, freizu -
geben, — so lange waren die Möbel fest und dauerhaft.
Den Seetransport vertrug jedoch das Thouet’sche Erzeug-
niss nicht, — und doch war es schon ein Exportartikel
geworden und sollte zu Schiff verfrachtet werden. Anderer -
seits suchte man der Vereinfachung der Arbeit halber eine
möglichst kleine Zahl von Schienen oder Fournierbänden
für einen Möbelbestandtheil zu venvenden. Die Schienen
mussten in eben demselben Verhältniss dicker gemacht wer -
den, als man ihre Zahl verringerte. Wendete man statt acht
Lamellen deren nur vier an, so mussten letztere doppelt
so stark gemacht werden. In der That ging mau bis auf
drei und sogar zwei Stück, begegnete aber dann um so
grösseren Schwierigkeiten beim Biegen. Starke Krümmungen
gestatteten diese dickeren Schienen nicht.
Die Unmöglichkeit, Möbel, welche nach der in Rede
stehenden vierten Stufe der Entwickelung des ,,Holzbiegens“
gebildet wurden, der Feuchtigkeit auszusetzen, andererseits
aber der Wunsch, das Verfahren möglichst zu vereinfachen,
wiesen immer und stets wieder auf das Biegen massiver
Holzstücke hin.
Das Biegen massiven Holzes Hei der Fabrikation der
Thonet’schen Möbel.
Das Biegen von Kombinationen dünner Schienen oder Stäbe
hatte die möglichste Vollkommenheit erreicht, — nun schien
12
ein weiterer Fortschritt ausgeschlossen, man stand vor einem
unlösbaren Problem. Sobald die Schiene oder Stange eine ge -
wisse Dicke erlangt, bricht sie beim Biegen auf der Aussen-
oder Konvexseite der Krümmung.
Bei dem Biegen eines Körpers bleibt nur eine Faser -
schichte in ihrer ursprünglichen Länge. Diese, die sogenannte
„neutrale“ Schicht, liegt bei symmetrisch gestalteten Körpern,
Stäben, Platten, Walzen in der Mitte der Dicke. Alle über
der neutralen Schicht und alle unter ihr liegenden Fasern
werden entweder gestreckt, ausgedehnt, verlängert, oder ge -
staut, zusammengedrückt, verkürzt, und zwar werden die
gegen die konvexe oder erhabene Seite der Krümmung zu
liegenden verlängert, die gegen die konkave oder hohle Seite
zu situirten Fasern verkürzt.
Die an der Oberfläche des Körpers, sei es nun auf der
konvexen oder konkaven Seite befindlichen Fasern werden am
meisten gespannt, gestreckt, beziehungsweise gestaut. Die
Gefahr des Bruches ist also an der Oberfläche am grössten,
und in der That beginnt fast immer das Zersplittern des Hol -
zes an einer der Oberflächen. Der gewöhnliche Fall ist der,
dass dieses Zersplittern an der konvexen Oberfläche eintritt
und sich von hier in das Innere fortsetzt. Die gestauten
Theile des Holzes dagegen bleiben zumeist intakt. Diese Er -
scheinung konnte Thonet, welcher mit seinen Söhnen ge -
meinschaftlich in der Werkstätte arbeitete und das Biegen deT
* Holztheile hinter verschlossenen Tlniren besorgte, während
nur die accessorischen und Vollendungsarbeiten gedungenen
Handwerkern anvertraut wurden, nicht entgehen. Sein Streben
musste demnach darauf gerichtet sein, die Streckung der!a-
sern oder doch deren Folgen in irgend einer Weise zu ver -
hindern. Jahrelange Bemühungen und Versuche der verschie -
densten Art hatten dieses eine Ziel.
Man war sich klar, dass in dem Momente, in welchem
es gelang, das Splittern des Holzes an der konvexen Seite
der Biegung mit Sicherheit hintanzuhalten, auch ein völli b ei
Umschwung in der ganzen Industrie eintreten müsse.
Man glaubte dieses ersehnte Ziel durch die dem Biegen
vorangehende Behandlung zu erreichen. Gewiss ist eine solche
13
mmmmm
Vorbereitung, die früher durch das Kochen in Leim gegeben
war, beim Holze, welches nicht mehr grün, sondern trocken
war, — unerlässlich. Es war längst bekannt, dass Einweichen
in kaltem Wasser, Kochen im Wasser, aber noch viel mehr
stundenlanges Behandeln des Holzes mit Dampf das Holz
biegsamer mache. Alle diese Vorbereitungen, denen die
Holzsubstanz unterzogen wurden, reichten jedoch nicht aus,
jene starken Krümmungen in massiven Hölzern zu erreichen,
welche man bei den Fournierpaqueten schon zu Stande ge -
bracht hatte. Die einheimischen Harthölzer, und doch konn -
ten nur diese in Betracht kommen, widersetzten sich nach
jeder wie immer gearteten substanziellen Vorbereitung dem
Biegen und barsten gewöhnlich auf der konvexen Seite. Es
musste also noch ein anderes Mittel gefunden w'erden, damit
das Holz das Biegen überstelle.
Die bedeutungsvollste Phase in der Geschichte dieser In -
dustrie trat ein. Thonet wendete folgendes Mittel an: Auf
diejenige Fläche des noch ungebogenen, also geraden Stabes,
welche nach dem Biegen die konvexe Seite bilden sollte, wurde
ein Streifen aus Eisenblech gelegt und au mehreren Stellen,
gewiss aber an beides Enden durch Schraubenzwingen in un -
verrückbare, feste Verbindung mit dem Stabe gebracht. Wurde
derselbe nun gebogen, so konnte sich der mit dem Blech -
streifen verbundene Theil des Holzes nicht mehr strecken, als
dieser selbst, also nur um eine verschwindend kleine Grösse
verlängern. Damit aber eine Biegung überhaupt eintreten
könne, musste sich der gesammte Holzkörper stauen, und
dies umsomehr, je weiter er vom Blechstreifen entfernt, d. h.
je näher er zum konkaven Theile der Oberfläche gelegen war.
Das Naturgesetz von der Lage der neutralen Schicht im
Innern der Körper, präcis von der Schwerpunktslage der neu -
tralen Schicht*) wurde aufgehoben und die neutrale Schicht
an die konvexe Oberfläche verlegt. Es gab ferner nicht mehr
einen ausgestreckten und einen gestauten Holztheil, die Blech-
*) Die neutrale Schicht geht durch den Schwerpunkt des Quer -
schnittes.
14
streifen in seiner unverrückbaren Verbindung mit dem Stabe
zwang das gesamrate Holz sich zusammenzudrücken.
Sollte das Holz doppelt, S-förmig gekrümmt werden,
so kamen zwei Blechstreifen zur Anwendung, der eine für
die Konvexität der oberen Krümmung, der zweite auf der ent -
gegengesetzten Seite des Stabes für die untere Konvexität.
Jede Ausbuchtung musste mit Blech gepanzert werden*).
In der Anwendung des eben beschriebenen Verfahrens
ei kennt man den Gipfelpunkt der technischen Leistungen
Thonet’s, die Hauptschwierigkeit war durch einen Eiseu-
streifen gebannt.
Es braucht nicht gesagt zu werden, dass sich diese Er -
findung, welche mehr oder minder gleichzeitig auch von An -
deren angedeutet worden war, vollkommen bewährte. In ihr
lag der Keim für alle weiteren Erfolge, — Thonet verstand
es nun massiv zu biegen, nach jeder beliebig kombiuirteu
Krümmung.
Die Anlage einer Fabrik in der gut bevölkerten und holz -
reichen Gegend von Koritzschan in Mähren im Jahre 1856,
eröffnet 1857, war der nächste Schritt. Die Hauptaufgabe, das
Biegen, schien gelöst. Das Holz gestattet aber selbstver -
ständlich die Anwendung der Methode nur dann in vorzüg -
lichem Grade, wenn es vorher eine Zeit lang, je nach der Grösse
des Stückes, C — 24 Stunden gedämpft wurde. Die zweck -
mässige Anlage des Dampfapparates, welcher die bisherige
Leimpfanne bezüglich des Kochens zu ersetzen hatte, musste
erst durch vielfaches Probiren gefunden werden. Eine ge -
steigerte Produktion setzte voraus, dass die einzelnen Möbel-
theile vor dem Biegen ihre zukünftige Profilirung erhielten.
Die Drehbänke, von Maschinenkraft getrieben, sollten auto -
matisch die ab- und zunehmende Stärke der Holztheile liefern.
So wurden nach und nach automatische oder Schablonen-
Drehbänke eigener Konstruktion ersonnen. Jedes einzelne Detail
*) In neuerer Zeit lernte man bei geschickter Anwendung auch
nur eines Blechstreifens seihen so zu legen und zu befestigen, dass
bei allen Krümmungen eines Möbeltheiles, die metalleue Schiene, die
konvexen Theile des Holzes fesselt.
15
in der Stulilfabrikation, musste soweit als möglich, Maschinen
überantwortet werden, so das Abdrehen der Zapfen, mit wel -
chen die Stuhlbeine in den Sitzring versenkt werden, so das
Ausbohren des korrespondirenden Zapfenloches.
Die endlose Fügung des Sitzringes erlitt mannigfache Ab -
änderungen, bis die heutige Anordnung gefunden wurde, welche
mit Hülfe einer Bandsäge hergestellt wird. Das Ausfräsen
der Stelle, wo sich die Lehne in den Sitzring einlegt und
dergl. in. erheischten ihre eigenen maschinellen Einrichtungen,
da sogar die Werkzeuge des Tischlers erlitten im Hinblicke
auf ihre stets wiederkehrende Anwendung Modifikationen, so
z. B. der Schraubenschlüssel der zum Anziehen der Schrauben -
muttern im Innern des Sitzringes dient.
Und nun erst die zahllosen Verbesserungen in den Normal -
formen der Stühle und sonstigen Möbel, der Wunsch neue
Formen auf den Markt zu bringen, die Thoilung der Arbeit
und die Schulung der bäuerlichen Bevölkerung in der Hand -
arbeit, — alles dies musste von den Mitgliedern der Familie
Thonet vollbracht werden, bevor die neue Industrie auf dem
fabriksmässigeu Fusse stand. Dann erst konnte an Massen -
produktion und Export gedacht werden.
Es wird jetzt am Platze sein, das ganze Verfahren bei
. ^ el Erzeugung eines Möbeltheiles im Zusammenhang zu
schildern.
Das billigste und zu dem Thon et’sehen Verfahren sela-
geeignete Hartholz ist das der Roth buche. Dieses wird nach
hundertfältigen Experimenten mit anderem Materiale heute
als der ausschliesslich verwendete Rohstoff für Möbel aus
gebogenem Holze auzusehen sein.
Ein geradwüchsiger, astfreier Rothbuchen-Stammabschnitt
wird auf seiner Hirnfläche so in Quadrate eingetheilt, dass er
eine möglichst grosse Zahl quadratischer Stäbe von entspre -
chender Starke liefert. Diese werden auf einer Maschinen -
säge herausgeschnitten.
Der Stab kommt nun auf die Drehbank, welche ihn ent -
weder in durchaus gleicher Stärke oder in ab- und zuneh -
mender Dicke herausbildet.
16
Die Firma Thonet bemühte sieh eine möglichst einfache
und doch zweckentsprechende Konstruktion einer Schablonen-
Drehbauk zu erbauen, welche ohne Zuhilfenahme einer Werk -
zeug-Maschinenfabrik zu Staude gebracht werden könnte. Dies
gelang auch vollständig. Thonet nahm sogar 1868 ein öster -
reichisches Patent auf seine Drehbank, welche sich jedoch
von den Schablonen-Drehbänken wesentlich durch nichts unter -
scheidet. Man Hess auch später das Patent fallen.
Es kann nicht behauptet werden, dass die Technik der
Werkzeugmaschinen durch die primitive Thonet’sehe Dreh -
bank eine werthvolle Bereicherung erfahren hätte. Im Gegen-
theile Hesse sich leicht eine Kritik an der Maschine üben,
die ihr im Vergleiche mit der Whitney'scheu Drehbank z. B.
nicht zum Vortheile gereichen würde. Wenn man aber vor-
urtheilsfrei die Aufgabe dieser Maschine ins Auge fasst und
bedenkt, dass es sich nur um eine vorläufige rohe Ausfor -
mung handelt, dass die Maschine womöglich in den eigenen
Werkstätten der Tho ne t ’ sehen Fabrik also unabhängig von
den professionellen Maschinenbauern hergestellt und billig sein
sollte, wenn mau anderseits erwägt, dass sie zu voller Zufrieden -
heit des Herrn Thonet fungirend jahraus jahrein hundert -
tausende von Möbelstücken zurichtet und vielfache Nachah -
mung gefunden hat, so verdient sie wohl — in der technischen
Literatur aufbewahrt zu werden. Schon um des historischen
Werthes willen gebe ich eine möglichst wortgetreue Kopie,
der im österr. Privilegien - Archive hinterliegenden Beschrei -
bung der Maschine.
Die Schablonen-Kopirdrehbank der Gebrüder Thonet,
privilegirt im Jahre 1868.
(Taf. I, Fig. 1 und 2.)
Die abzudrehenden vierkantigen Stäbe werden mit der
Hirnfläche des einen Endes auf den Zwirl der in dem Schlit -
ten a eingelagerteu Spindel b aufgetrieben. Andererseits wer -
den die Holzstücke durch eine quadratische Oeffnung der
Riemenscheibenwelle c hindurchgesteckt und soweit'vorgescho-
ben, dass sie bis zur Schneideöffnung des Messerhalters d ge-
17
laugeu. Die Riemenscheibe erhält ihre rotirende Bewegung
von dem Motor oder einer Transmissionswelle, in fester Ver -
bindung mit )' ist q und vou hier aus wird die Rotation mit -
telst Riementriebes auf c übertragen. Die Scheibe c ihrerseits
zwingt den eingespannten Stab sich um seine geometrische
Achse zu drehen.
Wird der Stift e gesenkt, so dass er in eine Oeffnung
des endlosen Riemens m eintritt, — dieser über die Rollen
v und t laufende Riemen hat seiner ganzen Länge nach in
kleinen Abständen solche Löcher — so wird der ganze Schlit -
ten a mit ihm die Spindel b und das Arbeitsstück von links
nach rechts vorgeschoben.
Die Triebscheibe v steckt auf einer gemeinschaftlichen
Achse mit f und diese erhält ihre Bewegung von s, bezieh -
ungsweise vou h, die letztere von dem Motor!
Durch die Verschiebung des Schlittens a wird der in Ro -
tation begriffene Holzstab gezwungen die runde Schneidöffuuug
d und hierauf das im beweglichen Docken <j befindliche Messer i
zu passireu.
