Ulrich Nefzger
Die Gärten von St. Peter
Anmerkungen 1-13
'Zur Lllleri-lkonographle des hl, Vitalis In bezug euf Salzburg und
St. Peter vgl. die Embleme des Frontispiz der dem Heiligen gewidme-
ten Schrift Amand Pachlers (B. Schremm dellneavlt l Paulus Seel
sculpsit). Dort ist auch eine Allusion auf Fechter durch sein Wappen-
tier, den Schwan. zu finden: Ein Schwan. lilienumkrinll. tragt im Wes-
ser schwimmend eine Lilie im Schnabel. mit dem Lemma iCaridore
nolabilis lpsou. Ein manchen Exemplaren beigebunderner. IP, 5.1;
(Paul 589i) sigmener Stich V0ri 1563 mit der damaligen Ansicht vom
Grab des hl Vitalis in St. Peter zeigt auf der Marmorfigur des Heiligen
in HefZhÖhB eine Lilie. Die Meinung. daß die heute dDrt befindlichen
Lilien (aus Meiell getrieben) des te. Jh.s auch damals erst dem mittel-
alterlichen Grabstein attribuiert worden wären. ist daher zu modifizie-
ren (vgl. Herder-Lexikcn der christl. lkcnogrephie. Freiburg i. Br. u a.
1975. Bd. B. S 575, IVitalisu).
10er Name des saimurgischen Kirchengründers bezeichnet ebenso
dgn ivFBISI (rupes) wie der von Petrus als Grundfeste der Universaikir-
c e.
1 Notker Labeo: zlergarto; paradisus voluptatis : wurinigarto, Vgl,
Wolfgang Scrrensen. Gärten und Pflanzen im Klosterpian, In: Studien
zum St. Geiler Kloeterplen. Hrsg. Joh. Duft (Mitt. zur veterl. Geschich-
tlesäshzrsg. v. i-listor. Verein des Kantons St. Gallen. 5d. 42). St. Gallen
'Vql. Anm, 3. Allgemein lu den Klostergenen des frühen Mittelalters:
D Hennebo - A Hoffmann. Geschichte der deutschen Gartenkunst.
Bd. i, Hamburg 1962, und M. L. Gütheln. Geschichte der Gerten-
kunst, Jene 1926.
'Johennes Bühler. Kiosterleben im deutschen Mittelalter l I Deutsche
Vergangenheit Bd. 1), Leipzig 1923. S. 439-441.
' Hans-Dieter Stcffler. Der Hortulus des Walahfrid Strebe, Sigmaringen
1978. S 49-52,
7 Vgl. Renate Schusky. Der Garten als Buch - das Buch BIS Garten. in:
Park und Garten im 1B. Jh,. Heidelberg 1975. S. 941.
'Ad0li Hahnl, Conservando cresco, Die Eibliotheksraurrie von St. Peter
in Salzburg. inl FS Hans Sedlmayr nBarock in Sailbufgn, Salzburg
1977. S. 14. An dieser Stelle sei Herrn Dr. Hahnl sowie seinem Mitar-
beiter. Herrn Ivan Pomper. für ihre freundliche Unterstützung und
Hilfsbereitschaft herzlich gedankt. besonders aber dem H. H. P. Prlor
Beda Wlnkier U S. E, für seine kenntnisrelche Anteilnahme. Zum EX-
llbrls vgl, Anm. 49.
'Amendus Fechter, Disquisitiones. Salzburg 1663. S. 211-213. Original
lateinisch. Vgl. auch Anm. 1.
"' Vgl, dazu die entsprechenden Topoi im nJubilum Jubllaeumk eingangs
der Historia Salisburgerisis der Bruder Mezger. Salzburg 1692. S. 25
bis 31. Zu ihrer Tradition: Ulrich Netzger. Salzburg und seine Brun-
nen. Salzburg 1980. S, 5-19.
" Mezger. Hlstoriasallsburgensis (e. Anm 1D). 5 560. Originelzitete.
nn cempas RIIIITII recreandi cause exirentu; lul monesterium ampliori
forma struereturu. Das 1172 erschienene Novleeimum Chronicon An-
riuul Monasterll 0 s. B, ad Sanctum Petrum Salisburgi schildert die
Begebenheit nach der Mezgerschen Chronik und dem Tagebuch des
Abtes Martin Hatiinger s. 5ü2
" Novissirnum Chronicon (s. Anm. n). s 502i Original lateinisch.
ß Beispielsweise heißt es vom Abt Rudolf (t 105-38) in St. Trbnd (Lothrin-
gen). er hebe einen Garten angelegt. ndamlt den Kranken durch Luft
und Anblick des Grüns Erquickung zuteil werde-r. (U, Lehmann-Brock-
haue. Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jh,s für
Deutschland. Lothringen und Italien. Berlin 1935. S. 404.)
