AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN Sie VON
LUDWIG HEVESI-WIEN 50'
AS GÜETHE-DENKMAL. DieWiener haben einen frohen Tag zu verzeichnen.
Am 15. December hat in Wien in Gegenwart des Kaisers und einer glänzenden
Versammlung die festliche Enthüllung des Goethe-Denkmals stattgefunden. Es ist das preis-
gekrönte Werk des Professors Eduard Hellrner und steht, nicht allzu glücklich, in einem
unregelmässigen Dreieck zwischen dem Kaisergarten und dem ehemaligen Palais Schey.
Das Antlitz Goethes ist dem Antlitz Schillers zugewandt, das fernher vom Schillerplatz den
etwas späten Ankömmling grüsst. Man hat den Goethe so weit in die Ringstrasse vor-
geschoben, dass das ganze Profil des Denkmals im Strassenprospect rnitwirkt. Freilich
bekäme ihm eine intime Aufstellung besser; da aber eine solche nicht zu haben war, wollte
man ihm doch auch eine decorative Leistung abgewinnen: Hellmers Goethe bestach
bekanntlich bei dem Wettbewerb durch seine Einfachheit und Natürlichkeit. Auf einfachem
Sockel ein Ruhesitz und darauf die Sitziigur, beide Arme lässig auf die vorwärts gekrümmte
Lehne gelegt, das Antlitz mehr beschaulich als erregt. Eigentlich mehr ein Karlsbader als
ein Grossstadt-Goethe. Immerhin ein trelfliches Hellmer-Werk, das schon durch die Abwesen-
heit eines allzu herkömmlich gewordenen Apparates anmuthet und an das man sich ver-
muthlich bald gewöhnen wird. Der 2-62 Meter hohe Sockel aus grauem italienischem Granit
steht über einigen Stufen und ist an beiden Enden abgerundet. In lebendiger steiler Linie
wächst aus ihm der eheme Sitz mit der 3 Meter hohen Erzligur empor. Die Profillinie des
Aufbaues ist besonders günstig. Der Sockel trägt vorne bloss den Namen „Goethe", hinten
den Vermerk: „Errichtet vom Wiener Goethe-Verein im Jahre x9o0".Der eheme Stuhl ist
mit Reliefs geschmückt. An seiner Rückwand halten ein Mann und eine Frau, diese ihr Kind
auf dem Arme, einen Lorbeerkranz in die Höhe; neben ihnen stehen zwei Blumenstöcke
mit jenen künstlichen Blütenstämmchen, wie sie das Volk an Gnadenorten dar-zubringen
pflegt. An den Seitenwänden steigen Lorbeerbäume auf, unter denen drei Masken liegen:
eine heroische, eine tragische und eine heitere. Alle diese Darstellungen sind, wie der
ganze Sitz, der etwa an den Stuhl Karls des Grossen in Aachen erinnern mag, etwas
' archaisch stilisirt, das Publicum wird dies vermuth-
lich für „secessionistisch" halten. Seinen Goethe-
typus hat sich derKünstler hauptsächlich auf Grund
der zu Lebzeiten abgenommenen Masken von
Weisser (1807) und Schadow (1816) hergestellt.
Er ist dadurch beiden landläufigen Stilisirungen,
dem Trippel'schen Goethe-Apollo wie dem Rauch?
schen Goethe-Jupiter, aus dem Wege gegangen.
Man wird den Kopf jedenfalls erst in verschiedenen
Beleuchtungen gesehen haben müssen, ehe man
sich mit ihm auseinandergesetzt hat, doch ist es
zweifellos eine treüliche Studie von sympathi-
schem Eindruck. Auch die Hände sind nach einem
Gipsabguss (Museum Rollett, Baden) gebildet;
Denn der bildlichen Ausschmückung in einem der Künstler bezeichnet sie als „Zugreiferhände",
der Modell-Kinderzimmer von Cecil Aldin und mit langen kräftigen Finger-im Die Gestalt Selbst
John Hassal ist die eines kraftvollen Mannes zwischen 50 und 60
Jahren; er trägt den langschössigen Leibrock mit
hohem Kragen ganz zugeknöpft, die weisse Halsbinde und faltige, etwas schmal geschnittene
Beinkleider. Den Guss hat die k. k. Erzgiesserei ausgeführt, Hellmer selbst ciselirte den
Kopf und verlieh der ganzen Bronze durch leichte Ätzung einen goldig-rothbräunlichen,
mehr matten Ton. So sieht man die Züge genau, wozu auch die verhältnismässig geringe
Höhe des Standbildes beiträgt. Die Kosten des Ganzen belaufen sich auf 50.000 Gulden.