Die Laufdocke g wird durch die Schablonen nko so
verschoben, dass das Messer dabei den Weg nko zurück -
legend die gewünschte Form des Holzstabes herstellt, während
dmser einerseits durch den Zwirl, andererseits durch die
Rohre vou c und endlich durch die von dem Querstücke m
getragene Spitze l festgehalten wird. Dieses Querstück m
bildet mit den beiden Führungsleisten oder Schablonen nko
ein Ganzes und wird so weit vorgeschoben, dass beim Be -
ginne der Arbeit, wenn der Holzstab eben durch die Oeffnung
bei z austritt, derselbe von dem Stifte l in Empfang geuorn-
eu Wiid. Dei Holzstab schiebt, während er von a vorwärts
getrieben wir d durch l und m die Schablonen vor sich her
und zwingt dadurch die Docke g mit ihrem Messer in dem -
selben Maasse in einer auf die Achse des Holzstabes senkrech -
ten Richtung vor- oder zurückzutreten, als es die zur Führung
der Docke dienenden Schablonen durch ihre Gestalt verschrei-
em u gleichem Maasse wird das Holz dünner oder dicker
gedrechselt. In den Figuren ist als Beispiel eine derartige
Gestalt der Schablonen gewählt, welche zum Drehen eines
Fxner, Biegen des Holzes. 2
Stuhlbeines — Detail p — dienen können. Von den beider Schab -
lonen hat die eine stets die Gestalt des Meridians jener Ro -
tationsfläche, welche dem Arbeitsstück verliehen werden soll,
— die andere Schablone ist nach dem negativen Bild der
ersteren Schablone geformt. Es ist selbstverständlich, dass
für jede Art von Möbeltheil bestimmte Schablonen vorhanden
sein müssen.
In einem andern Detail ist in U die vertikale Projektion
des Holzstabes (von quadratischem Querschnitt) vor dem Ab -
drehen dargestellt.
Die Einrichtung der Messerdocke entspricht jener, wie
sie bei ähnlichen automatischen Maschinen schon vielfach
angewendet worden ist.
Wie schon weiter oben angedentet wurde, funktionirt die
Maschine — als Schruppdrehbank ganz vortrefflich. Die
starken Vibrationen, welche trotz der Führung in c nicht
gänzlich bei dem Arbeitsstücke vermieden werden können,
verursachen untergeordnete Ungenauigkeiten beim Abdreheu;
— untergeordnet selbst bei den langen Stuhllehnen deshalb,
weil die nachfolgende Bearbeitung der Möbeltheile durch Ra -
spel, Feile und Glaspapier alle diese kleineren Gebrechen ver -
schwinden macht.
Der abgedrehte Stab wird in den Dampfraum gebracht
und längere Zeit der Wirkung nassen Wasserdampfes aus -
gesetzt.
Aus dem Dampfraum genommen, die Blechschienen aul-
geschraubt, entweder mit oder ohne Zuhilfenahme von Maschi -
nen gebogen und in eine gusseiserne Form eingelegt, das
muss das Werk weniger Augenblicke sein.
Die Form entspricht selbstverständlich der Gestalt des
Möbeltheiles und ist von einer halb aufgeschnittenen Röhre
oder dicken Schiene aus Gusseisen hergestellt.
Die Figuren a, lt und c sind dazu bestimmt eine Form
für die Rück leb ne dem grössten und heikelsten Theile des
Sessels zu versinnlichen.
a ist die gusseiserne aus einem Stücke bestehende guss -
eiserne Form mit den Querstreben c.
19
h bezeichnet den abgedrehten und gedämpften in die Form
eingelegten Holzstab von kreisförmigem Querschnitt, Kig. c,
weicheren den konvexen Theilen seiner Oberfläche mit dem
Blechstreifen b armirt ist. Durch Schranbenzwingen z und
Holzkeile ist der Holzstab mit der Form einerseits und dem
Blechstreifen andererseits in unverrückbare Verbindung ge -
bracht.
Eig.a Figb
— 20 —
wichtige Aufgabe haben, zu dienen bestimmt sind. Dort stützt
sich die Schraube s mit dem Ende ihrer Spindel auf die Hirn-
flache des Holzendes. Durch Drehen der Schraube nach rechts
durch „Anziehen“ wird der eiserne Schuh oder die Hülse nach
abwärts gezogen und dadurch der Keil, der seine dickere Seite
nach oben zu liegen hat, um so stärkerzwischen dem Ring r
geklemmt, beziehungsweise das Holz um so intensiver in die
Formhöhlung gedrückt. Die Anordnung dieser Klemmschrau -
ben, Schraubeuzwingen und verkeilten Bänder treten übrigens
21
in den mannigfaltigsten Gestalten und Anordnungen auf, je
nach der Form der zu verbindenden Theile, je nach den zu
überwindenden Spannungen etc. etc.
Die Figuren d und e veranschaulichen eine aus mehreren
Theilen bestehende Form in der Seitenansicht und im Profil
nach der Schnittebene m n.
A ist ein durch die Rippe r verstärkter Rahmen, welcher
durch mehrere Querstreben versteift in einem Stücke Gusseisen
hergestellt wird. Dieser Rahmen bildet den massiven Haupttheil
der Form, auf welchem die vier Theile a aufgebaut werden, a ist
halb so dick als die obere Auflagerungsfläche von A breit ist.
Ebenso gross ist aber die Dicke des Holzstabes ohne Blech -
schiene. In der Figur e ist zu sehen, dass durch A und a
ein rechter Kantenwinkel gebildet wird, in welchen man die
Holzschiene sammt Blecharmatur einlagert und festklemmt.
Aufbauen der Form und Biegen des Holzstückes findet sue-
cessive statt and zwar beginnt man bei a I. Dort wird der
jetzt noch gerade mit dem Blechstreifen b fest verbundene
Stab mit seinem verjüngten Ende eingelegt und bis I gebogen,
nun wird der Theil a II auf dem Rahmen befestigt und hier -
auf mit dem Biegen fortgefahren bis über II hinaus, daun
wird der Theil a III aufgesetzt, Holzstab sammt Blechschiene
an denselben angelegt, endlich a IV moutirt und hierauf das
Ende vom Holz und Blechstreifen durch die Schraubenklemme s
mit Keil k unverrückbar befestigt.
Die in die Formen eingezwängten Möbeltheile werden
künstlich getrocknet. Man bringt sie, ohne sie von der Form
freizumachen, in einen Darrraum, wo sie in auf 40° C. ervyärm-
ter Duft einen Tag und länger belassen werden.
Ist die Trocknung beendet, so können die Möbeltheile
ans der Form genommen und von ihrem Blechpanzer befreit
werden.
Nun wird die weitere Vollendung durch Bearbeiten mit
Raspel, Feile, Ziehklinge und Glaspapier, durch Zusammen -
fügen mit anderen Theilen, endlich durch das Beizen und Po-
liren vorgenommen. Die letzteren Proceduren greifen nach
Bedarf vielfach in einander.
22
Aus dieser Schilderung der Behandlung eines Theiles, der
wohl oO Hände und mehrere Maschinen passirt, erhellt,'dass
doch das Anlegen des Blechkürasses das Wesentlichste für das
Gelingen des Biegens ist und bleibt. Der erweichende und
mildernde Einfluss, die Verbesserung des Holzes durch Däm -
pfen etc. waren längst vordem bekannt*).
Weitere Entwicklung und gegenwärtige Ausdehnung
der Thonet’schen Fabrikation.
Die Wiener Werkstätte musste während und auch einige
Zeit nach der Erbauung der Koritzschaner Fabrik und Dril -
lung des dortigen Arbeiter-Materiales fortbestehen. In Koritz-
schau hingegen absorbirte die Fabrik bald alle arbeitsfähige
Bevölkerung.
Der Bauer lenkt sein Gespann in den Wald, um Holz
zu holen, das Weib und die Kinder hatten Raspeln, Rohrflech -
ten und Beizen, sowie Policen gelernt. Ursprünglich war alle
Arbeit auf die Fabrik koncentrirt, später wurde der Fabriks -
arbeiterin, wenn sie heirathete, die von ihr bisher in der
habrik gemachte Arbeit in ihrem Hause zu vollbringen ge-
stattet. Die Kinder schleppen aus der Fabrik dem Hause die
*) Man könnte glauben das Holz leide in seiner Qualität durch
. ' (lleses Verfahren, dem ist aber nicht so. Der Koefflcient der rück -
wirkenden Festigkeit (die Inanspruchnahme der Stuhlbeine ressortirt
m diesen ball), ist nach von mir angestellten Versuchen 6 Kilogrm '
während bei künstlich getrocknetem Rothbuchenholz bester Sorte aus
dem Wiener Walde ein durchschnittlicher Werth von nur 5 8 Kilo
gefunden wurde.
1 olgendes Datum dürfte auch interessiren, es giebt Aufschluss
über die Festigkeit einer Stuhllehne. 800 Millim. lange Fragmente
des am stärksten gebogenen und dünnsten obersten Stückes der Lehne
wurden durch 1510 Kilogrm. geknickt, während zum Zerdrücken eines
Fragmentes von der dicksten und wenig gebogenen Stelle eine Kraft
von 6240 Kilo erfordert wurde. Zur Zerstörung der Bestaudtheile
eines solchen Stuhles sind also sehr namhafte Kräfte erforderlich.
Die Eifahrung bestätigt dies. Die einzelnen Bestandteile sind un -
verwüstlich. Die Verbindungen, Schrauben etc. lösen sich, der rohr -
geflochtene Sitz geht zu Grunde, die Holztheile aber sind geradezu
von unbeschränkter Dauer.
— 23
Materialien zu und liefern die ausgeführten Stucke ab. So
entwickelte sich aus der Fabriks- eine Hausind as tri e. Die
Grenzen der Fabrik erweiterten sich und umschlossen bald
auch die umliegenden Dörfer. Die heimische Bevölkerung ge -
nügte nicht mehr. Arbeiter mussten aus der Ferne herange -
zogen und in neuerbauten Cottages untergebracht und ange -
siedelt werden. Die Koritzschaner Möbelfabrik war die Ver -
anlassung der Entstehung einer zweiten Fabrik, welche die
Stuhlrohre zu spalten und die Abfälle zu verwertheu hat
(Johann Platzer). Schlosser und andere Professiouisten
kamen herbei und fanden lohnenden Erwerb. Eine Fabriks -
schule wurde eröffnet. Ueberall entwickelte sich Wohlstand
und Stabilität in den Erwerbsverhältnissen. Eine glücklichere
Combination von Haus- und Fabriksihdustrie kann kaum ge -
dacht werden.
Die Koritzschaner Fabrik mit ihren Filialen konnte dem
Begehr nach Möbeln aus gebogenem Holze nicht mehr genügen.
1860 wurde eine Fabrik in Bistritz, 1805 eine solche in
Gross-Ugrocz in Ober-Ungarn, 1867 eine weitere in Hallenkau
in Mähren und 1871 ein viertes Etablissement in Wsetin in
Mähren errichtet. Derselbe Entwickelungsgang wie in Koritz-
schan spielte sich allenthalben ab, — mit mehr oder weniger
Schwierigkeiten. In Ugrocz waren die grössten Anstrengungen
nothwendig, um die wenig arbeitsame und wenig talentirte
Bevölkerung heranzuziehen und zu erziehen. Dort ist die
Fabriksschule, welche auch land- und forstwirthschaftlichen
Unterricht vermittelt, mehr als irgendwo ein Pionnier der
Civilisation und des Wohlstandes.
Die Firma Thonet beschäftigt gegenwärtig 4500 Arbeiter,
welche mit Hülfe der Elementarkraft von 10 Dampfmaschinen
mit zusammen 260 Maschiuen-Pferdestärken und 280 lebenden
Pferden eine Produktion von täglich 2000 Möbelstücken (1750
Stühle und 250 andere Möbel) bewerkstelligen.
Au Woehenlohn bezieht eine Arbeiterin durchschnittlich
5 Fl. ö. W. (= 10 Mark.) Die Fabriken beschäftigen aber
vorzugsweise weibliche Arbeiter, die Männer sind in der
Minderzahl. Der Wochenlohn beläuft sich demnach auf nahezu
25000 Fl. (— 50000 Mark.)
24
w . p ' p TIl °" et setzt d,,rch ihre eigenen Niederlagen
d-inB Brunn Pans, London, Berlin, Hamburg, Amster-
dam ’ B, ' USSeI > New-York und Chicago, sowie durch ihre Kom -
missionäre, die Produkte ihrer Fabriken in der ganzen Welt
a J. Hauptkonsumenten sind Russland, Deutschland, Südamerika
und da besonders Brasilien, Frankreich, Holland, Belgien und
die Schweiz.
Seit Gründung der Fabriksfirma Gebrüder Thonet im
* V M K iT d6n b ' S Znm Jabr 1871 im S anzea 4,181,779
Stuck Möbel, davon 3,572,095 Stühle producirt, zwei Drittheile
davon wurden exportirt, ein Drittel in Oesterreich verkauft
Redest , 1St / rkIä ; B ? h ’ dass ei » Industriezweig, wie der 'in
i de stehende, auf die Dauer von den Schöpfern dieser Branche
nicht monopolisirt werden konnte. Nachahmer tauchten an
sehr vielen Orten auf. So ein Möbelfabrikant in Wien wel -
cher bis heute die Methode des Biegens von Holz in Schie -
nen (4. Stufe) exekutirt. In Troppau, Niemes, Oberleutens-
doif, Gorz und Teschen entstanden Werkstätten, in denen
massiv gebogene Möbel nach dem letzten Thonet’sehen
Verfahren fabricirt werden. In Rabenau, Kassel, Oderfeld
Hamburg und München, in Altsohl und Stuhlweissenburg in
Cormon-s und in neuester Zeit dem Vernehmen auch in Spa -
nien sind Konkurrenten anfgetaucht, - der vielen gescheiterten
\ ersuche, derartige Etablissements in Russland und in andern
Landern ins Leben zu rufen, gar nicht zu gedenken.
Der Rohstoff für die Möbel aus gebogenem Holze ist, wie
bereits weiter oben hervorgehoben wurde, das Rothbuchen-
holz. Doch nur gesunde, geradwüchsige nnd astreine Stamm-
abschnitte von 1,50, 1,80, 2,25 und 3,60 Meter Länge sind
brauchbar.
Von derartigem Holze liefert ein reiner' Buchenbestand
ein Durchschnitts-Ergebniss von 4000 Kubikfuss oder 40 Nor -
mal klaftern , d. i. 10 Procent des Gesammt - Ergebnisses pro
100 Normalklafter von einem österreichischen Joch bei kah -
lem Abtrieb.
Da ein Stuhl 45 /ioo Knbikrn. Holz konsumirt, so verbraucht
eine Anzahl von 600,000 Stück Möbel, - die Jahresproduk -
tion dei Thonet sehen I< abriken — nahezu eine Million
kshbshhh
— 25 —
Kubikfuss (30,000 Kubikrn.). Mit anderen Worten die Thonet’-
sehe Fabrikation konsumirt ein bisher fast ausschliesslich nur
als Brennstoff verwendetes Waldprodukt in einem Quantum,
das alljährlich den Abtrieb von 250 Jochen (143 Hektaren)
Wald voraussetzt.
