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gestampften Wachtthürme der früheren Jahrhunderte sind spurlos verschwunden und selbst
vvn der großen hölzernen Brücke, welche noch zu Ende des zweiten Decenniums unseres
Jahrhunderts so berühmt war, ist nur noch die Überlieferung vorhanden. So auch davon,
daß dort längs der Hauptstraße bis zur Hanptkirche (nicht der Quere, sondern der Länge
nach) eine ungeheure brctterne Überbrückung auf Holzpfvsten bestand, welche den Abfluß
kanal der Hauptstraße überdeckte. Die Wagen fuhren auf dieser vierthalb Klafter breiten
Brücke ab und zu, im Sommer aber, wenn jede Pfütze ausgetrocknet war, sperrte man
die Brücke durch zwei Thore ab. Später kam an ihre Stelle ein Ziegelpflaster, noch
später, in den Fünfziger-Jahren, eines von Holzstöcken. Jetzt ist diese schöne schnurgerade
Hauptstraße breit mit Trachyt gepflastert, ihre Bürgersteige sind asphaltirt und mit zwei
prächtigen Alleen eingefaßt. Je weiter die Straße in die Stadt eindringt, desto breiter wird
sie, so daß sie vor der Domkirche und dem Stadthause schon den ganzen Marktplatz in sich
anfnimmt. Und die Hauptstraße, der Hauptplatz, die Czegled-Gasse sind jetzt mit schmucken
stvckhohen Häusern besetzt, worunter der nenerbaute große Gasthvf der Stadt, „zum Stier",
und das städtische Theater hervorragen. Die ganze Stadt ist mit Gas beleuchtet. Die
freien Plätze sind mit Zicrbäumen bepflanzt. Im Frühling, wenn man vom Bahnhofe
den Weg durch die Hauptstraße bis zum großen Gasthof zurücklegt, glaubt man in einen
Feengarten gerathen zu sein. Die ganze Stadt schwimmt im Dufte vvn verschiedenen
Akazienarten, die zu Tausenden längs der Gassen gepflanzt sind. Und die breite gepflasterte
Straße wird unter häufigem Geläute von der Dampf-Tramwah befahren, deren rauchlose
Lveomotivc fünf bis sechs Waggons schleppt, alle dicht besetzt mit stattlichen, modisch oder
volksthümlich gekleideten Personen — ein Anblick, wie ihn selbst die Hauptstädte unserer
Monarchie nicht bieten. Auch aus der Ferne gesehen gibt Debreczin ein großstädtisches
Bild mit seinen beiden zweithürmigen Hanptkirchen, drei einthürmigen Kirchen, den rauch
speienden Fabriksschloten und der Jstvan-Dampfmühle, einer der größten des Landes.
Und was das Äußere der Stadt verspricht, sieht man im Inneren vom ersten Schritt an
erfüllt, denn sechs breite Straßen gliedern die Masse von viertausend hübschen steinernen
Häusern. Diese sind von etwa 50.000 Seelen bewohnt, einem arbeitsamen, geschäftigen
Volke, das kein Proletariat kennt; für die Stadtarnien sorgt die Gemeinde selbst. Die
öffentlichen Gebäude sind sümmtlich ans Kosten der Stadt erbaut. Die Firmatafeln zeigen
zumeist magyarische Namen. Die patrizischen Familien, die Honoratioren der Stadt
glänzen nicht mit Wappcnschilden, sondern mit Ladenschildern. In dieser Welt des Handels
und Gewerbes gehört die leitende Rolle den alten magyarischen Familien, nnd trifft man
unter ihnen hier und da einen fremden Namen, so ist er gewiß wegen bedeutender Verdienste
ausgenommen worden nnd sein heutiger Träger ist ein noch eifrigerer Magyare als selbst
die Autochthonen.