22
Zu Beginn seiner wDisquisitiones in Viiam et Mlracula
Sanctissimi Vitalisu (Salzburg 1663) widmet sich Abt
Amandus Pachler von St. Peter in Salzburg der Be-
trachtung des Attributs dieses Heiligen: Er preist die
vsüße Lilie-d. welche - nomen est omen - dem nai-
lerlebendigsten Herzenu des hl. Vitalis im Grabe ent-
sproß und sogar den harten Marmorstein durchbrach,
um einen versteckten Zweifler an der wunderwirken-
den Heiligkeit des Grabes zu beschämen. Das Lilien-
wunder. in effigie immer noch an der Grabplatte zu se-
hen. gibt dem gelehrten Abt dann Gelegenheit. im ba-
rocken Denkstil weiter zu reflektieren. so daß durch
die Dedlcatio die nachfolgende historisch beweisende
Darlegung zum überzeitlichen Sinnerweis sich weitet.
Er sieht im Wesen der hellglänzenden Unschuldsiiiie
die Schönheit irdischer Gärten übertroffen und er-
kennt darin die bedeutsame Blume ngeheiligter Gär-
tenr. Dabei stellt sich der Garten im Hinblick auf die
menschliche Natur als ein doppelsinniges Symbol dar.
Denn Gott selber habe ivam Beginn der Natur der
Menschheitw das Paradies gepflanzt, darin die Lilie
der Unschuld blühte. Weil aber die virdische Begier-
dek die Feindin der Unschuld ist. wurden die Men-
schen aus diesem iiallerlieblichsten Garteni vertrie-
ben. Jedoch - iiFelix permutatiolu -welch glückhaf-
ter Wechsel des Menschenloses: durch Christus. der
in einem Garten (Gethsemane) gefangengenommen
wurde. sei der Paradiesesgarten neu geschaffen wor-
den. Es sei dies der Garten der heiligen Kirche, wo
durch die Lilien der Gerechten auch die paradiesische
Lilienunschuld wiedererneuert werde. Das gilt insbe-
sondere vom Garten der salzburglschen Kirche. wo
die Lilie des hl. Vitalis blüht. Daß sie dort gepflanzt
wurde. sei letztlich der Vermittlung der wLiliata Triasri.
den drei Lilien der Hi. Familie zu verdanken, der Pach-
ler auch diese ganze Vita zueignet. Vermittels der in
der Topik der saizburgischen Kirchengründung so
"feststehendem. überaus sinnträchtigen Allusion in
den Namen Petrus und Rupert? argumentiert Amand
Pachler, daß die salzburgische Kirche vin Petra 8. Ru-
pev gefestigt sei und daß die Lilie des hl. Vitalls eben-
so wie sein Marmorgrab diesen Felsen durchdrlnge
und ziere.
Abt Pachler gehört zu jenen Charakteren der süddeut-
schen barocken Geistlichkeit. deren Denkweise in hi-
storisch-kritischer Urteilskraft gründend die altüberlie-
ferte Typologie neu zu versinnlichen vermochte, Ein
Beispiel dafür ist diese Dedicatio. wo die typclogische
Ambivalenz gegenüber dem Garten als irdischem Ort
der Verführung einerseits und paradleslschem Sym-
bol andererseits für Salzburg topographisch glücklich
gelöst, aber nicht aufgelöst wird. Das Paradies war
der Kirche das Stück Natur aus der Hand des Schop-
fers. liliengleich rein. ohne dunkle Schuld. doch die
Frucht vom Baum der Erkenntnis führte zum Fluch
des Todes. So ist zwar seit dem frühen Mittelalter die
Paradiesvorstellung beim Lustgarten stets lebendig
geblieben! doch wird diese schone Reminiszenz stets
durch die andere Erinnerung an den verräterischen
Ort des Unheils verdunkelt. Allem Anschein nach hat
dies bereits im Baumgarten des Friedhofes auf dem
St. Gallener ldealplan (B20) seine symbolische Formu-
lierung gefunden! Auch im nHortus deliciarumu der
Herrad von Landsperg wird das bewußte Auseinan-
dertreten von irdischer und transzendenter Bedeu-
tungssphäre im Zeichen des Gartens zum Ereignis:
Ein Eremif. der die oberste Tugendleiter erklommen
hat. sieht sein blühendes Gärtlein unter sich. Sehn-
sucht erfaßt ihn. und er stürzt. weil er das irdische Pa-
radies dem himmlischen vorgezogen hat.