Thatsächlich werden grosse Quantitäten von Rohstoff im
Wege des Plänterns, d. h. des Aushiebes einzelner geeigneter
Stämme gewonnen. Namentlich an jenen Orten, wo wenig Ab -
satz für Brennholz ist.
Zieht man die gesammte Produktion an Möbeln aus ge -
bogenem Rothbuchenholz in Betracht, so kann man in Oester -
reich eine Jahreserzeugung von einer Million Stücken im Ver-
kaufswerthe von drei Millionen Gulden (= 6 Millionen Mark)
annehmen, welche einen jährlichen Abtrieb von 500 Joch
(287 Hektare) Rothbuchenbeständen, d. h. einen in 100 jähri -
gen Urntrieb regelmässig bewirthschafteten Forst von minde -
stens 50,000 Jochen (28,750 Hektaren) Ausdehnung voraussetzt
und 7 — 8000 Menschen eine lohnende Beschäftigung gewährt.
Der Einfluss dieser Industrie auf die Waldrente ist natürlich
ein drastrischer.
Maschinen zum Biegen des Holzes.
Das Biegen des Holzes wird niemals durch Stösse, son -
dern stets durch kontinuirlich wirkende, häufig durch stetig
anwachsende Druckkräfte bewerkstelligt. Ob dies nun die
Muskelkraft des Menschen oder ein anderer Motor ist, immer
wird diese Kraft durch Zwischenmaschinen auf das zu biegende
Holz übertragen. Eine grosse Mannigfaltigkeit von Einrich -
tungen ist bei diesen Biegmaschinen zu bemerken, sie sind
häufiger als die übrigen technischen Probleme, die mit diesem
Verfahren Zusammenhängen, Gegenstand der Veröffentlichung
gewesen. Ich will auch in diesem Kapitel historisch vorgehen.
Ich spreche daher zuerst von der im Jahre 1843 in den Brevets
d’inv. (T. 67, p. 87) veröffentlichten
26
ßiegmaschine von ßichon, Lenoir und
Petitjean.
(14502. B. d’inv. et de perf. 19. Jan. 1843.)
Diese für das Biegen von Bau - und Schiffholz bestimmte
Vorrichtung ist auf Tnf. I, Fig. 3 und 4, in Vorder- und
Seitenansicht dargestellt.
a ist ein fest gebautes und verstrebtes Gestell, b sind
die Spannrahmen, welche unten um starke Zapfen drehbar,
c ist das zu biegende Holz, — punktirt in seiner Lage nach
dem Biegen, mit ausgezogeuen Konturen vor dem Biegen , wel -
ches durch eine starke Klammer b‘ in der Mitte an dem Ge -
stelle a festgehalten wird. Diese Klammer könnte bei einer
modificirteu Einrichtung das zu biegende Holz auch an einem
Ende festhalten, jedenfalls muss sie aber so angeordnet sein,
dass sie, mittelst eines Vorsteckbolzens etwa, das leichte Ein -
legen und Herausuehmen des Holzes gestattet, d sind guss -
eiserne Rollen, welche quer über die obere Fläche des Bal -
kens c zu liegen kommen und mindestens so laug sind, als
dieser breit ist. Sie werden von dem Rahmen b in det Alt
getragen, dass sie durch die Kurbel () mittelst Zahnrädern e
und Schrauben Fig. 4 tiefer gestellt, d. h. dem Mittelpunkte der
Drehung von b näher gerückt werden können. / ist die eiserne
Form, deren obere gekrümmte Fläche der zukünftigen Gestalt
' des zu krümmenden Holzes entspricht und mit dem Gestelle
a fest verbunden ist.
Das durch Dämpfen oder Kochen vorbereitete Holz wird
auf die früher stark erhitzte Form f aufgelegt und erhält auf
der oberen Fläche, wo die Rollen laufen, zum Schutz gegen
Beschädigung durch dieselben einen Blechstreifen. Dieser
Blechstreifen spielt hier, wie man sieht, noch nicht jene Rolle,
welche er im T honet’scheu Verfahren hat, aber der Um -
stand, dass er überhaupt zur Schonung der ausgebogenen
Fläche angewandt wurde’, mag immerhin, wenn er Thonet
bekannt war, diesen auf den richtigen Weg hingewieseu haben.
Ist nun das Holz c auf die Form / aufgelegt, so wird die
Klammer V scharf angezogen. Die nun senkrecht stehenden,
'S
27
ihre Rolleu in unmittelbarer Nähe von b‘ aufdrückenden Rah -
men b werden jetzt mittelst Winden oder k laschenzügen, dei
eine links, der andere rechts um seine Drehachse bewegt, bis
sie die punktirten Stellungen eiunehmeu. Dabei bleiben die
Rollen d entweder in gleicher relativer Lage zum Drehpunkte
der Rahmen, wenn es sich um eine nahezu kreisbogenförmige
Krümmung handelt, oder man verstellt sie je nach Bedarf,
um das Holz an die beliebig gestaltete Form anzudrücken.
An mehreren Stellen, namentlich an den Enden, wird das Holz
durch Klammern mit der Form fest verbunden. Gewisse 1 heile
des Holzes widerstreben mitunter der Anschmiegung an die
gewünschte Form. Dort wird nochmals mit g, e und d mani-
pulirt und eine Klammer angelegt. Die Maschine bleibt nun
bis zur völligen Trocknung in dem Zustande nach der Bieg -
arbeit und wird erst, wenn diese vollkommen zu Ende ist,
demontirt. Das polytechnische Ceutralblatt publicirte eine
Beschreibung dieser Anordnung von Richon, Lenoir und
Petitjean nach Ablauf des Privilegiums im Jahre 1848 und
plaidirte damit für die Anwendung der Maschine.
Das Biegen von Schiffbauholz, das durch die oben be -
schriebene französische Einrichtung gefördert wurde, trat um
so mehr in den Vordergrund, je seltener und theurer die
krumm gewachsenen Bauhölzer wurden, und je mehr man sich
von der Superioren Qualität der gebogenen überzeugte. Im -
mer mehr tauchen in technischen Journalen (namentlich im
Scientefic American 1856, im Artizan 1857) Nachrichten über
Erfolge in diesem Verfahren des Holzbiegens für Marinezwecke
auf. Bei der Pariser Ausstellung i. ,1. 1855 machte das Modell
der Biegmaschine von Thomas Blanchard in Boston Auf -
sehen. (Siehe Deutscher amtlicher Bericht von Dr. v. Vie-
bahn und Dr. Schubarth, Berlin 1856.) Eichenhölzer von
5 — 10 Centim. Quadratquerschnitt zu biegen, war keine
Schwierigkeit mehr, ja es gelang, Balken von 30 Centim. Höhe
in 20 Minuten zu biegen. Durch diese Erfolge erklärt sich
die Gründung einer Timber bending Company in London und
einer Anzahl von Werken in Amerika, welche sich mit der
Erzeugung von gebogenen Hölzern für allerlei Zwecke be -
fassen.
28
In einem dieser Etablissements den No v elty-Wo rks
in New-York ist eine Maschine von dem Ingenieur Davidson
aufgestellt worden, die sich vielfacher Nachahmung auch in
Europa erfreute.
Biegmaschine von Davidson.
Aus Taf. II, Fig. 5, ist ersichtlich, dass die der Kurbel a
überantwortete motorische Kraft durch das auf ihrer Welle
sitzende Zahnrad b in das Sperrrad c, und von diesem durch
den Trieb d auf das Rad e übertragen wird. Auf der Welle
f wickelt sich das Seil g auf, das am Ende eines Hebels von
günstigem Armverhältniss befestigt ist. Der starke Hebel h
hat seine Drehachse in festen Lagern, die auf dem Gestelle
der Maschine ruhen. Mit dem Lastende des Hebels ist ein
Modell, das Modell für die künftige Gestalt des Holzes in
Verbindung gebracht. Unterhalb des Hebels ist ein durch
Schrauben s verstellbarer Tisch angebracht.
Das Holzstück k wird auf einen biegsamen Metallstreifen
(Bandeisen) auf die Tischplatte aufgelegt, mit dem einen Ende
in die Knacke l und Schraube t, mit dem andern Ende an den
entsprechenden Theil des Modells festgemacht, auf allen iibri-
Seiten durch Klammern zusammengepresst und dann gebogen,
durch Drehung der Kurbel. Taf. II, Fig. 6, zeigt die verän -
derte Stellung der Maschinentheile nach dem Biegen. Taf. II,
Dg. 7, ist ein Bild des gebogenen Holzstückes, dessen Enden
zusammengehängt sind und das noch im Modell ruht.
Das Dingler’sche polytechnische Journal, Bd. 149, Jahrg.
1858, bringt ferner folgende Beschreibung von
Edwin Kilbnrn’s Maschine znm Biegen von Holz.
Die in den Zeichnungen auf Taf. II, Fig. 8— 12, abgebil -
dete Maschine, welche von Edwin Kilburn aus Vermont in
den Vereinigten Staaten erfunden wurde, hat den Zweck, Holz -
stücke in jede beliebige Form zu biegen, dadurch, dass man
dieselben mittelst hinreichend starker Hebelkraft endweise in
Formen hineintreibt, welche der Länge nach die verlangte ge-
29
krümmte Form besitzen und deren Querschnitt überall gerade
dem Querschnitt des zu biegenden Holzes gleich ist, so dass
das Holz von allen Seiten vollkommen eingeschlossen 'und
während des Biegens vom Brechen und Aufspalten bewahrt
bleibt.
Da es nun aber nöthig ist, die Holzstücke, nachdem sie
gebogen sind, noch einige Zeit lang in der Form zu lassen,
bis sie vollkommen trocken sind, wodurch natürlich die
Leistungsfähigkeit der Maschine sehr vermindert wird, und
da ferner das Trocknen des Holzes in den von allen Seiten
eingeschlossenen F’ormen nur langsam von Statten geht, so
hat der Erfinder an der schon im Jahre 1856 patentirten
Maschine eiue Verbesserung angebracht, welche darin besteht,
dass ein Theil der Form von solcher Gestalt und Stärke, dass
er im Stande ist, das gebogene Holz in der so angenommenen
Lage zu halten, sich zugleich mit dem Holz sehr leicht her -
ausnehmen lässt, so dass also, indem man eine Anzahl sol -
cher Einsätze in Bereitschaft hält, diese Maschine in fortwäh -
renden Gang erhalten werden kann. Diese Einsätze haben
noch den weiteren Vortheil, dass das Holz schneller darin
trocknet.
Fig. 9 ist ein vertikaler Längendurchschnitt der Maschine,
Fig. 8 eine obere Ansicht derselben, Fig. 10 und 11 sind per -
spektivische Ansichten der beiden Tlieile, aus denen die Form
besteht. Fig. 12 ist eine perspektivische Ansicht des Endes
vom Kolben, welcher dazu dient, das Holz in die Formen zu
treiben und eine perspektivische Ansicht des Endes eines Stahl -
bandes, welches während des Biegens an das Holzstück be -
festigt wird, um das Eindringen und Gleiten in der Form zu
erleichtern.
A und A‘ stellt die Form vor, welche aus zwei verschie -
denen Theilen besteht, wie sie in Fig. 10 und 11 besonders und
in Fig. 8 und 9 zusammen abgebildet sind. Wenn die beiden
Theile zusammen sind, so bilden sie eine Form, deren Deckel
in der Zeichnung jedoch nicht dargestellt ist. Der Theil A
stellt den Boden und die äussere Wand, der Theil A‘ die
innere Wand der Form vor und die Vereinigung geschieht
durch eine Anzahl von Ansätzen t und l, welche ln der
30
r.vf
■v' - v >
u
1« *\ <\\
k
Form eines lateinischen L an den Einsatz A' angegossen sind
und in Einschnitte m passen, welche zu diesem Behuf in die
Seiten und in den Boden der Form A gemacht sind. Die
Flächen der Ansätze l sind eben mit der Seitenwand und einem
Theil des Bodens der Form, so dass, wenn zusammen, die drei
in der Zeichnung abgebildeten Seiten der Form vollkommen
glatt und eben sind. Der Deckel besteht aus einem der Form
nach gebogenen und an dieselbe durch Bänder befestigten
glatten Eisenstück. Das Holzstück B wird durch einen Kol -
ben C in die Form eingetrieben, und die Bewegung des Kol -
bens kann auf verschiedene Weise geschehen. In unserer
Zeichnung ist der Kolben mit Zähnen versehen und wird durch
ein stark übersetztes Räderwerk mittelst einer Kurbel Z) be -
wegt. Es ist leicht einzusehen, dass, wenn die Oberfläche
des Holzes gegeu die gebogene Seite der Form angepresst
wird, eine nicht unbedeutende Reibung entsteht, welche dem
Eintreiben des Holzes ein bedeutendes Hinderniss in den Weg
legt. Um diese Reibung zu vermeiden, wird ein Stahlstrei-
fen S an der äusseren Seite des Holzes angelegt. Die Weite
dieses aus dünnem flachem Stahle verfertigten Streifens ist
genau von der Weite des biegenden Holzes und er ist nahe
an seinem äusseren Ende mit einem Loche g versehen, wel -
ches einen Zapfen i aufnimmt der sich (Hg. 12) an einem an
dem äusseren Ende des Kolbens e angehängten Theile A be -
findet. Das vordere Ende dieses Streifens ist mit einer Nase
j versehen. _ ,. r
Die Operation geschieht folgendermaassen: Der Kolben O
wird, so weit es die Länge des zu biegenden Holzes verlangt,
zurückgeschoben, das Holz eingelegt, der Stahlstreifen S m
den Zapfen i eingehängt. Das vordere noch über die Nase
j vorstehende Ende des Stahlstreifens tritt leicht in die I oi
ein, welche jetzt ganz geschlossen ist, und bei fortgesetztem
Drucke folgt das Holzstück nach. Die Reibung zwischen dem
Stahlstreifen und der äusseren gebogenen Seite der Form kann
durch Schmieren noch vermindert werden. Ist das Holz -
stück weit genug in die Form eingetrieben, so wird der Deckel
Holzstücke herausnehmen. Die Ansätze l halten das Holz in
— 31 —
der gebogenen Form, ohne jedoch dem Trocknen ein bedeu -
tendes Hinderniss in den Weg zu legen; da die Luft von allen
Seiten ziemlich ungehindert zutreten kann.
Diese Maschine wird mit Vortheil zum Biegen stärkerer
Holzstücke wie von Schiffsknieen und zum Biegen von Rücken -
lehnen für Stühle und andere schwächere Gagenstände be -
nutzt, und da weder das Trocknen des gebogenen Holzes mit
Schwierigkeiten verknüpft, noch die NothWendigkeit vorhan -
den ist, die Maschine still stehen zu lassen, um das Trocknen
eines gebogenen Stückes abzuwarten, so kann eine bedeutende
Menge Arbeit damit verrichtet werden, während das Anschaffen
der Einsätze nur mit geringen Kosten verknüpft ist.
