Acquavivaw" neben anderen Manuskripten "auch den eben genannten eine
Behandlung gewidmet, die sowohl was den Bilderschmuck, wie auch ihre
Stellung in der italienischen Kunstgeschichte anlangt, fast als abschliessend
bezeichnet werden kann; es sind, wie hier gelegentlich bemerkt sei, die
einzigen der hier aus der italienischen Abteilung vorgeführten Codices,
denen eine so durchaus entsprechende Würdigung zuteil wurde.
Über den Lebens- und Bildungsgang des staatsmännisch bedeutenden,
kriegstüchtigen und wohlunterrichteten Herzogs von Atri (im Neapolita-
nischen), Andrea Matteo Acquaviva (geb. 1458, 1'" 152g), über die reiche,
von diesem Fürsten angelegte Sammlung von Bilderhandschriften mit Werken
der antiken Klassiker, deren Überreste sich heute zum Teil in Wien, zum
Teil in Neapel befinden, über ihre kunsthistorische Bedeutung und über
die Ergebnisse der stilkritischen Vergleiche derselben, speziell über die
Meisterfrage bei den Miniaturen der beiden erwähnten Manuskripte, die
Reginaldus Pyramus da Monopoli und seiner Schule verdankt werden, hat
Hermann so eingehend berichtet, dass es schon mit Rücksicht auf den hier
gesteckten Rahmen sich empfiehlt, auf seine Ausführungen zu verweisen.
Doch sei auch an das erinnert, was beiBesprechung des Roman de Troie
des Benoit de Sainte-More angedeutet wurde. Lange bevor man von der
eigentlichen Renaissance sprechen kann, war auf italienischem Boden die
antike Sage Gegenstand bildlicher Erläuterung, und das muss festgehalten
werden, wenn man die reiche Ausnützung derselben in den Bildern der
Acquavivahandschriften, zum Beispiel die Vorwürfe aus der Odyssee auf
Blatt 45b der Ethik des Aristoteles, richtig beurteilen will. Aber von der
naiven Auffassung antiken Lebens und Webens, die aus den illustrierten
Benoit-Manuskripten spricht, bis zu jener souveränen Beherrschung philo-
logisch-antiquarischer Kenntnisse, von der die Acquavivahandschriften
zeugen, ist ein gewaltiger Schritt, den zu verfolgen ebenso anziehend wie
lehrreich ist.
Was uns an der zuerst genannten Handschrift (mit den kleineren
Schriften des Aristoteles) zunächst auffällt, ist die Initialfüllung, in der eine un-
bekleidete weibliche Gestalt erscheint; langes blondes Haar umhüllt ihren
Leib und in ihrem Schoss ruht eine Weltkugel, die sie mit Milch aus ihren
Brüsten benetzt. Hermann hat eine Reihe analoger, meist gleichzeitiger
Darstellungen namhaft gemacht. Sein Material sei durch den Hinweis auf
eine durchaus ähnliche Darstellung ergänzt, die wohl den ältesten dieser
Gattung beizuzählen ist: Findet sie sich doch in einer Handschrift, die niemand
geringerem als Francesco Petrarca gehörte. Aus dieser hat Pierre de Nolhac"
eine kleine Miniatur veröffentlicht, die uns die Grammatica gleichfalls als
nackte, sitzende, mit ihren Brüsten die Jünger nährende Frau verführt.
i jahrbuch der kunsthisxorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses XIX. (1898, 147 H.)
""' Manuscrirs ä miniatures de I: bibliotheque de Petrarque, Gazette archäologique XIV (xlgg) 25 H". Auch
Essling-Müntz, Pelrarque, haben (S. 5:) diese Miniatur reproduziert, die allegorische Gestalt jedoch irrig
als Mathematik erklärt.