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Volltext: Monatszeitschrift VII (1904 / Heft 9)

„Beischlag". Er war wohl für die Abendstunden der Sommerzeit als Sitzplatz 
bestimmt, wenn es in der Diele schon zu düster wurde und der Feierabend 
die Nachbarn herauslockte. Den reichsten Schatz an Ausbildungen terrassen- 
förmiger Beischläge besitzt der alte Teil von Danzig"' mit seinen Strassen, 
in denen noch die Bäume längs der Fahrbahn wachsen, und die verkehrsstille 
Abgeschlossenheit den vornehm ruhigen Eindruck der schlanken Giebel- 
häuserfronten mit ihren hohen Fensterbildungen steigert. 
Diese Beischläge besitzen Brüstungen und kurze Treppengeländer, 
welche in reicher Mannigfaltigkeit die Formensprache vom XVI. bis zum 
Beginn des XIX. Jahrhunderts zeigen, ebenso wie die schmalen Giebelfronten, 
die selten mehr wie drei Fensterachsen umfassen. 
Jahrhunderte sind über diese Bauten hinweggegangen und haben wenig 
mehr als die Ausdrucksweise der Detailbehandlung ändern können. Erst im 
XIX. Jahrhundert haben sich die mächtigen Verschiebungen eingestellt, 
welche das Leben und damit das Stadtbild gänzlich umgewandelt haben. 
Jetzt diktieren Verkehrsinteressen und Hygiene, Massenbedürfnisse und 
Massenbetrieb, wo früher der Einzelne ein von altersher eingebürgertes 
Sonderinteresse wahrnehmen konnte. 
Dieses Interesse am eigenen Heim, an Wohnlichkeit und Behagen ist 
aber darum nicht verschwunden. Wenn das Familienhaus in der Stadt nur 
den Reichsten ermöglicht oder ganz verdrängt ist, kann es naturgemäss an 
der Peripherie gedeihen. Es kann dort Bedingungen finden, die ihm eine 
neue Blütezeit ermöglichen; besonders dann, wenn nicht immer der Luxus 
des alten Palastes, der Architekturaufwand jener Perioden zu Rate gezogen 
wird, in denen die Repräsentationsrücksichten über dem Behagen standen, 
sondern wenn eine gewisse Einfachheit der Gestaltung angestrebt wird, wie 
sie jenen Perioden und Ländern eigen ist, die Wohnlichkeit und Intimität 
vor allem schätzten. Der moderne Architekt, der vor die Aufgabe gestellt 
ist, der bürgerlichen Wohnbaukunst unserer Tage zu einem lebendigen 
Ausdruck zu verhelfen, wird viel aus nordischen Verhältnissen lernen 
können. Er wird aber auch nicht versäumen dürfen, im eigenen Lande den 
erhaltenen Resten nachzugehen. Die unmittelbare Umgebung der Grosstadt, 
die bis vor kurzem ganz ländlichen Charakter hatte, besitzt aus dem Beginne 
des XIX. Jahrhunderts noch manches gut erhaltene Beispiel bürgerlicher 
Bauweise. Wir finden auch die Diele darin wieder, ganz so wie im Norden, 
nur nicht so bewusst entwickelt. 
Auch das sogenannte „Vorstadthaus" mit seinem Gärtchen und 
malerischen I-Iofanlagen besitzt wohnliche Reize, die aus dem Typus des 
Familienhauses stammen und viele Anregungen abgeben. Wir müssen nur 
die kunsthistorische und äusserlich formale Betrachtungsweise verlassen, 
die bis vor kurzem noch gang und gäbe war und noch so sehr verbreitet ist. 
Dann werden wir vielleicht auch entdecken, dass die alten Wohnsitten und 
Wohngebräuche noch nicht ganz verschwunden sind, die eben jenen Bauten 
zu einem so einfachen und anheimelndem Charakter verhalfen. 
"Siehe u. a. Joh. Karl Schultz, Danzig und seine Bauwerke. 54 Radierungen.
	        
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