Eine Modifikation der Dav i dso n 'sehen Maschine, welche
aus Taf. II, Fig. 13, wohl ohne nähere Erläuterung klar ist,
möge der Vollständigkeit halber auch hier erwähnt werden.
Thonet verwendet verschiedene Systeme von Holzbieg-
Maschinen, die sich keinem der beschriebenen Mechanismen
genau unterorduen lassen, jedoch die eine oder andere Aehn-
lichkeit mit den beschriebenen Einrichtungen haben.
Schlusswort.
Eine sehr erhebliche und belangreiche Verwendung des
Holzbiegens dient dem Wagenbau. Das Holz der Carya alba,
des Hickory-Nussbaumes, ein unserem Eschenholze in seinen
technischen Eigenschaften verwandter Rohstoff, eignet sich
vorzüglich zum Biegen und vermöge seiner sonstigen Beschaffen -
heit zum Baue von Wagenrädern. Amerika hat Dank diesem
Materiale eine sehr bedeutende Produktion von gebogenen Rad -
felgen aus Hickory-Holz und exportirt davon enotme Quanti -
täten nach Europa. Sowohl in Amerika als auch in Europa
werden aus Eschenholz Radfelgen gebogen.
Ueberhanpt macht der Wageubau allerlei Anwendung
vom Biegen des Holzes. So sind die Gabeltheile bei einspän -
nigen Fuhrwerken, die gewölbten Wände des Wagenkastens, —
32
erstere aus Eschen, letztere gewöhnlich aus Linden gebogen*).
In den Arsenalen und Artilleriewerkstätten steht die Anwen -
dung des Holzbiegens bei der Erzeugung von Radfelgen und
Pistolenschäften ab und zu auf der Tagesordnung, ohne dass
in dieser Richtung definitive Beschlüsse bisher gefasst wor -
den wären.
So viel ist gewiss, dass das Biegen des Holzes in den
Gewerben und in der Kunstindustrie noch einer weitgehenden
und vielfältigen Anwendung fähig ist, so zu Pferdekumten,
Pflugsterzen, Schubkarrengriffen, Langbäumeu, Kutschkasten -
spriegeln, Treppengeländern, Fenster- und Spiegelrahmen, Trä -
gern, Streben und Zierleisten, Planken, Rippen und Kiel -
stücken u. s. w. u. s. w. und deshalb dürfte die hier gegebene
Zusammenstellung von zum Theile neuen, authentischen Daten
mit bereits publicirten Notizen, — welche bisher in der techni -
schen Literatur vermisst wurde, — nicht ohne Nutzen sein.
*) Eins der grössten Etablissements der Welt in der Erzeugung
und dem Verkaufe von Wagenbestandtheilen aus gebogenem Holz ist
Henry Hopton &r Son, Bend Timber, Steam Wheel and Carriage Body
H'orts, Gl George Street, N. W. London and Union Works, Market
Harbours.
Fi£ 8
TAF.II.
fl ?
5 13
Sbw.JM S$ieauta$dj i wc
Fiöfl
a uddjr von cfbatx nach
Dez Qviecj'Unn.
Ctncricfyv Dez 'Cdaviö&ou )
miVcBoix, fertig xuureßiegcu
Hg. 6.
<£Lnr>icfyt Dez ©TfekKS'CÄit'i^()
ttaeß cBicgmig.
ERLÄUTERUNGEN
ZUR
AUSSTELLUNG ALTER MÖBEL
IM
OESTERREICHISCHEN MUSEUM.
VON
T-Ä-COB ZP^IGIKIIE..
WIEN.
Verlag des k. k. Oesterreichischen Museums.
1874.
Erläuterungen
zur
Ausstellung alter Möbel im Oesterr. Museum.
Von Jacob Falke.
I.
Wer die Möbel auf unserer Weltausstellung, wie sie von allen Län -
dern Europa’s herbeigesendet waren, mit kritischem und vergleichendem
Blick betrachtete und dabei zu Hilfe nahm, was an der eigenen Erinne -
rung seines Lebens Derartiges vorübergegangen war, der konnte sich
Einer Wahrnehmung nicht entziehen: unverkennbar trat ein Umschwung
im Geschmack hervor.
Während noch vor wenig Jahren Alles, was der Mode folgte, was
auf dem Höhepunkt des modernen Geschmackes stehen sollte, einer der
Stylformen des 18. Jahrhunderts angehörte, mochte es sich nun mehr
dem Rococo oder der nach Louis XVI. benannten Art anschliessen, hat
der Geschmack gegenwärtig einen Schritt rückwärts gethan, — rückwärts
nicht im ästhetischen Sinne, sondern in der Chronologie der Kunst -
geschichte, in Bezug auf den Styl, den er sich zum Vorbild ersehen.
Der moderne Geschmack erlaubt sich in dieser Beziehung eine merk -
würdige Willkür in der consecutio temporum. Imitirend, wie er ist, nahm
er nach dem Untergang des letzten noch einigermassen eigenthümlichen
oder vielmehr eigenen Styls, dem des Empire, das eigentliche Rococo,
also die Kunstart im Zeitalter von Louis XV., rein nachahmend oder co-
pirend wieder auf. Dann warf er sich völlig auf die prunkende Art
Ludwig XIV., um sie mit Louis XVI. zu vertauschen und sodann zwi -
schen dieser Stylart und derjenigen von Louis XV. zu schwanken. Wer
alt genug ist, ein paar Jahrzehnte zurückzudenken, dem wird das Alles
noch in eigener Erinnerung sein. Der Wandel und Wechsel war schnell
genug. Heute haben die Franzosen, welche in ihrer Beweglichkeit, in
ihrer Sucht nach Neuem, die Leiter waren, mit den vornehmsten Spitzen
ihres Geschmackes sich dem Style Louis’ XIII. zugewendet, sind also um
mehr denn ein Jahrhundert rückwärts gegangen, haben damit aber auch
I
zugleich sich einer reineren Kunstart zugewendet. Wir gehen noch weiter.
Wir richten unsere Augen, statt auf das siebzehnte Jahrhundert oder auf
die erste Hälfte desselben, auf das sechzehnte Jahrhundert, wir streben
wenigstens uns an die reine Renaissance zu halten, ohne indess die frü -
here Barockzeit zu verschmähen, welche in der Möbelconstruction viel -
leicht glücklicher war als in der Architectur, jedenfalls uns eine grosse
Zahl mannigfacher und verwendbarer Motive überliefert hat.
Das ist ohne Zweifel der Stand der Dinge, wie ihn die Weltaus -
stellung in Wien uns vor Augen geführt hat. Die Tendenz des Geschmacks
in der Möbelfabrication, den Sitzmöbeln wie den Standmöbeln, geht un -
verkennbar den verschiedenen Formen der Renaissance zu und um so be -
stimmter, je mehr das Kunstgewerbe eines Landes sich von der französi -
schen Herrschaft zu lösen trachtet. Indess ist Frankreich keineswegs da -
von ausgenommen, viel eher noch auffallender Weise England, dessen
Geschmack in den Möbeln da, wo er mit der Mode zerfallen ist, sich vor -
zugsweise mittelalterlichen Motiven zuwendet.
Diese Tendenz des Geschmackes konnte man der Ausstellung aller
Länder absehen, so viel Eigenthümliches, so individuelle Züge auch ein
jedes darbieten mochte. Neben Frankreich nahmen Belgien, Holland, Ita -
lien, Dänemark, Schweden u. s. w. Theil daran, ganz besonders aber
trat der Zug zur Renaissance in der Möbelindustrie Deutschlands wie
Oesterreichs hervor.
So klar und ausgesprochen aber auch diese Neigung vor Augen lag,
so zeigte sich andererseits auch in der Willkür, in der mangelhaften Con-
struction und vielen anderen fehlerhaften Dingen die Unbekanntschaft mit
den Formen, mit dem, was wirklich im Geist und Wesen des Styls lag;
den man bewusst oder unbewusst imitirte. Das Studium guter Vorbilder,
wirklicher Arbeiten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, er -
schien als eine Nothwendigkeit, als das eigentliche und rechte Mittel,
zum erstrebten Ziele zu kommen.
Unter diesen Umständen ist die Special-Ausstellung alter Möbel, wie
sie das Oesterr. Museum ausserordentlicher Weise für diese Sommer -
monate veranstaltet hat, als eine That zu betrachten, die in eminentem
Sinne zeitgemäss ist. Die Kunstfreunde Oesterreichs und Wiens insbe -
sondere, die stets in nicht genug anzuerkennender Weise bereit gewesen
sind, die Bemühungen und Bestrebungen des Museums zu unterstützen,
haben auch diesmal ihren Besitz mit gleicher Bereitwilligkeit zur Ver -
fügung gestellt. Mit ihrer Hilfe oder vielmehr durch sie allein ist eine
Ausstellung zu Stande gekommen, welche gleich lehrreich ist dem Kunst -
freunde wie dem Künstler, dem Industriellen, dem Gewerbsmann aui
welche letzteren es vor Allem abgesehen war — gleich lehrreich und Ge -
nuss bringend durch die Schönheit der Gegenstände wie durch ihre Ori -
ginalität und Mannigfaltigkeit.
Leicht hätte sich die Zahl der Gegenstände auf das Doppelte und
Dreifache bringen lassen, denn das Material, das vorhanden ist und sich
darbot, ist reich genug. Aber die Räume des Museums, welche zur Ver -
fügung standen, obwohl sie keineswegs gering sind, hätten nicht hinge -
reicht. Es ist selbst der Sitzungssaal hinzugezogen worden und hat zur,,
Ausstellung einer Anzahl von Stahlstichen, Zeichnungen und Büchern mit
Möbelabbildungen dienen müssen. Diese Ausstellung soll zugleich einen
Begriff von dem geben, was Bibliothek und Kupferstichcabinet des Mu -
seums an solchem Material bereits besitzen und für Jedermanns Benützung
zur Verfügung stellen.
II.
Drei Jahrhunderte der Möbelfabrication sind es etwa, welche unsere
Ausstellung repräsentirt. Die Gegenstände beginnen der Zeit nach mit
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts und endigen mit der
zweiten Hälfte des achtzehnten. Das ist aber die eigentliche Blüthezeit
kunstreicher Möbelfabrication, diejenige, die vor Allem zur Reform des
modernen Geschmackes auf diesem Gebiete wichtig und lehrreich ist. Die -
jenigen Stylarten und Decorationsweisen, welche in diesen Zeitraum fallen,
sind auch alle vertreten, so dass wir in unserer Ausstellung gewisser-
massen eine Geschichte der Möbelindustrie in den letzten Jahrhunderten
vor Augen haben.
Nicht minder vollständig oder wenigstens mannigfach erscheinen die
Gegenstände der Ausstellung aus dem Gesichtspunkte ihrer Herkunft,
ihres Ursprungs. Fast alle Länder des civilisirten Europa haben ihren
Beitrag gestellt. Portugal und Spanien glänzen mit hochinteressanten und
originellen Arbeiten; von Frankreich und Italien finden sich treffliche ge -
schnitzte Möbel, aus einer Zeit, bevor der Geschmack dieser Länder dem
Barocken völlig unterlag; der Nieder-Rhein, Holland und Belgien, ehe -
mals eine ganz besonders blühende Stätte der Möbelindustrie, sind reich
und glücklich vertreten; selbst der scandinavische Norden, Dänemark und
Schleswig-Holstein fehlen nicht mit eigenthümlichen Arbeiten; der hei -
mischen Industrie, der ehemals so bedeutenden Möbelschnitzerei aus dem
österreichischen, salzburgischen und bairischen Gebirge ist kaum nöthig
zu gedenken.
Jeder Kunstfreund weiss, dass echte Möbel von feinerer Art aus der
gothischen Kunstepoche heute unendlich schwer zu bekommen sind.
Hier und da findet sich wohl noch ein solider Kasten von dickem Eichen -
holz mit plumpem Masswerk, der durch seine Construction noch einiges
Interesse bietet, aber wegen seiner Schwere und Ungefälligkeit das Auge
des Kunstliebhabers nicht reizen kann. Dennoch bietet die Ausstellung
eine ziemliche Reihe gothischer Möbel. Sie gehören freilich alle dem
fünfzehnten Jahrhundert an, genauer noch der zweiten Hälfte desselben
6
lassen aber drei ganz verschiedene und charakteristische Arten erkennen,
verschieden nach ihrer Decorationsweise wie nach ihrer Herkunft.
In dem gothischen Möbel pflegte das constructive oder architekto -
nische Element vor dem plastischen vorzuherrschen. Die Trockenheit des
ersteren zu mindern, wurde dann gern mit Farbe ein malerischer Effect
hinzugefugt. Die meisten gothischen Möbel sind daher flach in den Pro -
filen und ganz ohne vortretendes Gesims, an dessen Stelle sie festungs -
artig eine Zinnenkrönung tragen oder auch eine durchbrochene Masswerk-
galerie. Das Ornament hält sich daher auch nach Möglichkeit in der Fläche
und erhebt sich nur in gewisser und beschränkter Stufenfolge zum Relief.
Diese Stufenfolge lässt sich in den angedeuteten drei Arten ganz gut
erkennen.
Die erste Stufe beginnt mit einem ganz flachen Ornament, das
eigentlich gar kein Relief hat, gar nicht auf Licht und Schatten berechnet
ist. Es sind Ornamente, meist laubig in den bekannten Formen der
Gothik, die wie eine Contourzeichnung gar nicht aus der glatten Fläche
des Brettes heraustreten und nur dadurch sich abheben, dass der Grund
ein wenig ausgestochen und einfach, gewöhnlich in Blau oder Roth, ge -
färbt ist. Es gehört zu diesen Arbeiten, wenn anders sie einigermassen
auf Kunst und Reichthum Anspruch erheben, ein reicher Eisenbeschlag,
der mit Bändern, Schloss, Handgriffen und Beschlägen den malerischen
Effect erhöht, indem das Eisen in seiner gewohnten Verzinnung silbern
glänzend und durchbrochen gehalten auf rother oder blauer Unterlage an -
gebracht ist. Die Heimat dieser gothischen Möbel ist vorzüglich Salz -
burg und Ober- und Nieder-Baiern.
