denkt man vor des Canonica sprechenden, träumenden. sinnenden Köpfen, die entweder
unterhalb der Schultern abgeschnitten dastehen oder mit erlesenem Gefühl aus fein kom-
ponierten Sockeln entwickelt werden.
Meisterhaft ist das bei der Gruppe der „Kommunikantinnen" gelungen. Die Marmor-
brüstung, hinter der sie knieend gedacht sind, ist wie ein Sockel für die darüber auf-
tauchenden Köpfe benutzt. Der eine blickt aufwärts, der andere ist gebetsversunken nach
unten gesenkt. Diese Bewegungsmotive sind unendlich fein gebildet, alles Detail ist mit
zartestem Takt zu künstlerischer Wirkung gestimmt.
Der eine Mädchenkopf wird von der Kapuze wie von einem Schleierrahmen umfasst,
und die Bewegung der Flatterbi-inder steigert den Ausdruck gläubig-hingebungsvoller Ruhe.
Adligste Kunst ist das Marmorbildwerk „FrühlingstraurrW. Ein Rundsockel trägt es
mit ganz leise geführtem Ornament und einem Medaillen als Mittelfeld, in das mit
mattblauen Lettern die Inschrift gezogen ist: La mente sogna e desiderio del cuore.
Aus dem Sockel steigt das Brustbild einer jungen Frau mit traumhaften Zügen und
sinnenden nach innen gerichteten Augen auf. An die Duse mag man dabei denken.
In der Jugend muss sie diesem Bildnis geglichen haben. Und die d'Annunzio-
Widmung der „GiocondaW „Eleonora Duse mit den schönen Händen" kommt in die
Erinnerung bei den wundervollen Händen dieser Gestalt. Sie wachsen - eine Aufgabe,
die penibelsten künstlerischen Takt erfordert h- gleichzeitig mit dem Brustbild aus dem
Sockel; die eine Hand hält die andere, die mit schweigender Gebärde am Kinn ruht. Die
Finger sind in ihrer Zartheit und ihrem feingegliederten Wuchs von unsagbarem Reiz.
Das Träumerisch-Versonnene ist aber nicht die einzige Seite dieses Künstlers. Seine
Charakteristik kann auch herbe und von eindringlicher Schärfe sein. Das Schmerzenshaupt
eines Christus zeigt das; der unregelmässige Abschnitt unterhalb der Schultern wird hier
zu einem künstlerischen Mittel, den Ausdruck konvulsivischen Leidens zu verstärken. In der
Porträtskulptur einer Rednerin hinter der Pultschranke bildet Canonica konzentriert geistiges
Leben, Willenschärfe und die Prägnanz des Gedankens. In einem Knabenkopf, der im Aus-
druck des Gesichtes an die Jungen des Donatello (Bode schreibt sie neuerdings dem
Desiderio zu) erinnert, bringt er durch die Energie der seitlichen Bewegung den Ein-
druck kräftigen Lebensgefühls, junger munterer Kraft heraus.
I! Ü!
Neue Schmucksachen waren unlängst bei Keller und Reiner ausgestellt. Ihr Künstler
ist Christian Ferdinand Morawe, von dessen früheren Arbeiten einige gut und organisch
gewachsene Tischstanduhren bemerkenswert waren. Aus der Darmstädter Periode stammt
diese juwelierkunst, ohne dabei von den Schmucksachen der Darmstädter abhängig zu sein.
Vielmehr haben, wie ich glaube, vielleicht ohne dass es dem Künstler zum Bewusstsein
gekommen ist, Motive einer ganz anderen Provinz der dekorativen Kunst dabei Pate
gestanden. Der Buchschmuck nämlich - und zwar der Buchschmuck Olbrichs. Die
geometrisch-linearen Ornamente, das Stäbchen- und Triangelspiel, das Verschränken der
Kreise bildetMorawe in Gold und Perlen und, was in Schwarz-Weiss manchmal gekünstelt,
primitiv und steif wirkt, bekommt in dem graziösen Spiel der dünnen goldenen Glieder
Leben und Bewegung.
So hängt an einer Halskette an feinen Kettchen ein Reif und in ihm schaukeln drei
nadeldünne Goldstäbchen mit Perlen bedeckt.
Geometrische Figuren, Kreise, Vierecke, Halbbogen, Winkel werden kombiniert und
diese goldene Mathematik dadurch reizvoll gestimmt, dass alle Linien in schwebender
Bewegung sind und pendeln und spielen. Wie ein japanisches Glockenspiel wirken diese
Goldklöppelchen mit ihren Perlen als Köpfen. Voll entwickeln kann sich diese Eigenschaft
allerdings nicht auf dem Sammet der Vitrine, sondern beim Tragen. Bei jeder Bewegung
wird es dann ein Mitschwingen und Mitklingen geben.