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in einer ergreifenden Allegorie unter dem Titel „Die drei Brüder"; wir können
der Versuchung nicht widerstehen, daraus einige Verse hier zu übertragen:
Eine Mutter hat drei zarte Söhntein:
Welcher Stolz und welches süße Hoffen!
Mühsam schafft das Stückchen Brod sie, duldet,
Darbt, damit nur sie sich freuen, satt sich
Essen und ihr Erbe ganz erhalten.
Golden ist fürwahr das Herz der Mutter!
Wie liebkost sie ibre Waisen, um den
Theuren Vater ihnen zu ersetzen!
Ihre Blicke leuchten, wenn von seinen
Thaten sie erzählt, um sie zur Eintracht,
Brüderlichen Liebe anzuleiten.
Liebe sogen sie an ihren Brüsten,
Liebe schaukelte sie in der Wiege,
Liebe strahlte ihnen selbst die Sonne,
Bis der Himmel finster sich nmwölkte,
Blitze zuckten, Donner grollend rollten. —
Krank zum Tode liegt die Mutter nieder,
Kann nicht pflegen ihre zarten Waisen,
Noch zur Liebe, Redlichkeit sie weisen.
Herzzerreißend ist der Kinder Jammer!
Gleich den Krähen, schwarzen Raben, die auf
Beute lauern, schleichen sich heran die
Bösen Nachbarn; sie zu trösten? Nein, nur
Um in ihre Habe sich zu theilen.
Thränenfenchten Auges starb die Mutter;
Kläglich wimmerten die kleinen Waisen,
Doch die Nachbarn suchten sie zu trösten,
Theilten dann sich in die Waisenkinder,
Weil ein jedes reiche Mitgift brachte.
Selbst genossen sie ihr schönes Erbe,
Während sie die Kinder herzlos quälten,
Sie vom väterlichen Herd verdrängten,
Daß sie nun für Fremde durch die Welt sich
Schlagen und ihr kostbar Blut vergießen.
Sie besuchten eine schlechte Schule.
Durch Gewalt getrennt, vergaßen sie, daß
Brüder sie dereinst gewesen: ihre
Liebe ward Entfremdung, die Entfremdung
Bitt'rer Haß. Und nun verfolgten sie mit
Scheelen Blicken sich, gehetzt von ihren
Nachbarn zankten sie um ihre Grenzen,
Raubten sich die Herden, ja zerstörten
Sich die Saaten, streuten Gist in ihre
Brunnen, weh! sie mordeten einander.
Ihre Feinde klatschten Beifall, denn je
Üppiger der Zwist in Halme schoß, um
So ergiebiger war ihre Ernte.
Doch der Sonnenschein und Regen spendet,
Hatte Liebe in ihr Herz gepflanzt zur
Mutter und zu ihrem stillen Grabe.
Einzeln kommen sie ans Grab der Mutter,
Jeder betet, wie des Schicksals Laune
Ihn gelehret: türkisch, griechisch, römisch.
Lange kamen insgeheim ans Grab die
Brüder, ohne sich zu treffen, bis das
Elend endlich sie zusammenführte,
Und sie riefen wie aus einem Munde:
„Süßer, goldner, hehrer Muttername!"
So begegneten die Brüder sich am
Muttergrabe, überrascht aufblickend,
Denn sie wußten wohl vom Grabe ihrer
Mutter, doch nicht daß sie — Brüder waren.
Freudig fielen sie sich in die Arme;
Höher schlug ein jedes Herz, denn jeder
Fühlte, daß er nicht vereinsamt stehe,
Daß im Feind er einen Freund gefunden.
Feierlich die Brüder sich gelobten,
Sich fortan zu schätzen, brüderlich und
Einig ihre Ziele anzustreben,
Um der Mutter letzten Wunsch zu ehren.
Gott wird ihre große Absicht segnen!
Der bedeutendste Vertreter der jüngeren bosnischen Dichtergeneration ist unbedingt
Dr. TngomirAlanpovie. Alle seine Dichtungen zeichnen sich durch eine glänzende Diction
und logischen Aufbau der Gedanken ans. Die Harmonie seiner Verse wird ab und zu durch
einen schrillen Mißton beeinträchtigt, wie er überhaupt in vielen seiner Lieder einem
lähmenden Pessimismus verfällt, der ihn dieDinge zu schwarz sehen, ja ihn oft an der Zukunft
seines Volkes verzweifeln läßt. Gegenwärtig ringen in der Brust des jungen Dichters noch
immer zwei Seelen um die Herrschaft; hoffen wir, daß er geläutert zur Überzeugung gelangt,
daß sein Volk durch die Poesie nicht entmuthigt, sondern getröstet und erhoben sein will.