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Objekt: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 9)

JOSEPH HAYDN 
REDli ZUR ERÖFFNUNG DER HAYI)N-AL'SST'I-ILLUN(J IN DER NEUEN HOFBURG 
Von LI 
.OPOLD NOWAK 
In der Tonkunst gibt es den Begriff des Kontrapunktes: Ge- 
setze, denen zufolge Melodien miteinander zu einem wohlklin- 
genden Ganzen verbunden werden; ja, noch mehr: man kann 
ihre Gestalt verändern, man kann sie umdrehen, kann sie ver- 
größern, aber auch verkleinern, und doch werden sie sich immer 
mit den begleitenden Stimmen zu einer Komposition fügen, die 
kraft dieser Gesetze in logischem Gleichgewicht steht, Sinnbild 
und Beweis harmonischer Ausgewogenheit. 
Das liißt sich auf uns Menschen übertragen. Auch wir sind auf- 
einander angewiesen, tragen eine Melodie durchs Leben, unseren 
Charakter, und müssen zusehen, daß wir mit den anderen „Me- 
lodien" unserer Umgebung zusammenstimmen. So bestehen Ähn- 
lichkeiten zwischen Kunst und Leben. 
Kunst ist aber nicht nur Abbild dieses Lebens, sondern auch 
selbst eine lebendig tätige Kraft. Sie wirkt am strahlendsten 
aus jenen Menschen, denen die Gnade von oben den Genius des 
Schöpferischen verliehen hat. Eines solchen Künstlers gedenken 
wir heute, da wir im Begriffe stehen, diese Ausstellung zu seiner 
Ehre zu eröffnen: joseph Haydn. 
Es galt, den Charakter dieses großen österreichischen Ton- 
künstlers darzustellen in seinem Werk, und das geschah auf 
eine Weise, die von den bisher gepflogenen grundsätzlich ab- 
weicht. Man verzichtete auf eine Aneinanderreihung von lland- 
schriften, Bildern, Dokumenten in zeitlicher Abfolge und ver- 
suchte dagegen, das Lebenswerk durch seine einzelnen Gattun- 
gen mit Beispielen von ausgesuchter Kostbarkeit in Erinnerung 
zu rufen. Nicht die Fülle von Handschriften und Drucken sollte 
Eindruck machen, ein Eindruck, der übrigens leicht verwirrt 
und den nicht fachlich gebildeten Besucher eher von sich stößt 
als anzieht, sondern die Einmaligkeit und Kostbarkeit der 
Stücke selbst. Dabei darf man noch zu bedenken geben, datl 
die Kostbarkeit einer Musikhandschrift dem Bescliauer nicht 
sogleich zum Bewußtscin kommt: sind es doch lediglich lälittter 
einfachen Papieres, mit Notenlinien, Köpfen, llälsen und son- 
stigen Zeichen bedeckt. Nur dem Musiker verhelfen sie zu 
klingendem Eindruck, für den Großteil der übrigen BUMJltALICl' 
aber bleiben sie stumm. Weder Gold, noch Edelstein, keine Far- 
ben, keine prächtigen Stoffe finden sich an ihnen, und dennoch 
gehören sie zu den bedeutendsten Schätzen der Welt: die Skizzen 
zur „Schöpfungf die Nclson-Messe, die Streichquartettc op. I7 
und 20 oder das "Gott erhalte". Millionen Menschen haben aus 
der Musik, die llaydn diesen Blättern anvertraute, Erhebung, 
Freude, Trost empfangen. Darin liegt ihr Wert, er ist aber nicht 
sichtbar, er muß gedacht werden, er gehört dem Geiste zu. 
Für diese Ausstellung trat also an die Stelle der Bindung, die 
im zeitlichen Ablauf liegt, jene, die im Wesen der einzelnen 
Musikgattung begründet ist. Dies wird durch (Jcgenstiinde des 
Kunstgewerbes und des täglichen Lebens aus der Zeit Haydns 
erreicht. Vor des Beschaucrs geistigem Auge sollen Raum und 
Umgebung aufsteigen, für die llaydn die einzelnen Werke schuf. 
Bei den Messen wird ein kostbares Ziborium mit Kronendeckel 
und ein Vespermantel aus der zweiten Hälfte des 18. jahr- 
hunderts an die Pracht der Gottesdienste in der Bergkirchc zu 
Eisenstadt erinnern. Fürst Nikolaus ff. veranlaßte sie zum Na- 
mcnstage seiner Gattin Maria Hermenegild. Die gleichzeitig 
ausgestellten Autographen der Nelson- und Theresienmcsse be- 
inhalten die Musik, die von Haydn für diese Hochämtcr kom- 
poniert wurde. Aber auch Beethovens C-dur-Messe gehört an 
diesen Ort, ist sie doch für den gleichen Anlaß entstanden. 
Anders wieder verhält es sich mit den Instrumcntalkonzerten. 
Wir empfangen sie hcute im Konzertsaal. Zur Zeit Haydns war 
das Konzert noch eine aristokratische Angelegenheit und stand 
meist in der Nähe einer sowohl mit Speisen, als Blumen, Por- 
zellan und Silbergegenstiinden reich besetzten Tafel. Daher wird 
man in diesen Vitrinen ncbcn dem H0rn-, Trompeten- und Cello- 
konzert eine kostbare Porzcllanvase von 1790, aber auch einen 
etwa 40 Jahre früher entstandenen Eßteller mit Salzfäßchen 
erblicken. In ähnlicher Absicht zeigt die Vitrine mit den Sym- 
phonie-Skizzen die Porträts von Fürst Nikolaus Esterhäzy dem 
Prachtliebenden, und seiner Gemahlin Maria Elisabeth. llaydn 
hat unter seiner Regierung auf dem Gebiete der Symphonie jcnc 
Höhe erreicht, die ihn dann befähigte, für England seine zwölf 
Londoner Symphonien zu schreiben. Fürst Esterhzizy war es, der 
Haydn den dazu vorbereitenden Lebensraum schuf. So ist eine 
Beziehung zwischen den Bildern und den Skizzen gegeben, wenn 
auch diese Symphonien nicht mehr für Fürst Esterhäzy entstan- 
den sind.
	        
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