entlehnt und halb naturalistisch, halb spielend behandelt, wobei technische Schwierigkeiten
gar nicht zählen. Hohlliegende, durchbrochene, unterschnittene Formen, freies Gerank,
in das man den Finger einhaken kann und das oft (an den Sesseln besonders) wie
lebendiges Astwerk fast rustik entlangläuft. An dem Bücherkasten, der eine ganze Längs-
wand bedeckt und in der Mitte durch eine grosse Spiegelnische mit gewaltiger Pendeluhr
unterbrochen ist, laufen die theilenden Pfosten als schlanke Säulchenbündel, mit Eichen-
laub urnwunden, hinan und Hackern oben fackelartig mit einem Flamboiement von freiestem
Laubomament auf. Besonders reich ist der Rundbogen über dem Spiegel, mit Putten,
die das Zifferblatt stützen. Man hat einen Eindruck wie von phantastischer Spätgothik.
Die Säle des zweiten (Haupb) Stockwerkes sind aber noch viel reicher ausgestattet. Die
SeidenstolTe sind Meisterwerke ihrer Zeit. Den originellsten Effect macht eine pappen-
deckelstarke weisse Seide mit grossen naturalistischen Rosenbouquets in Roth und Grün,
einst die bete noire der „Sülreinigenä heute ein reizvolles Kunststück im Zeitgeschmack.
Wahre Colosse sind die goldenen Luster, diese unentwirrbaren Gestrüppe von Ornament,
in denen Adler horsten und Engelkinder nisten. Ihnen entsprechen die thurrnhohen
Eckkandelaber, in der Form von Palmen, die ein Baumkorb umgibt, alles wieder aufs
flamboyanteste stilisirt und überreich ausgesponnen. In einem der Salons steht eine Eck-
Etagere aus Mahagoni, die pyramidal bis an den Plafond reicht und mit seltenen Porzellan-
stücken besetzt ist. Dieses Möbel mit seiner japanischen Eintheilung und einem über-
quellenden Formenwerk, das nur mehr im Habitus an Rococoformen erinnert, ist hoch-
interessant; desgleichen die zugehörigen Sitzmöbel, deren l-Iolzdetail schon die reine
Empfindungsschnitzerei (in Pankok'schem Sinne) ist. Ohne Zweifel wird die Zeit kommen,
wo diese erstaunlichen Arbeiten publicirt und studirt werden; die Vorurtheile der
verflossenen Generation sind schon heute überwunden. Ähnliche Empfindungen hat man
im Palais Pallavicini, wo einige I-Iauptmeister des seitherigen Wiener Kunstgewerbes, die
Lobmeyr und I-Iollenbach, ihre jugendlichen KräRe in Glas und Bronze bewährten. Auch
hier sind es ganz besonders die Eckkandelaber des grossen Saales, förmliche Denksäulen
Lobmeyrs, die Staunen erregen, da solche im damaligen Wien seltene Bestellungen eine
plötzliche Zusammenraffung von Kräften voraussetzen, die nie zu solchem Zwecke
geübt waren. Auch aus den Fünfzigerjahren sah man ein kleines Prachtstück, das vorn
Architekten Koch entworfene Boudoir im Palais Auersperg, einen Miniatur-Kuppelraum,
dessen Boiserien die Kunstwanderer einfach entzückten.
In neuester Zeit sind sehr bemerkenswerte Interieurs entstanden, deren jedes einen
anderen Geist (aber jedenfalls Geist, und das ist die Hauptsache) athmet. Da denkt denn
Jeder vor allem an das Palais des Grafen Karl Lanckoronski, in der Jacquingasse. Von
seiner Belvederehöhe schaut es weithin über Stadt und Land, ein Haus der Aussicht, und
ist auch danach orientirt, rnit grossen Aussichtsfenstern nach der schönen Seite hin. Es
ist ein echt österreichisches Barockpalais mit einem Saalbau in der Mitte und wurde vor
etwa sieben jahren von Fellner und I-Ielmer erbaut. Natürlich ganz im Geiste des Besitzers,
eines der erfolgreichsten Sammler alter und neuer Kunst. Es sind da Wohnhaus und
Museum unter einem Dache, ohne einander zu stören, obgleich sie nach Bedarf in
einander hinübergreifen. Zwei grosse Säle gehören zu den baulichen Merkwürdigkeiten
Wiens. Der Hauptsaal geht durch zwei Stockwerke, ist ganz in Holz montirt und hat in
halber Höhe eine Galerie mit prächtigem Geländer, die zum Theil auf Säulen ruht; die
Fenster sind an der Aussichtsseite gruppirt, wie beim Chorabschluss eines Kirchenschiffes.
Der hohe Marmorkamin ist nach einem Originale in Pistoja variirt und hat zu beiden Seiten
alte italienische Statuen als Lichtträgerinnen. Der ganze Fries ist eine breite Seidenstickerei
des XVI. Jahrhunderts, aus Villa Borghese. Seinem Inhalte nach ist schon dieser Saal
allein ein Museum, und zwar der mannigfachsten Art. Der andere, obere Saal ist eine
Glyptothek; ein Polygon, dessen Wände mit Fresken Domenichinos aus Villa Aldobrandini
in Frascati bedeckt sind. In der Mitte steht ein prächtiger weisser Marmor-Sarkophag, den
der Graf aus Kleinasien heimgebracht hat. Überhaupt sind seine kleinasiatischen Aus-