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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

HERMANN MUTHESIUS 
ÜBER DIE NATIONALE BEDEUTUNG DER 
KUNSTGEWERBLICHEN BEWEGUNG 
n einem ausgezeichneten Vortrage auf der Dresdener Kunftgewerbe* 
ausftellung tagte Gebeimrat Dr. Hermann Mutbefius u. a. folgendes: 
Das neue Kunftgewerbe ift bisher mehr auf flusftellungen und in Zeit* 
fcbriften zutage getreten, als im deutfcben Haufe. Beide Propagations* 
mittel waren nötig, um fie überhaupt zur Kenntnis zu bringen. Nament* 
lieh waren die kunftgewerblichen flusftellungen Notprodukte. Und diefes 
Notprodukt lag mehr im Intereffe der Verbreitungen als der gefunden 
Entwicklung der neuen Gedanken, flusftellungen haben immer etwas 
künftlerifcbes und faft gefährliches. Befondere Gefahren liegen aber da 
vor, wo es fleh um flusftellungsgegenftände handelt, die eigentlich nur 
dem individuellen Gebrauche dienen können. Und in der Tat febreibt 
fich manches, was beute noch als mangelhaft und ungefund in den 
Äußerungen der neuen Bewegung erkannt wird, aus den flusftellungen 
her. Die Sucht nach blendenden Wirkungen und das Taften in will* 
kürlichem, äußerlichem flufput), die gefpreizte Pofe und hochtönende 
Pbrafe, fie find ausfcbließlicb eine Folge jenes ziellofen flrbeitens, das 
an die Stelle eines Beftellers eine Ausftellung feljt. Der Befteller hat 
feine beftimmten Wünfche, jeder Erker, jeder Tifcb, jeder Kaminplat) bat 
einen befonderen, aus der Örtlichkeit fich ergebenden Zweck, und aus 
diefem Zwecke heraus ergibt fich feine befondere Geftaltung. Vor allem 
aber fteht über dem Künftler der zukünftige Benutzer der Räume, der 
weniger Sinn für flufput}, als für ruhige Gebrauchsfäbigkeit befitjt. 
So übt die Wirklichkeit, wenn fie nur da ift, einen beilfamen Einfluß 
auf die geftaltende Hand des Künftlers aus. Und diejenigen, die fo 
rafcb bei der Hand find, die Pbantaftereien, die fich in der flusftellung 
noch bemerkbar machen, zu verurteilen, fie würden den gerügten Übel* 
ftänden am beften dadurch fteuern, daß fie dafür forgten, den Künftlern 
an Stelle der flusftellungsarbeiten wirkliche Aufträge zu verfebaffen. 
Die Entfaltung auf flusftellungen kann gerade auf kunftgewerblichem 
Gebiete nur eine entfernte Vorftellung davon geben, wie fich die Ver* 
bältniffe der Wirklichkeit gegenüber geftalten würden. Es ift wie mit 
Manöver und Kriegskunft, ftatt wirklicher Situationen liegen ange* 
nommene Fälle vor und die ganze Allgemeinheit und Verfchwommenbeit, 
die die Nicbtwirklicbkeit an fich hat, macht fich geltend. In der Wirk* 
liebkeit kommt alles anders. Urfache und Wirkung folgen febarf auf* 
einander und das Handeln ift ein Ergebnis der Notwendigkeit ftatt der 
Willkür. Es ift unbedingt nötig, diefe Abzüge bei Beurteilung der 
Leiftungen der Kunftgewerbe*flusftellungen zu machen. Aber man wird 
dann noch immer zugeben müffen, daß fich die Bewegung glänzend 
dokumentiert bat. Die deutfcben Künftler haben hier gezeigt, daß fie 
in der Lage find, die ihnen geftellten Aufgaben zu löfen. Es fehlen 
nur die Aufgaben. Sie haben gezeigt, daß fie eine neue, verfeinerte 
Kultur in das deutfebe Haus tragen können, es fehlen nur die, die diefe 
Kultur wünfehen. Das Examen ift glänzend beftanden, aber der Kan* 
didat wartet noch auf Aufteilung. Wird das deutfebe Volk nunmehr, 
nachdem ihm gezeigt worden ift, was das neue deutfebe Kunftgewerbe 
leiften kann, Gebrauch von ihm machen? Hier liegt der Kern des 
Problems. Das ift der Punkt, wo die Menge von Fragen und Zweifeln 
einfetjen, die man im Publikum zu vernehmen pflegt. Die neuen Innen* 
ausftattungen find angeblich zu teuer. Sie vertragen fich nicht mit dem 
überkommenen Mobiliare, fie find untulicb für Mietwohnungen, fie find 
zu individuell im Gefchmack. So weit diefe Einwände berechtigt find, 
beziehen fie fich aber alle nur auf die fpezififeben flusftellungs=Innen= 
räume. Im übrigen zeigt gerade diefe flusftellung, daß mit den Grund* 
fätjen des neuen Kunftgewerbes auch einfache und billige Gebrauchs* 
gegenftände bergeftellt werden können. Es fei nur an die Mafchinen* 
möbel der Dresdener Werkftätten und an die Zimmereinrichtungen des 
Leipziger Künftlerbundes erinnert. Der Einwand, daß fich die neuen 
Möbel mit dem überkommenden nicht vertragen, trifft nur auf die 
fcblecbten Möbel der Stilimitationszeit, nicht aber auf die vor 1840 zu. 
