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Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 2)

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Eduard Schelle. 
welchem fie zu den modernen Pianos in der öfterreichifchen Abtheilung liehen; 
denn das Clavier war bereits im vorigen Jahrhunderte der eigentliche Träger des 
Muliklebens, wie es derfelbe heutigen Tages ift, und an feiner Conftruchon. über 
haupt an feinem ganzen Wefen verfmnlicht fich am getreueften der Charakter der 
herrfchenden Gefchmacks- und Stilrichtung. Man war umfomehr berechtigt zu 
diefem Unternehmen, als nach Bach und Händel Oeilerreich in der mufikahfchen 
Kunft das Banner geführt und feinen Namen mit denen der gröfsten T onheroen 
verwebt hat. Unter diefen Clavieren befanden fich überdiefs einige Exemplare, 
welche für uns die Bedeutung koftbarer Reliquien haben. So begegnete uns ein 
kleines, tragbares Spinett , erbaut von Johann Andreas Stein in Augsburg 1702, 
deffen fich Mozart laut Angabe auf feinen Reifen bedient hat; auch ein Claviei in 
Flügelformat und zwar mit Hammermechanik und Stiefeldämpfung macht Anfprttch 
auf die Ehre,’ einft im Befitze des hochberühmten Meiflers gewefen zu fein. Ferner 
trafen wir ein kleines Tafelclavier mit Hammermechanik und Dämpfung aus dem 
Jahre 1790 an, welches uns als das einftige Eigenthum Haydns bezeichnet wird. 
In ähnlicher Weife fahen wir einen Flügel von Erard mit dem Namen Beethoven s, 
einen anderen von Graf mit dem Schubert’s in Verbindung gefetzt. Unmerklich 
haben wir an diefen wenigen Inftrumenten die wefentlichften Phafen dgs Clavier- 
baues bis zur modernen Zeit hin durchlaufen. Jenes Spinett Mozart s, zu dem lieh 
noch ein anderes, herrührend von Johann Schanz, gegenwärtig Johannes Brahms 
zugehörig, gefeilt, weifen auf den primitiven Standpunkt desInftrumentes tun. 
Der Ton wird hier noch mittelft Meffingplättchen oder auch Federkiel-Stückchen 
erzeugt, welche auf dem Clavis befefligt find, und durch Oeffnung im Refonanz- 
boden beim Niederdruck der Tafle an die Saite fchlagen. Und wahrlich, der dünne, 
zirpende Klang jenes gedachten Inftrumentes von Schanz bildet zum Klang des 
angeblich aus dem Befitze Beethoven’s flammenden Flügels von Erard keinen 
gröfseren Abftand, als das Tonvermögen eben diefes Erard zu der Klangkraft 
eines Ehrbar mit gewölbtem Refonanzboden. Ja auch die Mutter unferes heutigen 
Pianos entdeckten wir hier in einem alten Hackebret, welches fich in denselben 
Zimmer zeigte; denn aus diefem merkwürdigen Inftrumente ift nicht nur 
das Clavichord, fondern auch die Hammermechanik hervorgegangen, durch 
welche fich das Clavier bis zu feiner jetzigen Vollkommenheit emporgebüdet hat. 
Ein Mufiker aus Eisleben, Pantaleon Hebenftreit, hatte nämlich fchon in 
früher Jugend eine fo grofse Vorliebe für jenes , noch heutigen Tages bei den 
Zigeunern unter dem Namen Cymbal vorkommende Inftrument, dafs er «s lieh 
zur Aufgabe machte, demfelben eine für den künftlerifchen Gebrauch verwendbaie 
Einrichtung zu geben. Sein Ziel fuchte er dadurch zu erreichen, dafs ei een 
Karten um das Vierfache vergröfserte und auf beiden Seiten Refonanzboden 
anbrachte, von denen der eine mit Draht- und der andere mit Darmfaiten bezogen 
war, fo dafs jetzt dem Spieler alle Dur- und Moll-Tonarten zur Verfügung ftanden. 
Hebenftreit machte mit feinem Inftrumente um fo mehr Auffehen, als er felbft eine 
fehr grofse Fertigkeit auf demfelben fich angeeignet hatte. Ein gewiffer Schroter, 
ebenfalls ein Mufiker. hatte Gelegenheit, den Virtuofen öfter zu hören. Ihn fascmirte 
vornehmlich die Wahrnehmung, dafs der Spieler vermitteln der mit der Hand 
geführten Klöppel die Klangkraft der Saiten nach den vermiedenen Graden 
Threr Stärke leicht zu entfalten vermochte, was auf dem damaligen Claviere nicht 
zu erzielen war. Es trieb ihn nun zu dem Verfuche, diefe Ausdrucksfähigkeit auch 
dem letzteren zuzuwenden und in der That brachte er endlich das Moc e ur 
einen Mechanismus zu Stande, in welchem fich das Syftem der heutigen Hammer 
mechanik deutlich zu erkennen gibt. Man hat diefe Erfindung lange dem Floren 
tiner Chriftofali zugefchrieben; Dr. Oskar Paul hat indefs in feiner vortrefflichen 
Gefchichte des Clavierbaues documentarifch nachgewiefen, dafs diefe Ehre unterem 
Deutfchen Schröter gebühre. Jedenfalls fleht es feil, dafs das Modell des letzteren 
in Deutfchland bald Anerkennung fand, und die eigentliche Bafis für die Ent- 
wickhmg des Pianobaues bildet.
	        
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