Wie schmerzlich entsagungsvoll für die iigefallenew
Natur des Menschen gerade diese Vorahnung para-
diesischer Gertenschönheit wurde. zeigt sich in der
Antwort. die die Dominikanerinnen von St. Lambert il'l
der Rheinpfalz um 1280 auf ihre Bitte erhielten, im
Garten der lnfirmerie (Krankenstube) speisen zu dür-
fen. lhr Spiritual zeigt geradezu poetisch einfühlsa-
mes Verständnis dafür. daß die Schwestern "als Töch-
ter des Lichtesii die whereinsinkenden Schatten flie-
henu wollten; der Herr habe ja iam Anfange einen
Lustgarten angepflanzt-r und der Bräutigam im Lied
der Lieder steige ißzum wohlduflenden Gärtleinw hinab.
wum Lilien zu pflückenu. also zeige der erwünschte
Gartenaufenthalt den Schwestern gewiß "in seiner
Heiterkeit und Lieblichkeit ein Bild der versprochenen
Himmelsherrlichkeitlr. Aber es sei Adam im Garten
versucht und Christus als zweiter Adam im Garten
verraten worden. Und dann zählt der Spiritual alle nur
möglichen dräuenden Weltübel auf. bis hin zum Rheu-
ma. nassen Schuhen und dem Zank über die Gras-
flecken. Er schließt: iiBleibt in euren Felsenhöhlen und
hinter euren Mauern wie die Turteltauben . . und
sucht mehr das Trockene als das Grünlcd
Solches Vorstelligmachen von seelengefährdender
Unheilstypologie und praktischem Ungemach. um
sinnliche Betörung und geistige Torheit hintanzuhal-
ten. macht deutlich. daß dem Garten im monastischen
Leben eine größere Bedeutung zuwachsen sollte, als
es der hl. Benedikt noch in seiner Regel bedachte. im
Kapitel 66 wird der Garten nur nebenher als Arbeits-
stätte erwähnt; ähnlich wie das Wasser oder die Müh-
le solle er sich innerhalb der Klostermauern befinden.
damit die Mönche nicht draußen herumlaufen müs-
sen, wdenn das ist für ihre Seelen durchaus nicht zu-
trägllchu. Es spricht daraus keine Geringschätzung
des Gartens. vielmehr gewinnt ein Verständnis Raum.
das im monastischen Garten über den Nutzen seiner
Kräuter hinaus auch zusehends eine friedvelle und
keineswegs so eingeengte Stätte der Sammlung. eine
iwÖkonomie des Herzensu erblicken konnte. Bereits
Beda Venerabilis (672-735) setzt in seinem Kommen-
tar zum Hohen Lied bei Betrachtung der Lilienschön-
heit das i-otium internae contemplationisti mit allem
Nachdruck der dornenvollen Weltarbeit. der niabor
praedicatlonisu im Weinberg des Herrn. entgegen. So
stellt sich von der Frühzeit des Christentums an der
klösterllche Garten metaphorisch als kontemplative
nHerzenseröffnungr. als Sinnbild der Seele in mönchi-
scher Einkehr dar. worin der Abt als Gärtner. als See-
lenarzt tätig ist! Eben weil die Gartenpflege auch als
Mittel gegen die Unlust der Seele (acedla) angesehen
wurde, eignet dem frühen klösterlichen Kräuter- und
Medizingarten auch eine sublimierte Heilwirkung. So
zeigt sich hier immerhin eine Facette des Heilens und
Bewahrens. die dem irdischen Garten im Kloster als
paradiesischem Abglanz eines höheren Heils zu-
kommt. Unter diesem Aspekt ist auch zu verstehen.
daß schon Augustinue die Übertragung von Gartenge-
danken auf die Sittenlehre verteidigt - eine Ansicht.
die gerade im 17. Jahrhundert zum Vergleich des Gar-
tens mit einem Buch führte. dessen Schönheit zu vie-
senr sei. ja es können zum Zwecke der Erziehung xdie
Gaerte zu rechten Buechern der Weißheit gemacht
werdenui Als ein vielsagender Beleg für diese Gedan-
kentradifion zeigt das 1636 gestochene Exlibris des
Abtes Albert lll. Keuslin (1626-57. Vorgänger Amand
Pachlers) unter dem Motto iiConservando crescotl (In-
dern ich bewahre. wachse ich) das gärtnerische Wir-
ken des Abtes im iiGartenw der Klosterbibliothek'
(Abb. 1). Nicht ohne Humor erinnern die schaffen-
spendenden Abdeckungen über den besonnten Bee-
ten an bewahrende Buchdeckel. während der Gärtner
im allegorischen Schutz von Religio und Wissenschaft
(Minerva) die Pflanzen wässert. Diese Wechselwir-
kung sammelnden Hegens von Büchern und der gärt-
nergleichen Obscrge des Abtes ist für den geistlich-
irdischen Garten von St. Peter von grundsätzlicher
Bedeutung. So wendet sich Amand Pachler im letzten
Kapitel der Heiligenvita abermals an die iireine Liliell
im Garten der Kirche - also an den hl. Vltalis selbst.
Es solle diese Lilie (entsprechend ihrer pharmakologi-
schen Anwendung. z, B. als Antidotum gegen Schlan-
genglft) immer ihre geistige Heilkraft erweisen und im
Salzburgischen Garten gegen Unreinheit und giftige
Krankheit von Seele und Körper wirken. Als YYATZi des
ewigen Heilsw wird endlich Vitalis in seiner Eigen-
schaft als Abt von St. Peter beschworen; nGieße das
Gärtlein deines Klosters. auf daß weder die Rose noch