Das Museum besitzt ein wohlerhaltenes Prachtstück dieser Art mit
dem reichsten und feinsten Eisenbeschlag, das Geschenk einer bairischen
Herzogin an das Kloster Altomünster aus dem Ende des fünfzehnten Jahr -
hunderts, indess befindet es sich unten im gewöhnlichen Möbelsaal und
nicht in jenen Räumen, welche der in Rede stehenden Special-Ausstellung
gewidmet sind. Doch auch diese hat einige Beispiele, und zwar in einem
grossen Kasten und in einem Tische, beides Eigenthum des Antiquars
Poilak in Salzburg (Nr. 2 3 und 21 des Katalogs). Der Kasten ist aller -
dings minder fein als der des Museums und sein Eisenbeschläge, weit
späteren Datums, gehört ihm nicht, doch ist das Stück immerhin charak -
teristisch. Dasselbe gilt von dem Tisch, einem Möbel, das um so inter -
essanter ist, weil man es seltener findet als den Kasten. Das grelle Ultra -
marin, mit welchem die Gründe zwischen dem Ornament ausgefüllt wor -
den, ist allerdings eine kleine Barbarei. Ein echtes gothisches Möbel ist
niemals mit Ultramarin bemalt gewesen, weil diese Farbe für die grosse
Fläche damals viel zu theuer war.
Als die zweite Art oder Stufe würden wir diejenigen Möbel betrach -
tet}, welche mit dem architektonischen Masswerk verziert sind. Auch das
ist kein eigentliches Relief, da es sich nicht frei aus der Ebene herausbe-
■ - f:
— 7 —
wegt, doch ist es, wenn richtig gehalten, bereits auf Licht und Schatten
berechnet. Auch diese Art pflegt wohl den tiefen Grund in Farbe zu
setzen oder auch das Masswerk gleich den steinernen Fensterrosetten durch -
brochen zu halten. Sie ist mit verschiedenen Gegenständen vertreten,
gröberen und feineren, sehr gut insbesondere in Nr. 31, einem kleinen
Geschirrkasten mit offenem Untertheil, welcher Eigenthum des Antiquars
Zelebor in Wien ist. Hier geht das feine Masswerk in streng gothi-
sches Laubwerk über. Ein anderer ähnlicher Kasten, aber mit geschlos -
senem Untertheil, Nr. 25 des Katalogs, gehört demselben Antiquar. Hier
ist die Masswerkrosette leicht durchbrochen gehalten und lässt dadurch
Luft in das Innere eintreten. Bei diesen Möbeln finden sich die Seiten
zuweilen mit etwas freierem Ornament verziert, das jedoch nur aus dem
Brett geschnitten und sehr leicht und frei gehalten ist; häufig begegnet
uns auch das allbekannte gothische Motiv der imitirten Pergamentrolle.
Das bedeutendste Stück in diesem Genre ist jedenfalls der grosse
Credenzkasten des Fürsten Friedrich Liechtenstein, der über und
über mit reichem, wechselvollem Masswerk bedeckt ist. Er bietet
dem gothischen Ornamentisten eine Fülle fein combinirter Motive in
diesem Genre. Auch er gehört wie die übrigen erwähnten Gegenstände
dem fünfzehnten Jahrhundert an. Aufgefunden wurde er zuletzt in Kärn -
ten, doch weist die feine Holzmarqueterie, welche die Masswerkfelder um -
gibt, auf einen mehr südlichen Ursprung jenseits der Berge hin, wahr -
scheinlich nach Friaul oder Nord-Italien. Die erwähnten Gegenstände aus
dem Besitze des Herrn Zelebor sind dagegen deutschen Ursprungs und
stammen vielleicht aus Franken; doch ist die Art so allgemein, dass
man wohl unschwer die Zeit, aber weniger leicht den Ort der Entstehung
bestimmen kann.
Die dritte Art der gothischen Möbel, welche unsere Ausstellung ver -
treten zeigt, ist die seltenste und künstlerisch die höchste. Auch sie hält
sich flach mit den Profilen, aber sie schmückt sich mit Reliefs, die wirk -
lich plastisches Leben haben; das Laub bewegt sich frei und lebendig.
Auch Figuren treten zum Schmuck hinzu, selbst humoristische, wie das
eine unserer Beispiele erkennen lässt, hie und da auch Farbe für den Grund
und vor Allem ein kunstgemässes Eisenwerk. Vertreten ist diese Art ins -
besondere durch drei Buffet- oder Geschirrkästen (Nr. 35, 37, 39) aus dem
Besitz des Fürsten Johann zu Liechtenstein, alle drei niederrheinischen
Ursprungs und vom linken Ufer des Flusses stammend. Es sind vor -
treffliche und charakteristische Arbeiten, fein in ihrem Genre, sowohl
nach ihrem Bau wie nach ihrer Arbeit, und höchst selten zu finden.
Ihnen reiht sich aus demselben Besitz und von derselben Zeit und Her -
kunft ein kräftiger Tisch mit reichem Eisenbeschläge an (Nr. 44), der
namentlich durch die Construction und Ornamentation seines Untertheiles
interessant ist. Der eingelegte Adler auf der Platte ist später hinzugefügt.
8
III.
Die künstlerische Wandlung, welche das Möbel im Laufe des sech -
zehnten Jahrhunderts in der Kunstepoche der Renaissance erfuhr, war
eine sehr durchgreifende. Sie zeigt sich einmal darin, dass der Gegen -
stand eine reichere Gliederung, ein bewegteres Profil erhält und dass die
Glieder weiter vorspringen oder tiefer zurückweichen, wodurch eine kräf -
tige Wirkung von Licht und Schatten entsteht, welche das gothische Mö -
bel nicht besass. Insbesondere treten die vielfach gegliederten Gesimse
wie an Palastfacaden heraus, Karyatiden, Säulen und Pfeiler fügen sich
an und bilden zuweilen, doch schon missbräuchlicher Weise, eine volle
Architektur. Zum anderen löset sich das Relief-Ornament aus seinem ge -
bundenen Zustand, in welchem dasselbe von der Gothik gehalten war,
und verbreitet mitunter ein reiches und bewegtes Leben über das ganze
Möbelstück. Dagegen fällt das reiche und feine Eisenwerk von Schloss,
Bändern, Beschlägen und Handgriffen, welche offen daliegend das gothische
Möbel auszeichneten, in den meisten Fällen und namentlich bei den fei -
neren Arbeiten hinweg oder es wird in veränderter Gestalt im Inneren
angewendet. Alsbald tritt aber zu diesem plastisch verzierten Mobiliar
ein malerisch verziertes hinzu, das sich zwar in derselben Structur hält,
aber seine Glieder und Füllungen mit verschiedenfarbigem Holze schmückt.
Für beide Arten so wie für ihre mannigfachen Abarten, die sich nach
Zeit und Ländern scheiden, bietet unsere Ausstellung zahlreiche und
charakteristische Beispiele.
Als eine Besonderheit, die aus dem geschilderten Rahmen des Re -
naissance-Mobiliars herausfällt, gedenken wir zunächst zweier sehr ähn -
licher Kästen spanischer Herkunft, der eine (Nr. 3o) Eigenthum des Gra -
fen Ernst Hoyos, der andere (Nr. 102) des Herrn Fr. von Rosenberg.
Beide sind einfach in ihrer Construction, die obere Hälfte mit einer Klappe
geschlossen, die sich herablässt und auf Schieber legt, so dass sie wohl
als Secretäre oder Schreibkästen gedient haben. Sie gehören dem sech -
zehnten Jahrhundert an, sind aber ganz im Gegensatz zu allen gleich -
zeitigen Möbeln glatt und flach, ohne alle Profilirung. Was sie aus -
zeichnet, ist ein reicher und origineller, ehemals ganz vergoldeter Eisen -
beschlag, der die Klappe bindet, und ein zierliches geometrisches Arabes -
kenornament, das sich besonders über die zahlreichen Lädchen im Innern
verbreitet. Wir erkennen an diesen Eigenthümlichkeiten, dass wir es mit
einer maurischen Reminiscenz zu thun haben.
Die gleiche Reminiscenz rufen uns zwei andere Kästen aus dem Be -
sitz des Herrn von Rosenberg wach (io3, 104), welche ganz mit Cor-
duanleder überzogen sind. Auch sie sind spanischen Ursprungs, aber min -
destens um ein halbes Jahrhundert jünger als die eben erwähnten Schreib -
kästen. Bei dem Mangel aller Gliederung besteht ihre Verzierung, ganz
dem Material entsprechend, in eingepressten Goldarabesken und dazwischen
'
— 9 —
in Medaillons mit Reiterfiguren. Die einen wie die anderen Gegenstände,
jene Schreibkästen wie diese mit Leder überzogenen, sind uns hier in
unserer Gegend eine seltene Erscheinung.
Die pyrenäische Halbinsel hat uns noch andere Seltenheiten der
späteren Renaissance gesendet, die wir gleich hier besprechen wollen, ob -
wohl sie etwas jüngeren Datums sind. Es ist ein grosses Bett (Nr. 135),
eine Commode (Nr. m) und ein Cabinetkasten (Nr. ioi), beide letztere
mit einem entsprechend gearbeiteten Untersatz, sämmtlich aus Portugal
stammend, der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts angehörig und
Eigenthum des Herrn von Falbe, k. dänischen Gesandten. Sie bieten
wenig Beziehung zu den gewöhnlichen Eigenschaften der Renaissance-
Möbel, zu denen sie doch zu zählen sind.
Das Charakteristische des Bettes besteht in der überaus reichen Ver -
wendung gedrehter Säulen und Säulchen, welche nicht blos als Stützen,
sondern auch als Decoration Dienste zu leisten haben. Cabinet und Com-
S-
mode sind dagegen mit dem wellenförmigen Ornament bedeckt, das man
»Passichtarbeit« zu nennen pflegt und das im siebzehnten Jahrhundert bei
Rahmen und Elfenbeingegenständen in häufigem Gebrauche stand. Die
kleinen Schiebladen der Commode erinnern mit ihrer rautenförmigen De -
coration auch an die maureskische Verzierung der erwähnten spanischen
Schreibkästen.
Sehen wir uns nun nach diesen mehr exceptionellen Gegenständen
nach denjenigen Möbelstücken um, welche die charakteristischen Eigen-
thümlichkeiten der Renaissance tragen, so wird es dem Kenner wohl auf -
fallend erscheinen, dass Italien, die Wiege der Renaissance und noch heute
die Quelle zahlreicher Möbelstücke dieser Kunstepoche, obwohl es uns
doch so nahe liegt, verhältnissmässig wenig vertreten ist. Das einzige
wirklich charakteristische Stück ist (Nr. 94) eine Truhe aus dem Besitz
des Herrn von Rosenberg, mit flotten freien Figurenreliefs und kräfti -
gem plastischen Ornament. Das Stück bezeichnet in seiner effectvollen
Art mit goldenem Grund, von dem sich die dunklen Figuren abheben,
und sonstigen Vergoldungen im Ornament den decorativen Styl im Innern
der venezianischen Paläste des sechzehnten Jahrhunderts. Zwei andere
Gegenstände, ein Schreibkasten (Nr. g5), aus dem gleichen Besitz, und ein
kleiner Wandkasten (Nr. 27), Eigenthum des Herrn Zelebor, beide Ge -
nueser Arbeit aus dem sechzehnten Jahrhundert, sind, namentlich der
erstere, im höchsten Grade originell und charakteristisch für den Ort
ihrer Herkunft, aber mit vielen vortretenden kleinen Figuren, die mit dem
Bau des Geräthes fast in gar keinem Zusammenhänge stehen, zu barock,
um uns irgendwie zum Muster oder zur Lehre dienen zu können. Trotz -
dem haben sie natürlich ihr Interesse sowohl für den Kunstfreund wie für
die geschichtliche Kenntniss.
Weit besser als Italien ist die Renaissance des Nordens vertreten, vom
Niedcr-Rhein und Holland angefangen bis nach Scandinavien hinauf. Auch
Frankreich hat uns ein paar gute Kästen geliefert, wenn auch nicht mehr
der ersten Renaissance angehörig. Der ältere derselben ist Nr. 117, Eigen -
thum des Herrn von Rosenberg, der jüngere Nr. 90, Eigenthum des
Grafen Nakö, aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Beide
zeichnen sich durch ein gutes und reiches Relief aus, das sich über die
gewöhnlichen Arbeiten erhebt.
Von diesem Standpunkt aus, dem der Schönheit und Feinheit des
Reliefs, können die deutschen und nordischen Arbeiten nicht mit ihnen
wetteifern. Ihr Vorzug ist in den meisten Fällen eine gesunde Construc-
tion und eine gute Gliederung, wozu ein plastischer Schmuck hinzutritt,
der allerdings in den meisten Fällen von handwerksmässiger Ausführung
ist, aber dem Material und der Sache entspricht. Die meisten Gegen -
stände dieser Art kommen nicht aus den Schlössern oder den Sacristeien,
wie gewöhnlich in Süd-Deutschland, sondern aus dem wohlhabenden, be -
häbigen Bürgerhause oder dem reichen Bauernsitze, wie dieselben die
Küsten der Nordsee von der Mündung des Rheines bis zur Spitze von
Jütland begleiten. Ihre Herkunft ist also keineswegs vornehmer Art, sie er -
heben keine Ansprüche und haben sie nie erhoben und doch sind sie von
so gesunder und solider Natur, dass sie unserem leichtfertigen und brech-
lichen modischen Mobiliar gegenüber mit der Vornehmheit alter Geschlech -
ter auftreten und der reichsten und kunstvollsten Behausung würdig er -
scheinen.
Das beste und zierlichste Stück darunter vom Standpunkt der Aus -
führung, zugleich das älteste, ist Nr. 63, ein kleiner Geschirrkasten mit
offenem Untertheil, dessen gut geschnittenes Ornament noch die bekann -
ten Züge der deutschen Kleinmeister trägt. Es ist Eigenthum des Herrn
Ernst Weyden und stammt vom Nieder-Rhein. Ihm nähert sich ein
zweites Stück desselben Besitzers, Nr. 65. In dieselbe Kategorie gehört
auch'Nr. 117, eine reich verzierte und reich gegliederte Credenz mit trep -
penförmigem Aufsatz und hoher Krönung, aus der Zeit von i58o bis
1600, Eigenthum des Grafen Nakö, so wie das aus Köln stammende Bett
aus der Sammlung des Fürsten Johann Liechtenstein, ein sehr gutes
Stück niederrheinischer Arbeit vom Anfänge des 17. Jahrhs. (Nr. 33.)
Ganz verwandter Art sind die Kästen und Credenzen, welche uns
die dänische Halbinsel mit Schleswig und Holstein in den letzten Jahren
durch Vermittlung hamburgischer Antiquare gesendet hat. Die ziemlich
roh, mitunter aber auch vortrefflich ausgeführten Reliefs, welche gewöhn -
lich das ganze Stück bedecken, sind meistens der biblischen Geschichte
entnommen. Das Museum besitzt schon längere Zeit mehrere Gegen -
stände dieser Art; ein neues, das auch durch seinen Bau interessirt, ist
unter Nr. 1 ausgestellt. Ein bedeutenderes Stück, ein Wandkasten mit
zurücktretendem Oberbau und vortretendem, von Karyatiden getragenen
Gesims, mit den Darstellungen von Christi Auferstehung und Christus als
Gärtner, ist Nr. 89, Eigenthum des Herrn von Falbe, aus der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwa vom Jahre 1640. Hieher gehört auch
der etwas widerrechtlich schwarz gebeizte Kasten Nr. 64 mit seinen zahl -
reichen Reliefs.