Die Pietät gegen die Stilmöbel ift nicht angebracht, denn wir ehren 
unfere Väter nicht damit, daß wir die Zeugen ihres fcblecbten Gefchmackes 
konfervieren. Die Mietwohnung läßt fich löfen, wenn man den Schritt 
tut, Wände und Decke den Farbenplan einzuordnen, auf welchen die 
Möbel geftimmt find. Nur der letzte Einwand des zu individuellen 
Gepräges bat einige Berechtigung. Es bedeutet für den felbftändigen 
Menfcben etwas wie eine Zumutung, fich von den oft ftark ausgefproebe* 
nen Sonderheiten einer modernen Zimmereinrichtung in feinem Haufe 
umgeben zu laffen. flbgefeben hiervon, wird es vielen überhaupt läftig 
fein, die tauten Töne einer künftlerifcb hochgeftimmten modernen 
Zimmereinrichtung ftändig neben fich und um fich fpielen zu laffen. 
Aber in der praktifeben Anwendung wird fich auch hier vieles ändern. 
Die flusftellungsräume zeigen noch allzuviel Künftlicbes, Gefcbraubtes, 
Geziertes und Gefucbtes, auch feiert man noch ausfcbließlicb Fefte, 
während das Leben vorwiegend arbeitfam, nüchtern und ernft ift. In 
unferm Haufe werden alte Räume mehr auf die Alltäglichkeit als auf 
die Fefte geftimmt fein müffen. Als feftlicber Raum genügt felbft in 
einem großen Haufe ein einziger. In ihm können und wollen wir das 
feftlicbe Gepräge feben, er bebt unfere Stimmung und fteigert unfer 
Feiertagsbebagen. Aber alle feftlicben flrbeits*, Schlaf* und Sprecb* 
zimmer wollen wir nicht, fie würden uns auf die Dauer unerträglich 
werden. Der Weg, um zu Annehmbarem zu gelangen, ift aber fehr 
einfach. Das Publikum verlangt einfache Gebraucbsftücke, und es wird 
fie haben. Es erfebeint aber anderfeits unnatürlich, vorauszufetjen, daß 
die ganze Ausftellung auf diefe einfachen Gebraucbsftücke hätte zuge* 
fchnitten werden follen, denn es muß dem Künftler unbenommen bleiben, 
den künftlerifeben Gedanken feines Werkes bis zur Vollkommenheit zu 
verfolgen. Für die wirtfcbaftticben Befcbränkungen forgt die Praxis 
von felbft. □ 
Aber auch in anderer Richtung taffen fich gemeinfame Grundzüge 
des modernen Kunftgewerbes erkennen. Vor allem werden zwei Grund* 
fätje mit Nachdruck verfolgt, die eine Zeitlang im Hintergründe ge* 
ftanden batten, und zwar der einer neuen einheitlichen Farbengebung 
und der eines gefteigerten architektonifchen Rhythmus. In der Farben* 
gebung bat die Entwicklung, die die Malerei in den lebten fünfzig 
Jahren genommen bat, befruchtend eingewirkt. Die moderne Malerei 
bat den primitiven Grundfat) der nebeneinandergefetjten Lokaltöne 
verlaßen, nachdem fie die großen Allgemeinwerte erkannt bat. Das 
Auge des Malers lieht jetjt diejenigen Farbenftimmungen, die fich aus 
der Brechung der Lokaltöne in der fltmofpbäre ergeben. Es find fo 
Gefichtspunkte eingetreten, die dem Bilde eine ftark ausgeprägte far* 
bige Einheit geben. Von der Malerei bat fich das Prinzip der einbeit* 
lieben Farbengebung auf die Leiftungen der neuen tektonifeben Kunft 
erftreckt. Das fpricht fich am deutlichften aus im modernen Innen* 
raume. Hier feben wir überall das Beftreben, die Farbengebung plan* 
mäßig zu regeln. Eine Farbe berrfcht vor, der fich die anderen unter* 
ordnen. Daß die Hauptfarben meiftens neutrale find, bängt teils mit 
den Bewegungen in der Malerei zufammen, die die bunten Lokaltöne 
in mehr abgeftimmte und in ihrer Farbentiefe reduzierte flllgemeintöne 
auflöfte, teils mag auch hier die febon erwähnte Neigung zum Schmuck* 
lofen und Vernünftigen mitgewirkt haben. Übrigens ift die Wahl neu* 
traler oder lebhafter Töne unwefentlicb, die Hauptfache ift das Prinzip 
der disziplinierten Farbengebung überhaupt. □ 
Das Prinzip des verftärkten architektonifchen Rhythmus tritt viel* 
leicht noch auffallender hervor, als das der planmäßigen Farbe. Es 
wurde aufs neue erkannt, daß der Rhythmus das Alpha und Omega 
jeder Kunft, für die Architektur und die Mufik aber geradezu Lebens* 
prinzip ift. In diefer Erkenntnis trat eine fcharfe Zufammenfaffung des 
Wefentlichen und eine ftarke Akzentuierung des Gefetpnäßigen ein, die 
fich draftifcb in den Anläufen ins Feierliche, Feftlicbe, Hochtönende aus* 
fpricht, die wir plötjlicb überall nehmen feben. Namentlich fteht der 
heutige neue Innenraum in hohem Grade unter der Herrfchaft diefes 
verftärkten Rhythmus. Ihn ebarakterifieren vor allem der Gleichklang 
der Teile, die ftraffe Einheitlichkeit in Form und Farbe, die ftrenge 
architektonifcbe Denkungsweife überhaupt. □ 
Hauptthema des näcbften Heftes: 
DER GEDECKTE TISCH 
mit vielen Illuftrationen.
	        
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