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Volltext: Monatszeitschrift VII (1904 / Heft 10)

war. So wurde nicht nur für das opulente Erfordernis des adeligen Land- 
sitzes sondern für den bürgerlichen Mittelstand, das grosstädtische und das 
kleine Wohnhaus der Umgebung und für das Arbeiterhaus die künstlerische 
Form gefunden. 
Wenn der fruchtbarste und umfangreichste Geist der Bewegung, 
N. Shaw, heute als bejahrter Mann mit Anderen klassizistischen Einflüssen 
folgt, so ist diese Tatsache als ein Rückschritt zu empfinden. Sie vollzieht 
sich allerdings derzeit in England mehr auf dem Gebiete des öffentlichen 
Bauwesens und konnte bis jetzt die Verdienste der Engländer um den 
Wohnbau noch nicht erheblich schmälern. Auch hierin unterscheidet sich ja 
die Entwicklung des englischen Hauses so wesentlich vom kontinentalen 
und für uns gültigen Typus. Während bei uns die Keimperiode der modernen 
bürgerlichen Kultur in das Ende der klassizistischen Zeit fällt, ist sie für 
England so erheblich früher eingetreten, dass der Klassizismus bereits 
eine Erstarrung bewirkte. 
An der grossen Zahl begabter Schüler der genialen Reformatoren ist 
eine lebendige Weiterbildung ihrer Ideen zu beobachten. Einerseits erlangte 
der handwerkliche Teil des Hausbaues durch das Studium der alten so wert- 
vollen zunftmässigen Techniken eine Vollkommenheit in der Behandlung 
des Materials, wie sie anderwärts nirgends auftritt und vielleicht auch kaum 
erreichbar ist, und andrerseits wurde der Neigung zur Einfachheit der äusseren 
Gestaltung gefolgt durch eine immer zunehmende Strenge und Geschlossen- 
heit der äusseren Erscheinung, die mit dem nebligen Klima, den seltenen 
Sonnenblicken auch eine praktische Begründung hatte. Was aber vielleicht 
die grösste Bedeutung für die überzeugende Wirkung der künstlerischen 
Gestaltung insbesondere auf unsere eigenen Verhältnisse hatte, das ist die 
endliche Vereinigung jener beiden früher erwähnten Strömungen. Der 
Architekt nahm auch die dekorative Ausgestaltung des Hauses ganz in seine 
Hand, er denkt nicht mehr bloss an Grundriss und Aufbau, die fertige 
Wirkung des eingerichteten Raumes in seiner farbigen Erscheinung ist der 
Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Ausserdem trat die Befreiung von 
Stylfesseln in das Stadium der vollen Selbständigkeit, die nach Neubildungen 
strebt und in der Betonung der künstlerischen Persönlichkeit den Sieg der 
künstlerischen Einflussnahme sieht. 
So ist der englische Architekt Schritt für Schritt, wie es dem konser- 
vativen Volkscharakter entspricht, zur höchsten Verfeinerung und Vertiefung 
im I-Iausbau gelangt; und was der südliche Teil der Inselbevölkerung nicht 
immer bis zur letzten Konsequenz verfolgen wollte, hat der nördliche Teil 
sich zum besonderen Ziel gesetzt. Es sind vorwiegend junge schottische 
Künstler, die diese „Künstlerkunst" im Heim betätigen. 
Parallel mit der Entwicklung des Hauses und seiner Einrichtung läuft 
diejenige des Gartens, welcher wie einst auch heute wieder als untrennbar 
vom architektonischen Gedanken empfunden wird und mit zu einem 
wichtigen Schaffensgebiet des Architekten gehört. Es ist ungemein anregend,
	        
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