Herr v. Falbe, dem die Ausstellung auch die portugiesischen Ge -
genstände, die wir bereits früher besprochen haben, verdankt, hat noch
einen anderen, höchst interessanten Beitrag geliefert, der unsere Kenntniss
vom Mobiliar der Renaissance vermehren hilft. Es sind zwei Wand -
kästen von scandinavischer Arbeit, Nr. 88 und 91, von denen namentlich
der zweite, dessen Bau sich übrigens in den einfachen und schönen For -
men einer reinen Renaissance hält, sich durch seine Einlagen von schwar -
zem Holze, eine specifisch-scandinavische Art der Decoration, auszeichnet.
Diese angemessene, wenig kostbare Verzierung, von so feiner und ele -
ganter Wirkung, verdiente Einführung in unser modernes Mobiliar.
Alle diese bisher besprochenen Kästen, Schränke und Buffets der
Renaissance tragen insofern wohl einen gewissen architektonischen Cha -
rakter, als ähnliche Principien ihre Construction beherrschen. Aber sie
haben doch ihre Bauformen für sich; es sind eben specifische Möbelfor -
men, die weder der Architektur nachgeahmt sind, noch nach denen sich
ein Gebäude ausführen Hesse. Und das ist gewiss die richtige Weise.
Nun gibt es aber auch, wie schon oben angedeutet worden, Kästen und
Schränke des 16. und 17. Jahrhunderts in nicht geringer Zahl und keines -
wegs in localer Beschränkung — denn sie kommen in Italien wie ver -
schiedentlich in Deutschland und anderswo vor —'welche geradezu Pa -
last- und Hausfacaden imitiren, welche sich horizontal mit Sockel, Stock -
werken und Gesimsen gliedern, senkrecht mit Säulen, Halbsäulen und Pi -
lastern, und dazwischen statt der Füllungen Nischen mit Figuren oder
blinde Fenster mit der gewohnten plastkch-architektonischen Umrahmung,
mit Giebeln und Voluten einsetzen. Da kommt es denn freilich vor, da
doch dieser Facadenbau nur Thüren mit ihrem Gerüste vorstellt und
Sockel und Gesimse Schiebläden enthalten, dass die Säulen, die nach ihrer
Natur das Feststehende, Unbewegliche materiell wie symbolisch bedeuten,
mit den Thüren sich von ihrem Platze bewegen, selbst von ihrer Basis
und ihrem Capitäl sich trennen. Das ist jedenfalls eine Unzukömmlich-
keit, hinreichend, das Genre bedenklich erscheinen zu lassen, während man
andererseits sagen muss, dass, wenn es in gewissen verständigen Grenzen
gehalten wird, es wohl geeignet ist, mit seiner reichen Gliederung, mit
seinem kräftigen Spiel von Licht und Schatten eine bedeutende Wirkung
zu machen.
Von diesen Schränken, die meistens Sacristeien entstammen, ist in
unserer Ausstellung eine grosse Anzahl vorhanden, vom Ende des sech -
zehnten Jahrhunderts angefangen bis in das achtzehnte hinein. Insbe -
sondere sind charakteristisch und beachtenswerth diejenigen, welche aus der
Sammlung des Herrn Eugen Miller von Aichholz (Nr. 68 bis 70, so wie
, 53) stammen; aber auch manche andere, namentlich von denjenigen,
welche unter den Arcaden aufgestellt sind, geben willkommene Varianten.
Ich verweise auf die Nummern 4 bis 6, Eigenthum der Herren U ebelacker
und Blum, so wie auf Nr. 8 (Museum) und 12. Man kann an ihnen
vortrefflich die Umwandlung im Detail verfolgen, die Veränderung der
Säulen aus cannelirten oder glatten, am unteren Theil mit Relief um -
kleideten in die gedrehten, die auf Consolen eben nur vorgesetzt wer -
den, endlich die allmälige Hinweglassung aller vorspringenden Glieder und
Decorationen und den Beginn der glatten Kästen, deren Zierde nur noch
in Flader oder eingelegter Arbeit besteht.
Hier ist auch die Thür- und Wandbekleidung zu erwähnen, welche
im Sitzungssaal unter Nr. 19 aufgestellt ist. Vermuthlich ist es eine
Tiroler Arbeit, wenigstens stammt sie aus dem Schlosse Völthurns bei
Brixen. Sie trägt ganz den imitativen architektonischen Charakter wie die
Schränke des Herrn Miller von Aichholz, obwohl sie vielleicht etwas
älter ist und noch dem sechzehnten Jahrhundert angehört. Sie schmückt
sich aber auch in allen Füllungen mit Marqueterie und fällt damit in eine
andere Classe des Mobiliars oder der Holzarbeiten, die im Folgenden be -
sprochen werden soll.
IV.
Die Marqueterie oder die eingelegte Arbeit ist für die Renais -
sance nichts Neues mehr. Das ganze Mittelalter kennt sie und hat sie
besonders in Italien häufig und schon sehr früh ohne Zweifel als Tradition
aus dem Alterthum geübt. Was uns aber aus dem Mittelalter erhalten
ist, das trägt mehr den musivischen Charakter; es setzt sich in geome -
trischer Zeichnung aus kleinen buntfarbigen Stücken, zu denen auch Elfen -
bein reichlich Verwendung findet, zusammen. Auch diese Art hat sich in
der Renaissance erhalten, wie wir noch sehen werden. Aus dem Mittel-
alter zeigt unsere Ausstellung davon nur ein einziges Beispiel, nämlich an
den Umfassungeh der geschnitzten Rosetten und Masswerkfelder auf dem
gothischen Credenzkasten des Fürsten Friedrich Liechtenstein (Nr. 158).
Die Renaissance machte aber aus der Holzintarsia eine weit reichere
und lebendigere Kunstart. Sie ging über den musivisch geometrischen
Charakter hinaus und bildete mit Einlagen von hellerem in dunklerem
Holz oder umgekehrt das schönste Laubwerk, Blumen und Arabesken mit
Figuren dazu in der reizenden Weise der Früh-Renaissance, alles flach
gehalten. Solche Arbeiten, wie sie sich an Gestühl und Vertäfelung z. B.
zu Florenz in Santa Maria Novella finden, sind durch Teirichs Werk über
die italienischen Holzintarsien allgemein bekannt geworden.
Von dieser Art zeigt unsere Ausstellung allerdings kein Beispiel. Was
sie uns Aehnliches vorführt, gehört bereits dem sechzehnten Jahrhundert
an und ist deutsche Arbeit. Zu dieser Zeit hatte die Marqueterie wiederum
einen weiteren Schritt gethan. Sie hatte allerdings auch die flach gehal -
tene Arabeske der Früh-Renaissance beibehalten, natürlich in zeit- und
stylgemäss veränderter Zeichnung, daneben aber auch sich an bildliche
Darstellung gemacht, insbesondere von Landschaften, Städteansichten,
Ruinen und architektonischen Perspectiven. Dazu genügte die Naturfarbe
der Holzarten nicht mehr; um Schatten, Licht und Farbe zu bekommen,
wurden die Stücke zum Theil gebrannt, zum Theil gefärbt. Trotzdem
wird man aber finden, dass alle diese Holzintarsien bescheiden in der
Farbe sind und im Gegensatz zu so vielen bunten Arbeiten unserer Zeit
einen höchst wohlthuenden Ton und eine Harmonie haben, die ihnen trotz
der unvollkommenen Darstellung des Gegenstands ihren Reiz sichert.
Die Ausstellung bringt uns verschiedene Beispiele dieser Art, sowohl
in Arabesken wie in Landschaften und Architekturen, kein Stück aller -
dings von der Feinheit und dem Reichthum, wie das Museum deren be -
reits besitzt. Mehrere grosse Truhen, die als Kleiderkästen gedient haben,
empfangen uns gleich am Eingang der Ausstellung. Darunter ist Nr. 22
(Eigenthum des Herrn Pollak in Salzburg), ein Stück von architektonischem
Bau, mit einem Ruinenbilde geschmückt. Dem Costüm der beiden Me -
daillons nach zu schliessen, welche sich auf der Truhe befinden, würde
dieselbe in die Zeit von i520 —i53o fallen. Mehr ornamental gehalten
ist die Truhe Nr. 166, Eigenthum des Herrn Schaffranek, eine Arbeit vom
Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Eine dritte, Nr. 32, eine oberdeutsche
Arbeit, ebenfalls Eigenthum des Herrn Pollak, datirt von 1620. Unter
den übrigen kleineren Gegenständen ist namentlich ein Kasten, datirt
1639, Nr. 80, Eigenthum des Herrn Kühn*), durch die schwungvolle
Zeichnung und den Styl seiner Arabesken bemerkenswerth. Zu dieser
Intarsia gehört auch die erwähnte Thür- und Wandbekleidung aus Tirol
(Nr. 19).
Wie in Italien, so war diese Arbeit fast durch ganz Deutschland
verbreitet, wurde in Tirol geübt, in Augsburg, Nürnberg und den ganzen
Rhein hinunter. Hier aber am Nieder-Rhein und in Holland nahm sie in
der Ornamentation eine eigenthümliche Gestaltung an, indem sie in na -
turalisier Art Blumen und Vögel zu Motiven verwendete und damit die
Flächen überzog. Zwei Credenzkästen, Nr. 46, Eigenthum des Fürsten
Johann Liechtenstein, und ein zweiter, Eigenthum des Herrn Bourgeois
in Heidelberg, vertreten das Genre in ausgezeichneter Weise. Ein dritter
Kasten gehört schon seit längerer Zeit dem Museum. Das weitaus be -
deutendste Beispiel, das mir bekannt geworden, sind drei DoppelthÜren
mit ihrer reichen Umfassung und Krönung, welche um das Jahr i63o der
berühmte schwedische Kanzler Axel Oxenstjerna in Holland machen liess.
Sie befinden sich jetzt im königlichen Schloss zu Ulriksdal bei Stockholm.
Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts mag als die Blüthezeit dieser
Intarsia betrachtet werden. Von da ab gab es für sie eine Weile Still -
stand oder wenigstens geringere Anwendung, bis sie im 18. Jahrhundert
*) Für das Museum angekauft.
— i4 —
mit dem Rococo neu wieder autlebte. Damals verband sie sich mit den
geschweiften und gebogenen Formen und Flächen der Rococomöbel, ins -
besondere der Commoden, Secretäre, Tische und kleineren Kästen, zumeist
in zierlichen Blumenbouquets, aber auch mit allerlei Figuren, die nament -
lich dem Theater entnommen wurden, mit Instrumenten und insbesondere
Gegenständen von symbolischer und allegoi ischer Bedeutung. Auch hie
von bringt die Ausstellung charakteristische Beispiele, so namentlich einen
Secretär aus dem Besitz des Grafen Nakö, Nr. 79, und zwei commoden-
artige Kästen, 76 und 78, ersterer Eigenthum des Grafen Traun, letzterer
des Herrn von Falbe. Wie auch diese Beispiele zeigen, waren solche
Gegenstände mehr oder minder reich mit vergoldeter Bronze montirt.
Das letzte Beispiel unserer Ausstellung der Zeit nach ist ein Tisch (Nr. 86),
Eigenthum des Feldzeugmeisters von Hauslab, der schon ganz in den
Formen vom Ausgang des 18. Jahrhunderts gehalten ist.
Was die Ausstellung von grösseren Gegenständen mit dieser Ver -
zierung bringt, ist nicht reich und bedeutend in seinem Genre. Unter
den grossen Wandkästen aus dem Ende des 17. und vom 18. Jahrhundert,
deren eine ziemliche Anzahl unter den Arcaden aufgestellt ist, befindet
sich nichts vom ersten Range, namentlich was die Verzierung betrifft,
doch sind sie lehrreich nicht blos in Bezug auf die Umbildung der For -
men, sondern auch in Bezug auf die Intarsia, obwohl sich das Oi nament
in einfachen Bändern, Linien oder sonst bescheidenen Rococoformen halt.
Sie sind aber interessant, weil man an ihnen die Entstehung unserer heu -
tigen fournirten Möbel durch den Uebergang aus der Holzmosaik, aus der
Benützung des Fladers und der Textur des Holzes beobachten kann. Wir
verweisen namentlich auf die Nummern 5 bis 7 und 9, Eigenthum der
Herren Oerley, J. und M. Blum.
Während die Holzintarsia diesseits der Alpen die angegebene Ent -
wicklung nahm, brachten die Italiener ein anderes Genre in Mode und
übten es in ausserordentlicher Feinheit und Schönheit. Die Verbindung
von Ebenholz und Elfenbein, worauf dieses neue Genre beruht, war wohl
schon im sechzehnten Jahrhundert beliebt und manches gute Stück, das
uns erhalten ist, fällt noch in diese Zeit. Aber die Hauptblüthe gehört
der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts an. Die weissen Einlagen,
sei es in zierlichen Ornamenten, sei es in Figuren, deren Zeichnung durch
eingravirte und geschwärzte Linien vervollständigt wird, machen eine höchst
edle Wirkung, welche dem feinen Kunstgefühle der Renaissance nicht ent -
ging. Eben wegen ihrer Feinheit aber zeigte sich diese Kunstart für
grössere rnnd schwere Gegenstände wenig geeignet und sie wurde daher
mit richtigem Gefühle auch meist zu kleinerem Geräthe, vor Allem zu den
reich gegliederten, mit zahlreichen Schiebladen und Thüren versehenen
»Cabinets« verwendet. Es ist ein beliebter und gesuchter Gegenstand des
Antiquariats, das daher auch heute mit neugemachten Fälschungen über -
füllt ist. Was wir von grossen Kästen und Schränken, namentlich auch
— i5 —
von Gestühl in diesem Genre sehen, ist weitaus in den meisten Fällen
neue Arbeit.
Unsere Ausstellung zeigt zahlreiche Beispiele dieser Marqueterie, be -
scheidener und reicher in den Einlagen, kein Stück aber darunter ist
wirklich ersten Ranges. Zu den bescheidener verzierten und auch wohl
älteren gehören die commodenartigen Kästen Nr. 121 und 126, Eigenthum
des Herrn Zelebor. Desselben Eigenthum ist auch ein Tisch, Nr. 125,
der, nur geometrisch ornamental, sich mit Sternchen und Rosetten aus
dreieckigen Stückchen schmückt. Zu den reicheren und besseren gehört
der Cabinetkasten Nr. 107, Eigenthum des Grafen Nakö. Bemerkenswerth
ist auch Nr. iq3, weil sein zierliches sternförmiges Ornament im soge -
nannten Stiftmosaik noch die ältere, im Mittelalter gebräuchliche Art re-
präsentirt, welche im siebzehnten Jahrhundert nach Indien hinüberging
und dort noch heute als Bombay-Arbeit blüht. Unser Gegenstand, Arbeit
des 17. Jahrhunderts, ist Eigenthum des Herrn von Rosenberg.
