gehört ein gewisser Mut, fast möchte ich sagen,
eine gewisse Rücksichtslosigkeit dazu, sich auf
diesem Boden frei zu bewegen; man fürchtet
immer, über die Ränder zu stolpern und in den
Voluten hängen zu bleiben, ganz zu schweigen
von den unpassend angebrachten Lebewesen
unter den Füssen.
Ähnlich ging es dann bei den späteren
klassizistischen Teppichen. Übrigens scheint die
Verwendung von Bodenbelägen keine sehr aus-
gedehnte gewesen zu sein. Wir sehen auf älteren
Abbildungen von Empire-Räumen wohl bisweilen
den ganzen Boden mit Teppichen, dann mit grosser
architektonischer Rahmengliederung und naturali-
stischen Blumen bedeckt - meist aber bleibt der
Boden frei. Und man muss sagen, dass zu der
streng architektonischen Haltung des ganzen
Raumes ein einfach parkettierter Boden am besten
Ausmmng „,Düsse1do,f_ Dreh passt; in der Barockzeit hatte man auch reich ein-
eckige Emailvase. von Adele gelegte Holzböden, wie in den Eckräumen des
v" Siarbwie" Wiener Belvederes, die einen Teppichbelag na-
türlich von vorneherein ausschliessen.
In der Empirezeit und den darauffolgendenJahrzehnten scheint übrigens
besonders die Straminstickerei für Teppiche Anwendung gefunden zu haben.
Auf die architektonischen klassizistischen Teppiche folgen dann gegen
die Mitte des Jahrhunderts die ganz naturalistischen Arbeiten, die vielfach
bereits sammtartig auf dem Maschinwebstuhle ausgeführt werden. Eine
gewisse Haltung haben noch die grossen französischen Maschinteppiche
mit riesigen naturalistischen Blumengewinden, besonders aus Rosen, die
man noch vielfach in älteren Staatsräumen, z. B. bis vor kurzem im Wiener
österreichischen Finanzministerium sehen konnte; natürlich waren Tep-
piche immer der Bestandteil einer Einrichtung, der am raschesten abgenützt
wurde. Schrecklich waren aber die kleineren Vorleger, die mit Land-
schaften, Jagden, historischen Szenen im krassesten Naturalismus und
schreiendster Farbe bedeckt waren. Überreste dieser Art kann man ja noch
heute in den Vorstadtläden aller Städte Europas verfolgen.
Ich wage nicht zu behaupten, dass ich hiemit auch nur die Hauptphasen
der europäischen Teppich-Erzeugung erschöpfend gekennzeichnet habe; eine
Geschichte des europäischen Teppiches (nämlich des Bodenteppiches) ist
noch nicht geschrieben. Und man begreift, dass niemand besondere Lust
dazu empfand; denn diese Geschichte ist keine sehr rühmliche.
Man begreift darum aber auch, dass in Europa seit Jahrhunderten die
orientalischen Teppiche Verbreitung fanden; denn man konnte sich dem
Eindrucke ihrer künstlerischen Überlegenheit nicht entziehen. Wir finden