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Anfangs fand man es in Belgien nicht leicht, die geeigneten Leiter dir die Lehr-
werkstiitten zu finden. In vielen Fällen boten sich keine Unternehmer an, und es musste
zum Betrieb durch eine Commission geschritten werden. Aber das war nur anfangs der
Fall. Gar bald verbreitete sich die Ueberzeugung, dass durch Uebernahrne der Anstalt
sich ein recht gutes Geschliß machen lasse, und dann fehlte es nicht mehr an kleinen
Fabrikanten, Werkmeistern oder Kaufleuten, welche sich mit den Behörden über Errich-
tung von Musterwcrkstätten verständigten. Sie mietheten in der Regel ein billiges Local,
oft nur eine Scheune oder einen Speicher und engagirten einen in der Arbeit erfahrenen
und zur Unterweisung geeigneten Werkmeister im Inland oder Ausland. Handelte es sich
um den Unterricht von Mädchen, so wählte man eine Werkrneisterin. Diese vertheilten
nun das Material, halfen bei Herrichtung der Werkzeuge, überwachten die Anfertigung
und visitirten und beurtheilten die fertige Wsare. Die besten Erfolge wurden hegreidich
dann erzielt, wenn der Unternehmer sich persönlich stets von dem Gang der Werkstatt
überzeugte. 'x
Die Verpflichtungen, die ein solcher Unternehmer übernahm, waren in der Regel
folgende: 1. an dem betreffenden Orte ein Atelier einzurichten und für eins bestimmte
Reihe von Jahren in Gang zu erhalten; 2. eine gewisse Zahl Arbeiter zu beschäftigen und
diesen ein Minimum an Tagelohn zu garautiren; auch dieselben nach ihrer Entlassung aus
dem Atelier mit Auhrägen zu versorgen; 8. keine fremden Arbeiter mit Ausnahme des
Werkmeisters anzunehmen; 4. jedem mit einer Autorisaüon des Gouverneurs Verseheuen
den Besuch des Ateliers zu gestatten; 5. sich dem Oberanfsichtsreaht des Staats zu unter-
werfen. Dieses wird an Ort und Stelle durch eine vom Staats ernannte Commissiou aus-
geübt, welcher indessen eine entscheidende Stimme nicht zusteht, die aber verbunden ist,
sich von der Lage des Ateliers, der Zahl der darin beschiiiügfßn Arbeiter, ihres Tage-
lohns, ihres Ein- und Austrittes u. s. w. in fortwährender Kenntniss zu erhalten. In Ost-
Flandem wird hierüber ein Tagebuch geführt und dem Commissir des Gouverneurs bei
seinen Inspecüonsreisen vorgelegt. Als Ausiluss dieser Oberaufsicht reservirt sich der Staat
meist das Recht, die Arbeiter, sobald er sie dir ausgebildet erachtet, zu wechseln, ohne
jedoch gerade häufig von dieser Befugniss Gebrauch zu machen, da es, - wenn das Unter-
nehmen prosperirt - im eigenen Interesse des Fabrikanten liegt, die geschickten Arbeiter
in ihrer Wohnung au beschädigen, und das Atelier selbst zur Heraubildung neuer Krähe
zu benutzen. In neuerer Zeit hat man von dem Unternehmer ferner verlangt, dass er
I5. neben dem Atelier eine Schule fir den Elementarunterricht und 7. eine gegenseitige
Hilfscasse fir die von ihm beschädigten Arbeiter cinrichte.
Die Beihilfe, welche von Seiten des Staats, der Provinz und der Gemeinde zugesagt
wird, besteht meist l. in der Gewährung des erforderlichen Lncals, des Lichts und der
Heizung; 2. in einer basren Unterstützung bei der ersten Einrichtung durch Her-gebe der
Kosten für einen Theil der aufznstellenden Stühle, zur Erweiterung oder zum Ausbau des
Locsls u. s. w.; 3. in dem Gehalt für den Werkmeister; 4. in einer Entschädigung in
Psusch und Bogen fiir Verluste, welche den Fabrikanten im Anfange durch die Unge-
schicklichkeit der Arbeiter entstehen.
Die Gemeinden haben sich ferner hier und da anheischig gemacht, den Arbeitern
für die erste Zeit ihrer Beschädigung einen Beitrag zu ihrer Unterhaltung - entweder
durch Verabreichung von Suppen - oder im Gelde (gewöhnlich 10 Nkr. tiglich) - zu ge-
währen. Feste Grundsätze über die Betheiligung des Staates, der Provinz und der Com-
mune bei Aufbringung der Unterstützung hat man nicht aufgestellt und auch nicht wohl
aufstehen können. Man trägt hierbei den örtlichen Verhältnissen und der Vermögenslage
der Gemeinden Rechnung.
Einige bestimmte Fälle werden das Vorgehen bei Gründung der Lehrwerkstiüen
noch mehr veranschaulichen. Ein Herr D. verpflichtete sich durch Vertrag vom 2d. Mhlrz 1848,
die Weber von Sleydingen und den benachbarten Ortschaden in den vervollkonunnetsten
Methoden der Leinenwebersi nnterweiscn zu lassen und sie in den Stand zu setzen, min-
destens 40 kr. täglich zu verdienen. In einem von der Gemeinde hergegebenen Raume
des Krankenhauses wurden zuerst 8 Wehstühle aufgestellt, nach drei Monaten wurden
daraus ll, nach zwei Jahren mehr als 30 Stühle; im Jahre 1853 hatte Herr D. in einem
von ihm erbauten neuen Locale über 50 Stühle im Gang. In einer von 100 Spinnerinueu
besuchten Spinnschulc wurde die Verfertignng von Garnen gelehrt, die als Einschuss in
eine Kette von Mascbinengarn verwendet wurden. Das Atelier zählte bald 257 Arbeiter
beider Geschlechter; die Weber verdienten 40-60 kr., während sie früher nur 20' kr. er-
halten hatten. Durch die Lehrwerkstiitte hat sich also der Taglohn um mehr als das
Doppelte erhöht. Die Zahl der von den Wohlthätigkeitsanstalten unterstützten Armen wnr
nach dreijährigen: Bestehen der Laehrwerkstätte von M11) auf 1850 herabgegaugeh. Das
Atelier wirkte besonders desshalb so wohlthitig, weil durch seine Einwirkung die Arbeiter
in Stand gesetzt wurden, grössere Partien vollkommen gleicher Waaren zu liefern und die