Wie schon ein flüchtiger Blick auf unsere Ausstellung lehrt, blieb
der Geschmack der »Cabinette« nicht bei Ebenholz und Elfenbein stehen,
sondern verwendete bald daneben bunte Steinarten (Nr. 106), insbesondere
lapis lazuli, dann den sogenannten Ruinenmarmor, der Felsenlandschaften
oderRuinen vorstellen sollte — davon Nr. io5, Eigenthum des Herrn
Grafen Nakö, ein bedeutendes Beispiel ist — oder verband verschiedene
Mosaikarten mit einander. Von letzterer Art, der Verbindung der Holz -
intarsia mit der Florentiner Mosaik, in pietra dura, gibt Nr. 84, Eigen -
thum des Herrn v. Falbe, ein gutes Muster. Im achtzehnten Jahrhundert
war es sodann das rothe Schildkrot, welches vor allem zu solchen Arbeiten
beliebt wurde, sei es in Verbindung mit Ebenholz (Nr. 77, Eigenthum des
Herrn v. Falbe), sei es mit der Holzintarsia oder mit Metall. Aus der
letzteren Verbindung gingen die berühmten Boule-Arbeiten hervor, davon
wir in einem Secretär (Nr. 161) und in einer Comtnode (Nr. 162) zwei
glänzende Repräsentanten auf der Ausstellung finden; beide sind Eigen -
thum des Fürsten Friedrich Liechtenstein. Zu ihnen gesellt sich ein nicht
minder glänzendes Prachtstück, welches von dem Gemisch aller der vei-
schiedenen Arten, von der Verbindung von Schildkrot, Metall, Elfenbein,
Holzmarqueterie eine vortreffliche Idee gibt. Es ist Nr. 1 59, ein Cabinet -
kasten mit kunstvoller innerer Einrichtung und gleichem prachtvollen
Untergestell, einstmals ein Geschenk der Königin Maria Leszinska von
Frankreich, gegenwärtig Eigenthum des Fürsten August Liechtenstein.
Eine Zeit, aus der solche Arbeiten hervorgingen, wir machen sie heute
wohl auch noch, aber nur als Nachahmung, — mochte sich rühmen, noch
etwas zu können und noch ihr Eigenes zu haben. Den letzteren Vorzug
wenigstens hat sich das neunzehnte Jahrhundert bis jetzt noch nicht zu -
schreiben können.
■
i6 —
V.
Wir haben bisher vorwiegend Kästen, Schränke und dergleichen
Möbelstücke der solideren Art zu besprechen gehabt. Wenn sie nach
Menge wie Bedeutung in der That den Hauptbestandtheil der Ausstellung
bilden, so liegt das in der Natur der Sache. In ihrer architektonischen
Beschaffenheit im Allgemeinen von grösserer und soliderer Art, haben sie
eben mehr Beachtung gefunden und dem Verderben der Zeit, dem Unter -
gang durch den Gebrauch besser widerstanden. Was uns die Vergangen -
heit von Holzmobiliar hinterlassen hat, gehört überwiegend dieser Classe
von Gegenständen an.
Nichtsdestoweniger sind wir keineswegs arm an Sitzmöbeln oder
sonstigen Geräthen der Vergangenheit. Wenn die Ausstellung sie nicht
in gleicher Weise vielseitig uns vorführt, so wenig nach der Art, wie nach
der Zeit, so kommt das wohl einerseits daher, dass die Fülle des Vor -
handenen an grossen Standmöbeln die Räume schneller ausfüllte, als er -
wartet war, andererseits daher, dass die Entwicklung des eigentlichen
Sitzmöbels erst später beginnt und bis in die Zeit des Rococo nicht die
gleiche reiche Entfaltung nahm.
Das Mittelalter war sehr arm an beweglichem Gestühl; Bänke, die
meist fest an der Wand waren, und Truhen ersetzten den Einzelsitz.
Selbst im sechzehnten Jahrhundert ist derselbe noch verhältnissmässig
selten. Was auf der Ausstellung die Formen dieser Kunstperiode zeigt,
das ist das sophaartige Sitzgeräth Nr. 45 (Eigenthum des Fürsten Johann
Liechtenstein), das auch in seinen figürlichen Reliefs Reiz und Interesse
bietet und in seinen Lehnen ein hübsches Motiv gewährt. Es stammt
vom Nieder-Rhein. Ferner tragen den Stempel der gleichen Zeit, aber
italienischen Ursprungs, die beiden mit Intarsia verzierten Fauteuils
Nr. 98, 99, Eigenthum des Herrn von Rosenberg. Das constructive Mo -
tiv derselben, das dem uralten Faltstuhl entlehnt ist, stammt sogar aus
dem Mittelalter. Eine Truhe (Nr. 28), Eigenthum des Herrn Zelebor,
dient als Beispiel jener Truhen, welche, mit Kissen belegt, zu Sitzbänken
benützt wurden. Ein weit schöneres und grösseres Beispiel dieser Art
mit vortrefflicher Figurenschnitzerei aus guter Zeit befindet sich im Möbel -
saal des Oesterr. Museums.
Das ist Alles, was die Ausstellung an Sitzmobiliar aus dem sech -
zehnten Jahrhundert darbietet. Um so reicher ist das siebzehnte Jahr -
hundert vertreten, in dessen erster Hälfte das gepolsterte Sitzmöbel eigentlich
erst seinen Anfang nahm. Vor Allem zeigen sich eine Anzahl Lederstühle
spanischen oder portugiesischen Ursprungs aus verschiedenem Besitz, die,
sonst selten zu sehen und zu treffen, sich hier in überraschend grosser
Zahl zusammengefunden haben. Ihre einfachen Formen, die Gleichartig -
keit der Verzierung und des Beschläges mit den grossen Knöpfen zeigen,
dass sie alle ziemlich der gleichen Zeit entstammen, der ersten Hälfte
oder der Mitte des siebzehnten ‘Jahrhunderts. Die Lederarbeit, welche
r*"
i:. .
7 —
Sitz und Rückenlehne deckt, ist interessant in der Technik, die theils ge -
presst, theils geschnitten ist, so wie ausgezeichnet durch die schönen und
mannigfachen Muster, welche sie darbietet. Die Grundform dieser Stühle
ist wie geschaffen zur Anwendung in unseren modernen, nach künst -
lerischem Geschmack eingerichteten Speisezimmern *).
Eine zweite Serie verschiedenartiger, auch ihrem Ursprünge nach
etwas späterer Stühle bietet die Ausstellung aus dem Besitz des Fürsten
Johann Liechtenstein dar. Sie gehören fast sämmtlich der zweiten Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts an. Durch seinen grossen Bau so wie durch
seine Bequemlichkeit, die man in jener Zeit nicht zu finden erwartet,
zeichnet sich ein grosser geschnitzter Fauteuil Nr. 54 aus. Zwei andere
Sessel aus schwarzem Holz von Kölner Arbeit, Nr. 55 und 56, tragen im
Gegensatz den Charakter der Zierlichkeit und Leichtigkeit bei ganz solider,
naturgemässer Construction. Auch sie sind in ihrer Art mustergiltig.
Sie waren zuerst im Besitze eines in der Kunstgeschichte des siebzehnten
Jahrhunderts nicht unbekannten Mannes, des Kunstfreundes und Sammlers
Jabach in Köln. Andere Motive verschiedener Art, theils mit niederer,
theils mit hoher, theils mit geschnitzter und durchbrochener Lehne geben
die Nummern 36 und 38, 42 und 43, 52 und 53, sämmtlich Eigenthum
des Fürsten Johann Liechtenstein. Zu ihnen kommen noch ein Paar
Stühle mit reich geschnitzter Lehne von der Art jener, die man gewöhn -
lich als Bauernsesseln bezeichnet, Nr. 49 und 5o, Eigenthum des Herrn
Weyden. Die eigentlichen Sitzmöbel der Rococozeit, das ganze Genre
der geschweiften Fauteuils, das der Bequemlichkeit dient, aber der Struc-
tur des Holzes zuwiderhandelt, ist auf der Ausstellung nicht vertreten.
Auch mit den Tischen sind wir vorzugsweise auf die ältere Zeit an -
gewiesen und das ist in der Ordnung, denn die geschweiften, willkürlichen
Tischformen der Rococozeit, von denen die heutigen noch zum grössten
Theil abhängen, sind eben diejenigen, welche wir verbannen müssen. Es
wäre leicht gewesen, aus ihnen eine der Zahl nach bedeutende Ausstellung
zu schaffen, aber sie würden nur das Mustergiltige erdrückt haben. Viel
ist es allerdings nicht, was wir an Tischen finden, aber das Wenige ist
gut und lehrreich. Ein Paar interessante Tische gothischen Styls, der
eine aus Salzburg, der andere vom Nieder-Rhein, sind bereits oben er -
wähnt worden. Das sechzehnte Jahrhundert ist nicht vertreten, wenn wir
nicht in dieser Classe des Nähtischchens Nr. 41 (Eigenthum des Fürsten
Johann Liechtenstein) gedenken sollen, eines höchst seltenen und durch
seine Reliefs doppelt interessanten Stückes, das der ersten Hälfte des ge -
nannten Jahrhunderts angehört. Dagegen bringt das siebzehnte, gleich
aus seinem Anfang in Nr. 5i und 164, ein paar Beispiele niederrheinischer
oder holländischer Art, wie wir sie auf den alten Bildern oder den Ent -
würfen von Vredeman Vriese, de Passe u. A. nicht trefflicher und cha-
*) Sechs von diesen Lederstühlen wurden für das Museum angekauft.
2
i8 —
rakterischer finden können. Ihr dunkles Colorit, aus schwarzem und
braunem Holze zusammengelegt, die kräftige Platte, die soliden, unten
verbundenen Beine mit ihren Kugeln, dazu die Löwenköpfe und Messing -
ringe in ihrem Maule — sie repräsentiren völlig, was wir uns unter der
Solidität der Gemüthlichkeit, der Behaglichkeit der alten Wohnung vor -
stellen, und doch geht ihnen eine gewisse Vornehmheit in ihrem Ernst
und ihrer Festigkeit nicht ab. Es ist eben keinerlei Schwindel dabei, der
heute mit Schnitzwerk und Figuren unter dem Tische sein Wesen treibt.
Bei der Einfachheit, bei der Leichtigkeit der Herstellung und also der
Billigkeit ist auf der ganzen Ausstellung kaum etwas, was sich so sehr
der directen Verwendung für moderne Zwecke empfiehlt. Ein anderer
Tisch des siebzehnten Jahrhunderts, welcher Beachtung verdient, ist Nr. 48,
Eigenthum des Herrn Weyden. Er ist interessant durch die alte, aus dem
Mittelalter überlieferte Construction, die sich noch heute im Bauernmobi -
liar erhalten hat — leider nur in diesem! Ein Paar portugiesische Tische
aus der gleichen Zeit, die in merkwürdiger Weise ältere Motive mit denen
des siebzehnten Jahrhunderts vereinigen, Eigenthum des Herrn Bourgeois,
haben erst in den letzten Tagen willkommene Ergänzung gebracht, daher
sie noch nicht mit in den Katalog aufgenommen sind *).
Auch vom übrigen Hausrath birgt die Ausstellung noch manches
Stück, doch tritt es, weil vereinzelt, nicht so lehrreich und bedeutend
auf. Nur eine Anzahl Rahmen, sei es für Bilder, sei es für Spiegel, ver -
dienen noch besondere Erwähnung. Das moderne Antiquariat verwechselt
sie oft und benützt für Spiegel, was einst Bilderrahmen war. Dies gilt
z. B. von dem interessanten Stück Nr. 164, Eigenthum der Frau v. Lit-
trow, nicht aber von dem reizenden Spiegel des Grafen Edmund Zichy
Nr. 148, bei welchem zwei Figuren, ein Herr und eine Dame in der ele -
ganten Tracht von etwa 1635, mit coquet graciöser Bewegung so ange -
bracht sind, dass sie ihre liebenswürdige Erscheinung im Spiegel betrachten.
Auch das Rococo hat von Spiegeln eine Anzahl zur Ausstellung ge -
liefert, meist kleinere Stücke mit capriciösem, keck und willkürlich her -
ausspringendem Ornament, sämmtlich Eigenthum des Herrn v. Falbe.
Welchen Gegensatz bildet dazu der prächtige Rahmen des sechzehnten
Jahrhunderts aus der schönsten Venezianer Zeit, vollkommen angemessen,
ein Tizian’sches Portrait oder einen ernsten, dunklen Tintoretto in sich
zu fassen! Wir meinen Nr. i52, Eigenthum des Grafen Hoyos. Zwischen
diesem Ernste und der Ueberleichtigkeit des Rococo stehen in der Mitte
mit ihrem Charakter zwei mit Laub und zum Theile mit Figuren reich
geschnitzte Spiegelrahmen, Nr. 59 und 60, wohl niederländischen Ur -
sprungs. Beide sind Eigenthum des Fürsten Johann von Liechtenstein.
Ein geschnitztes Weihbrunngefäss (Nr. 140, Eigenthum des Grafen Hoyos)
schliesst sich an Zierlichkeit und Schönheit ihnen an, obwohl es etwas
älter und italienischen Ursprungs ist.
*) Einer davon wurde für das Museum erworben.
"9 —
Alle diese Gegenstände — es gibt gewiss viel schönere und reichere
noch, als wir sie hier auf der Ausstellung sehen — haben einen Vorzug:
sie sind lehrreich. Und das ist’s, worauf es ankam. Die Rahmen z. B.
bilden sämmtlich einen Gegensatz zu den modernen. Die heutigen treten
hoch und massig mit ihren Profilen von der Wand heraus und schliessen
das Bild tief in einen Kasten ein; die alten schmiegen sich flach an die
Wand und bilden daher zugleich eine Decoration für diese. Die unseren
zerstören ästhetisch die Wand, die alten schmücken sie. Und so wird
man auch den übrigen Arbeiten, den Kästen, Schränken, Buffets, dem
Sitzgestühle, wenn man ihre Eigenthümlichkeit studiren will, gesunde und
brauchbare Motive entnehmen; wird man an ihnen lernen, auf den Grund
der Dinge zu schauen und sich nicht blenden zu lassen von dem glän -
zenden Beiwerk, womit unsere modernen Arbeiten so häufig die mangel -
hafte Anlage verdecken. Wie unscheinbar treten uns auf den ersten Blick
alle diese alten Gegenstände entgegen, denen alle Politur, »Europa’s über -
tünchte Höflichkeit« zu mangeln scheint, an denen die Zeit zum Theil
schon arge Zerstörung angerichtet hat, — und dennoch, je mehr wir uns
mit ihnen abgeben, auf ihr Wesen uns einlassen, desto lieber gewinnen
wir sie, desto mehr lernen wir sie schätzen in ihrer gesunden, tüchtigen
Kernhaftigkeit.
