MAK

Volltext: Monatszeitschrift V (1902 / Heft 8 und 9)

KÜNSTPIISTQRISCHER KONGRESS. Vom g. bis 12. September hat in 
Innsbruck unter reger Teilnahme von Kunstgelehrten, Künstlern und Kunstfreunden 
aus allen Ländern unter dem Präsidium von Schmarsow (Leipzig), Neuwirth (Wien) 
und Semper (Innsbruck) der 7. internationale kunsthistorische Kongress stattgefunden. 
Die Tagesordnung enthielt eine Reihe sehr wertvoller Vorträge und Berichte. So besprach 
Dr. I-Iofstede de Groot (Amsterdam) die Gefahr der zunehmenden Verglasung in unseren 
Gemäldegalerien und wies darauf hin, dass diese aus England stammende, für Aquarell-, 
Pastell- und Gouache-Bilder noch am ehesten zu billigende Art, Kunstwerke vor Russ 
und Beschädigung zu schützen, auf dem Kontinent auch bei Ölbildem weiteste 
Anwendung finde und zur Folge habe, dass zahlreiche Bilder infolge der Spiegelung 
gar nicht mehr genossen werden können; auch die Schlagschatten, welche die 
durch Einfügung der Glasplatten stark ausladenden Rahmen werfen (im Louvre 
z. B. Schlagschatten bis zu 8 und xo cm), seien höchst störend. Gründliche 
regelrnässigc Reinigung der Gemälde und sorgsame Bewachung der Galerien böten den 
besten Schutz; es sei noch nicht einmal erwiesen, ob die Glashülle nicht manchmal 
direkten Nachteil bringe, da die Glasplatten bekanntlich innen mehr anlaufen als aussen. 
Heute stehen die Dinge so, dass man das Erhabenste und Edelste, was die Vergan- 
genheit überliefert habe, der Gegenwart entziehe, um es der Nachwelt zu erhalten. 
In einem höchst geistvollen Vortrage versuchte Leitschuh (Strassburg) das um 1240 
geschaffene, mit „Godefrid" bezeichnete Reliquiar der Heiligen Atala (in der Magdalena- 
kirche, früher in der Stephanskirche zu Strassburg), welches unter dem Einfluss der 
Strassburger Bauhütte vor dem Eindringen der französischen Gotik über Auftrag eines 
bischöflichen Ministerialen geschaffen wurde, auf eine Bestellung des Dichters von 
Tristan und Isolde, Gottfried von Strassburg, zurückzuführen. Schneider (Leipzig) sprach 
über südtirolische Schlösser, Winter (Innsbruck) über das Motiv des Adam im Braun- 
schweiger Sündenfall des Palma Vecchio, I-Iofstede über die holländischen Bilder im 
Ferdinandeum, Alfons Siber (Hall) über die spätromanischen Fresken im Schloss von 
Avio, Dr. Bredt (Nürnberg) entwickelte den Plan eines kunstgeschichtlichen Zeit- 
schriften-Repertoriums, Pazaurek (Reichenberg) regte die Errichtung von Kunstarchiven 
an. Von besonderem Interesse war Sempers Vortrag über alttirolische Malerei vom 
XIV. bis XV. Jahrhundert, der eine sehr willkommene Ergänzung der hauptsächlich durch 
Sempers unermüdliche Arbeit zustande gekommenen, höchst lehrreichen kunsthisto- 
rischen Ausstellung bot. In der Einleitung wies Semper auf die in Südtirol zahlreich 
erhaltenen Reste tirolischer Malerei vom XI. Jahrhundert an hin; dort im Süden war 
der Sitz der Herrscher (Meran), der Ausgangspunkt des kulturellen Aufschwungs und 
der politischen Ausgestaltung des Landes im XI. und XII. Jahrhundert. Die romanischen 
Malereien Tirols zeigen teilweise byzantinischen Charakter, teilweise einen frischen 
naiven Zug, der an die gleichzeitigen Miniaturen erinnert. Näherer Untersuchung bedarf 
noch das Verhätnis dieser Epoche tirolischer Kunst zu Italien. Nicht ohneweiters ist 
überall italienischer Einfluss zu behaupten, denn die Wandmalerei blühte damals ja 
auch in Deutschland und Frankreich. Im XIV.Jahrhundert entstehen einige Wandmalereien 
in Tirol von entschieden mehr nordalpinem Charakter, so die Fresken im Kreuzgange 
der Brixener Johanneskirche, Passionsbilder und Darstellungen des Martyriums Johannis, 
welche schon ikonographisch nicht unter italienische Einwirkung gestellt werden können. 
Dagegen ist es Tatsache, dass zu Ende des XIV. und zu Anfang des XV. Jahrhunderts 
im Zusammenhang mit den Vorstössen der Scaliger, der Visconti (welche das nördliche 
Gardaseeufer in Besitz nahmen) und derVenezianer (die im XV. Jahrhundert bis Rovereto 
vordrangen), die Kunst Südtirols, auch Deutschtirols, vielfach von Italien beeinflusst wurde. 
Die Schulen vonVerona und Padua weisen zu Ende des XIV. Jahrhunderts eine blühende, 
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