Wohnräume „im alten Stil" haben will, gleichviel ob mit alten
Möbeln oder modernen in altem Stil, muss dazu auch einen gewissen
Grad von Verständnis gepaart mit Liebe zur Sache mitbringen. Wem
Beides fehlt, und wer gutem Rath sein Ohr verschliesst, der lasse
seine Finger davon. Wer zu einem alten Interieur noch alte Tracht
der Bewohner verlangt, darf füglich auch die Aussicht auf ein idyllisch
gelegenes Dörfchen nur im Bauemkittel und eine Berglandschaft nur
in Tiroler-Loden bewundern, muss zur Besichtigung einer Regatta
Matrosenkleider mitbringen und im Theater nur in einem Kleide
erscheinen, das streng nach Ort und Zeit der Handlung zugeschnitten ist.
So lange wir keine neue und selbständige Kunst haben, ist es
besser bei den Alten in die Lehre zu gehen, als planlos zusammen-
zustellen, was Zufall und Laune im Bazar und in diesem und jenem
Kunst- und Möbelmagazin gerade finden lassen. Wie man es machen
soll, wie die Vorzeit unserer Umgebung anzupassen ist, das lehren
uns alte Bilder jener Zeit, Wohnräume, die sich durch den Lauf der
Jahrhunderte ohne wesentliche Veränderungen im alten Zustande
erhalten haben, und endlich die modernen Interieurs erfahrenerForscher
und Sammler. Aus einer dieser Quellen seien heute einige Beiträge
zur Kenntnis der inneren Wohnungseinrichtung zur Zeit der Spät-
gothik geschöpft. Es betrifft die gothischen Interieurs aus Schloss
Issogne, einem in Valle d'Aosta, am rechten Ufer der Dora, nahe
dem Flecken Verres gelegenen altitalienischen Castello des XV. Jahr-
hunderts. Der Bau, um r4go entstanden, gehörte den Herren von
Challant, deren Wappen und sinnige Devise „TOVT EST ET N'EST
RIEN" im Schlosshofe angebracht ist. Es veranschaulicht, der ange-
gebenen Zeit entsprechend, den Übergangsstil von der Gothik in die
Renaissance, jene Kunstperiode, die von der Gothik das Beste bewahrt
und von der Renaissance das Beste schon in sich aufgenommen hatte.
Über das Schloss und seine Fresken habe ich bereits anderwärts be-
richtetf dagegen möchte ich hier noch einige Interieurs bekannt geben,
die ich in jener Publication nicht zur Abbildung brachte.
Ausserdem sei ein Bild des überaus ruhig wirkenden I-Iofraumes
gegeben, der uns in das Innere des Schlosses führt. Seine Mauern
sind mit Wappenmalereien geschmückt und wirksam belebt durch
die säulenumrahmten Fenster, sowie die Bogengänge der Entree und
des zweiten Stockwerkes. Im Letzteren sieht man auch auf dem Bilde
deutlich die Inschriften „La garde Robe, La tappysserie", welche
die Zwecke bezeichnen, denen die dort gelegenen Räume dienten: in
' R. Forrer, Späthgothische Wohnräume und Wandmalereien aus Schloss lssogne. Strass-
burg, X896, Schlesier ü: Schweikhardt. Mit 12 Tafeln.