VI.
In jüngster Zeit ist diese Ausstellung, wie die neue Ausgabe des
Kataloges nachweiset, wiederum um eine Anzahl interessanter Möbelstücke
bereichert worden, so dass wir es nicht unterlassen können, unserem bis -
herigen Berichte einen Nachtrag anzufügen. Auch bekennen wir gerne,
in dem Bestreben, kurz zu sein, den einen oder anderen Gegenstand
minder berücksichtigt oder wohl gar übersehen zu haben.
Dieses Vergessen hat zum Beispiel einen eigenthümlichen Wandkasten
aus dem Besitze des Herrn Trau betroffen (Nr. 134), den wir noch hätten
den spanischen Arbeiten anreihen sollen. Auf einer Anzahl leichter Säul-
chen, die den unteren Theil offen lassen, erhebt sich ein mässig hoher
Kasten von braunem Holze, der ganz auf seinen Flächen wie um die
Säulen herum mit eingelegten Arabesken, Blumen und Cherubimköpfen
in Perlmutter bedeckt ist. Geben diese Köpfe so wie die Zeichnung des
Ornaments christlichen Ursprung zu erkennen, so bilden der Aufbau des
Kastens wie die Technik der Verzierung entschieden eine maurische Re-
miniscenz. Letztere ist noch heute von den Türken in ihren zahlreichen
musivischen Perlmutterarbeiten, mit denen sie ihre Möbel bedecken, fest -
gehalten.
Haben wir in diesem Stück aus Spanien eine »westöstliche« Tradi -
tion, so hat uns auch der eigentliche und ferne Orient nicht im Stiche
gelassen. Längst bekannt sind den Besuchern des Museums die mit Stift-
20
mosaik bedeckten persischen Sessel und der grosse Thron, auf welchem
es dem Thronenden gestattet ist, bequem auf Kissen gebettet die Huldi -
gungen in Empfang zu nehmen. Die Technik der Verzierung, die, wie es
wahrscheinlich ist und wie auch bezeugt wird, von Florenz ausgegangen,
mag man mit einem schon früher beschriebenen Cabinetkasten von Flo -
rentiner Herkunft aus dem 17. Jahrhundert (Nr. 143) vergleichen. Auch
Japan hat in zwei grossen kofferartigen Truhen von vieux laque (Nr. 17,
18, Eigenthum des Grafen Zichy) einen Beitrag gesendet, der in seiner
Art sehr schön ist, wenn das Genre auch nicht im Ziel dieser Ausstellung
lag. Daher sind sie vereinzelt geblieben und haben nur in Nr. 20 einen
verwandtschaftlichen Genossen gefunden. Es ist ein grosser chinesischer
Wandschirm, dessen reiche Verzierung vertieft eingeschnitten und mit
kalter Lackfarbe ausgemalt ist.
Auch die Uhren haben wir übergangen. Allerdings ist vom Stand -
punkt des feineren Kunstgeschmacks gar nichts von besonderer Bedeutung
darunter und man sieht ihrer Aufstellung an, dass sie wohl nur zur Ver -
vollständigung und zur Decoration vorhanden sind, um uns die Formen
gewisser Wandmöbel, auf denen sie Stellung fanden, verständlicher zu
machen. Indessen auch so sind sie lehrreich, nicht blos weil sie uns einen
Begriff von den alten Formen geben, von der Gestaltung, von dem Ge -
häuse, von der Verzierung des Zifferblattes, sondern auch im Gegensatz
zu dem, was heute in ihrer Art geschaffen wird. Bei den alten Uhren,
sei es nun bei den kleinen Wanduhren, die meistens in Metallgehäusen
eingeschlossen sind, oder bei den Wanduhren, deren Kasten ein richtiges
Stück Möbel bildet, das decorativ seinen Platz an der Wand ausfüllt, ist
die äussere Form, die Hülle, der Kasten immer das Resultat des Uhr -
werkes selber nach seiner Gestalt und das Ornament schliesst sich daran
in engster Weise an. Höchstens erinnern gewisse Standuhren mit Säulchen
an den vier Ecken, mit Galerien und Kuppelglocken in zierlich durchbro -
chenem Aufbau an Thurmbildungen, aber in so bescheidener Weise, so
massvoll und so dem Gegenstände angepasst, dass man die Art nicht
schelten kann. Vielmehr erfreut sie sich nicht mit Unrecht grosser Beliebt -
heit unter den Kunstfreunden.
Ganz anders ist es bei den modernen Uhren. Hier ist gemeiniglich
der Kasten die Hauptsache, das Uhrwerk und Zifferblatt selbst die Neben -
sache. Bei den französischen Uhren — und ihnen folgt noch alle Welt —
glauben wir mehr ein kleines Monument zu sehen, eine antike Figur grie -
chischer oder neuerdings ägyptischer Herkunft, die auf ihrem Postamente
ruht, oder Gruppen oder Vasen oder sonst mancherlei Dinge, die mit dem
Gegenstände möglichst wenig Beziehung haben, und die Uhr selbst ist so
nebensächlich, vielleicht gar in einer Ecke angebracht. Und das Alles muss
hübsch unter einer Glasglocke stehen, die man noch mehr hüten muss als
das Uhrendenkmal selber. Hier in Wien zeigen die Gehäuse der Wand -
uhren vielfach bereits eine Besserung, einen Uebergang zu rationellen
■— 21 —
Formen. Wie wenig aber diese Richtung sonst in der Welt durchgedrungen
oder nur gekannt ist, lehrt der Unsinn, den heute — und gerade erst in
jüngster Zeit — die Schwarzwälder mit ihren geschnitzten Uhrgehäusen
treiben, ein Unsinn, der ex professo durch Schulen noch künstlich gross -
gezogen ist. Das ganze Gebirg mit seiner Natur, seinen Thieren, seinen
Bewohnen, seinen Sitten treibt sich anspruchsvoll um so ein armseliges
Uhrwerk herum, dass man wirklich die alte, bescheidene 1 Art mit schlecht ge -
malten Blumen auf emaillirtem oder porzellanenem Zifferblatt noch vorzieht.
Doch zurück von dieser kleinen Abschweifung zu unserer Ausstel -
lung, davon wir noch besonders besprechen wollten, was sie in jüngster
Zeit an Ergänzungen erhalten hat. Das bedeutendste davon sind einige
Kästen aus dem Besitze der Herren Bourgeois in Heidelberg, darunter
selbst ein seltenes gothisches Stück (Nr. 176), niederrheinischen Ursprungs,
aus der zweiten Hälfte des i5. Jahrhunderts. Es ist ein kleiner Wand -
kasten in zwei Abtheilungen, die Thürfüllungen mit Wappen und Helmen
und äusserst zierlicher, zu Laubwerk zerschnittener Helmdecke in Relief
überzogen, auch mit reichem Eisenwerk versehen, das, aus Bändern,
Schloss, Griff u. s. w. bestehend, einen Hauptschmuck bildet. Dieser Eisen -
beschlag ist platt und scharfkantig, ebenso wie auf den gothischen Möbeln
rheinischen Ursprungs aus dem Besitz des Fürsten Liechtenstein, nicht
getrieben und gebuckelt und zu der zierlichen, plastischen Lebendigkeit
ausgearbeitet wie das Nürnberger, Augsburger oder sonst süddeutsche
Eisenwerk der gleichen Epoche. Es scheint darin ein charakteristischer
Unterschied für die norddeutsche und die süddeutsche Arbeit in diesem
Metall zu liegen.
Ein anderer Wandkasten aus dem gleichen Besitz (Nr. 179) stellt
uns mit gemischt gothischen und Renaissancemotiven den Uebergang
aus der einen Kunstperiode in die andere dar. Man möchte indess nicht
blos gemischten Styl und gemischten Geschmack, sondern auch verschie -
dene Hände daran wahrnehmen, so dass man sich des Eindruckes nicht
erwehren kann, als ob die drei Einheiten von Zeit, Ort und Idee erst
später mit einiger Kunst und Gewalt an diesem Stücke hergestellt seien.
Vortrefflich sind dagegen die beiden grossen, ebenfalls neu hinzugekom -
menen Wandkästen Nr. 177 und 178 (gleichfalls Eigenthum der Herren
Bourgeois), deutsche Renaissancearbeiten aus der Mitte oder der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Beide sind offenbar, wie die kleinen land -
schaftlichen, mit religiösen Figuren staffirten Reliefs in den Füllungen
erkennen lassen, des gleichen Ursprungs und bilden in Grösse und in
ihrem ausgezeichneten Bau Seitenstücke, obwohl der obere Theil insofern
Verschiedenheiten bietet, als er bei dem einen zurücktritt und das Haupt -
gesims von drei Karyatiden getragen wird. Dieses reizende Motiv der
architektonischen Construction, das wir sehr häufig an den Kästen unserer
Ausstellung finden, ist der heutigen Schreinerei gänzlich unbekannt. Schon
das 18. Jahrhundert hatte es aufgegeben.
22
Auch aus dem Besitz des Architekten Bäumer, Erbauer des Nord -
westbahnhofes, sind ein paar gute Möbelstücke hinzugekommen, ein grosser
Wandkasten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Nr. 172) von der Art
jener früher von uns geschilderten, die architektonischen Bau mit einer
Zusammensetzung verschiedener Hölzer verbinden, und ein niederer, halb -
hoher Wandschrank (Nr. 183) aus dem Anfänge des 17. Jahrhunderts von
ganz vortrefflichem architektonischen Arrangement. Auch diese Art von
Kästen, die dem Gebrauche mancherlei Bequemlichkeit bieten und mit ihrer
geringeren Höhe sich sehr gut zum Aufstellen verschiedener Gegenstände
verwenden lassen, ist heute ganz aus dem Gebrauche verschwunden.
Minder bedeutend erscheint, was an Sitzmobilien hinzugekommen ist;
doch sind hier zwei charakteristische Stücke zu erwähnen: eine grosse
Truhe mit geschnitztem Yordertheil, die als viersitzige Bank sophaartig
gedient hat (Nr. 180, Eigenthum der Frau v. Littrow), so wie ein Fau -
teuil mit gebogenen Armlehnen und Beinen und mit geschnitztem, mit
einem Mascaron verzierten Rücken, der ganz noch die Form aus dem An -
fänge des 16. Jahrhunderts bewahrt hat, seiner Ornamentation nach aber
wohl erst etwas späteren Datums ist. Es ist Nr. 16 5, Eigenthum des Gra -
fen Na kö.
Wie bei diesem Sessel, der eine für unser Auge etwas bizarre Form
hat und dennoch, mit Ausnahme der geschnitzten Rücklehne, von ratio -
neller Art ist, so mag es uns bei manchem anderen Stück der Ausstellung
ergehen, dass es uns schwer, seltsam, vielleicht auch unpraktisch vor -
kommt. Zum Theil mag das richtig sein, für unsere Lebensweise wenig -
stens, die sich seit der Urväter Zeiten mannigfach verändert hat; zum
Theil scheint es nur so, weil uns der Gebrauch dieser Dinge abhanden
gekommen und ihre Anwendung unverständlich ist.
In Wahrheit lernen wir die Bedeutung und den Werth dieser alten
Möbel erst recht verstehen, wenn wir sie nicht in der Vereinzelung, wie
auf der Ausstellung, sondern in der richtigen Zusammenstellung, im En -
semble des ganzen Zimmers mit dem entsprechenden Hintergründe be -
trachten können. Davon vermochte unsere Ausstellung, wie es in ihrer
Natur liegt, allerdings nur Andeutungen zu geben.
Dennoch finden wir auch hiefür ein kleines Auskunftsmittel, das
unserer Phantasie zu Hilfe kommt, in der Ausstellung von Bilderwerken,
Holzschnitten und Kupferstichen, welche aus dem Kupferstichcabinet des
Museums den Originalmöbeln zur Ergänzung dient. Verschiedene Interieurs
reicherer und einfacherer Zimmer vom Anfang des 16. Jahrhunderts an
geben uns die Zusammenstellung und lehren uns den Gebrauch verschie -
dener Dinge. Auf den reizenden Stichen von Abraham de Bosse sehen
wir selbst die Dame bei der Toilette vor dem Spiegel sitzen, wir sehen
auf einem anderen Blatte eine feine Gesellschaft die reich besetzte Tafel
umgeben. Mit der Einrichtung des Bettes und des Schlafzimmers, dem
Waschapparat und ähnlichen Dingen aus verschiedenen Zeiten werden wir
— 23 —
vollkommen vertraut. Zudem geben uns zahlreiche Möbelzeichnungen, die
wir von den Kleinmeistern des deutschen Kupferstichs an bis auf die
steifen Zeiten des Empire und der gräcisirenden buntfarbigen Sessel Schin-
kel’s, selbst bis zur modernen französischen Ebenisterei verfolgen können,
Varianten aller Art und Richtung, so dass wir an ihnen einen vollen
Cursus der modernen Möbelgeschichte bildlich durchmachen können.
Auch das Absonderliche, wie es unsere heutige Mode liebt, findet
seine Stätte dabei, so z. B. ein vortreffliches Seitenstück zu unserem heu -
tigen Rauch- und Reitsessel in einem »bidet avec necessaire« oder »bidet
avec toilette«, ein Sessel, der in seinen Rücklehnen einen Schrank mit allen
Utensilien der Toilette birgt und auf der Lehne selbst einen Tisch
trägt, damit die Kammerfrau oder der Friseur alles Nöthige bei der Toi -
lette sogleich zur Hand hat. Damit unsere Damen den Herren gegenüber
nicht zu kurz kommen und auch etwas Apartes haben, empfehlen wir
dieses Stück den Herren Tapezierern, die damit etwas »ganz Neues« auf
den Markt werfen würden. Ohnehin lieben sie ja die Zusammenstellung
der heterogensten Dinge, z. B. des Stiefelknechts und des Kleiderhakens,
an einem und demselben Stück, wie weiland der berühmte Wiener Maler
Wehmüller — ich weiss nicht, ob das biographische Lexicon ihn kennt
— der auf ungarische Nationalgesichter reiste, einen Malstock mit sich
führte, der zu sechszehn verschiedenen Dingen diente, erstens zu sich
selber, d. h. zu einem Malstock, sodann zum Spazierstock, zum Sonnen-
und Regenschirm, zum Feldsessel und unter anderem auch zum Futteral,
um die Nationalporträts zu halten, die der Künstler in Wien fertig malte
und in Ungarn zur Auswahl feilbot.
Doch sei es ferne von uns, die Möbelausstellung des Oesterr. Mu -
seums nur aus diesem Gesichtspunkt unseren Gewerbsleuten und Indu -
striellen empfehlen zu wollen. Wir glauben aufrichtig, dass ihr eifriges
Studium den Sommer hindurch ihnen viel Frucht und Gewinn bringen
könne.
Verlag des k. k. Museums.
Buelidruekerei von Carl Gerold’s Solm in Wien.
MAK-Bibliothek
+XM5782600