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Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 6 und 7)

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so lehrt Suchierf „hatten literarische und künstlerische Interessen. Streng 
katholisch, wollten sie den Geist der Kreuzzüge wieder aufleben lassen und 
die Christenheit gegen die Türken ins Feld führen. An ihrem Hofe herrschte 
eine im Abendlande noch nicht dagewesene Pracht. Auf den Prunkteppichen, 
die sie als Wandschmuck benützten, waren oft beliebte Szenen aus litera- 
rischen Werken dargestellt, zum Beispiel aus dem „Rosenroman", „Perceval" 
oder „Renaut de Montauban". Mit grossem Eifer vermehrten die Herzoge 
auch ihre Bibliothek: sie liessen wissenschaftliche und literarische Werke 
verfassen, Übersetzungen anfertigen und von älteren französischen Hand- 
schriften durch ihre Schönschreiber Kopien herstellen." 
Unsere beiden Wiener Handschriften illustrieren nun - natürlich neben 
so manchen anderen - diese Ausführungen ganz vortrefflich, und zwar in 
ähnlicher Weise, wie Coeur d'amour epris und Teseide, die wir in der fran- 
zösischen Abteilung kennen lernten, die literarischen und künstlerischen 
Bestrebungen Rene's von Anjou. Der Titel „croniques abregies" deutet an, 
dass wir einen Auszug aus der grösseren Chronik (des Albertus Acquensis) 
vor uns haben. Der Wahlspruch Philipp des Guten „Aultre n'aray", den 
die Zierleisten wiederholt aufweisen, bezeugt, dass die Handschrift für den 
Herzog angefertigt wurde. Bezüglich des Girard de Roussillon versichert 
gleich die dem Kapitelindex vorgesetzte Aufschrift, die hystoire sei „Translate 
de latin en francois au commandement de mon tres redoubte et tres puissant 
seigneur Monseigneur Philippe par la grace de dieu duc de Bourgoigne"; 
die „Ballade faicte par Pacteur" am Schlusse belehrt über die Zeit der Über- 
setzung - 1447 - und verrät auch den Namen ihres Urhebers: Jean 
Wauquelin. Wie die Chronik die romantischesten Ereignisse des Mittel- 
alters: den ersten Kreuzzug, die Eroberung Jerusalems und die Geschichte 
des Königreiches schildert, so erzählt der Roman vom treuen Ritter Girard 
de Roussillon „la noble procreacion, les nobles faiz et haultes emprinses 
darmes, les calamitez miseres et aduentures que fist et acheua porta et 
souffrit en son temps le . . . prince monseigneur Girard de Roussillon. Ainsi 
que je lay trouue en vng traictie fait et compose en son nom et Intitule Gesta 
nobilissimi comitis Girardi de Roussillon" etc." Diese lateinische Vita des 
Grafen ist gegen Ende des II. Jahrhunderts, wahrscheinlich in Pothieres, 
verfasst worden, knüpft übrigens an eine historische Persönlichkeit an. Man 
sieht also, mittelalterliche Wahrheit und Dichtung ist hier in zwei Pracht- 
werken der Miniaturmalerei für König Philipp den Guten illustriert worden. 
Dem Inhalt nach gemeinsam zur Lieblingslektüre des ausgehenden 
Mittelalters gehörend, durch desselben Herrn Gunst entstanden, sind unsere 
beiden Handschriften auch in ihrem bildlichen Schmucke verwandt. Die 
"' Geschichte der französischen Literatur von Hermann Suchier und Adolf Birch-Hirschfeld. Leipzig und 
Wien, 1900, S. 246. Speziell über die zu jener Zeit am burgundischen Hofe beschäftigten Miniaturenmaler 
bietet die bekannte Publikation von A1. Pinclmrt: Mininturistes, enlumineurs e: calligraphes ernployes pur 
Philippe le Bon et Charles le Ternerxire et leurs ceuvres, Bruxelles, 1886, reiche Aufschlüsse. 
"V Vorrede, Fol. 6 u. 7 des Manuskripts. lrn übrigen vergleiche man die Ausgabe: Cronicques des fniz de 
Girart de Rossillon . . . publiees pur L. de Moutille, Paris, 1880.
	        
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