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Vorstellung und ihr Gegentheil, das allerdings nach höherer philosophischer
Anschauung mit ihr auch gleichbedeutend sein kann; für uns sind sie zunächst
im Widerstreit wie Gut und Böse.
S0 sind die zwei grossen Gegensätze in der Kunst die Zeiten mit vor-
herrschendem Verstande und die mit vorherrschendem Geiühls- und Phan-
tasieleben.
Die Zeiten des Verstandes empfinden immer mehr körperlich-greifbar,
die des Gefühles mehr flächenhaft-visionär. Die Zeiten des Verstandes
arbeiten in stark contrastirenden Farben, die des Gefühles in einander nahe-
liegenden. Die Zeiten des Verstandes lassen das Material gelten, die Zeiten
des Gefühles verleugnen es; darum musste Riegl, da er hauptsächlich
letztere Zeiten behandelte, zu seiner materialverachtenden Anschauung
gelangen. Natürlich gab es aber nie eine Zeit, da eine Richtung in allen
Schichten eines Volkes ganz allein herrschte; doch wird bald die eine, bald
die andere Seite vorwiegen.
Die sogenannte classische Antike und die Jahrhunderte vom XV. an
nach Christi Geburt sind Zeiten, in denen dem Verstande grosse Rechte ein-
geräumt werden; diese Zeiten gewähren der plastischen Empfindung den
Vortritt, auch in den Werken der Malerei. Diese Zeiten, was wir insbeson-
dere in der Renaissance, aber auch der Antike sehen, lieben weit voneinander-
liegende Farben - man vergleiche etwa die an die Antike sich anlehnenden
Loggien Raffaels mit ihren bunt auf trennenden weissen Grund verstreuten
Farbenflecken - oder sie betonen die Form allein wie die Empirezeit. Die
Zeiten der vorclassischen Antike (Aegypten, mykenische Kunst u. a.), die
spätantike Kunst, heute noch der Orient, wählen mit Vorliebe einander nahe-
liegende, in einander fast traumhaft überfliessende Farben, etwa grün und
gelb, blau und grün, blau, grün, gelb, weiss. Und wo sie etwa roth, blau,
gelb untereinander bringen, geschieht es in solcher Vertheilung, dass sie,
was Semper schon erkannt hat, sich aufheben, zu weiss ausgleichen, und
zwar schon auf kleine Entfernungen. Diese Zeiten lieben das Unklare,
Geheimnisvolle, Traumhafte, wie gesagt.
Wir sehen auch, dass heute wieder solche Neigungen sich geltend
machen. Uns gefallen heute die Tiffanyschen Gläser, die Teppiche von
Christiansen, die Stoffe von Moser mit ihrem unaussprechlichen Farben-
zauber, wo Farbe in Farbe sich schiebt und die Formen uns kaum zum
Bewusstsein gelangen.
Diese Gegensätze hat der Schreiber dieses schon in seinem Spitzen-
werke angedeutet und er wird sie noch klarer darstellen können, wenn er
in der Behandlung der Textilsammlung des Museums weiter vorschreitet.
Zwischen diesen Extremen bewegt sich die Kunstentwicklung der Menschheit.
Riegl zeigt uns aber, dass die Entwicklung der Kunst nicht nur eine
Pendelbewegung, sondern auch eine ununterbrochen fortschreitende, man
könnte sagen Wellenbewegung ist. Daher können zwischen verschiedenen
Zeiten Aehnlichkeiten sein, aber eine unbedingte Wiederholung gibt es nicht.