In der bereits erwähnten Ein-
leitung zu dem von Mr. Heinemann
herausgegebenen Prachtwerke äußert
sich die Dichterin Alice Meynell
folgendermaßen über Sargents Tech-
nik: „Es ist nicht nötig zu erklären,
daß Schönheit der Ausführung un-
trennbar von aller wirklich großen
Malerei ist, und daß jene Arbeit,
welcher sie abgeht, nicht zur besten
irgend einer von zwei berechtigten '
und gesetzmäßigen Schulen zählt:
denn Ruskin schreibt von der Macht
und nicht nur von der Schönheit. Die
Ausführung des I-Iogarth ist sehr
schön, aber seine ,Vorführung' von
Macht der Hand ist so unterdrückt,
daß sie manchenbewundernden Augen
entschlüpft. Mr. Sargent ist eminent
auf dem Gipfel einer dieser gleichen
Höhen. Er hat in der Tat uns in der
neuen Zeit gezeigt, wie hoch diese
Höhe reicht - die Höhe der mani-
festierten ,Macht der I-Iandß da doch
die Manifestation ein wesentlicher Teil der Schönheit dieser Macht ist. Er
gehört deshalb der Familie des Velasquez an, und zwar ist er nichts
Geringeres als sein I-Iaupterbe."
Das ist mit der Überschwenglichkeit der Dichterin gesprochen. Vieles
hat ja Sargent von Valesquez geerbt, aber etwas geht ihm doch ab. Dieses
Etwas ist das Gefühl für den Wert des Pigmentes. Seiner Farbe, seinem
Ton fehlt das, was der Engländer als „precious" bezeichnet. Das Bild wirkt
nur als Ganzes. Man verdecke einen Teil davon und prüfe ein bloßes Stück,
einen Quadratfuß, zum Beispiel aus einem Kleide, und das Pigment wird seine
ganze Bedeutung verlieren. Das ist beiVelasquez nie der Fall. Da ist die Farbe
an sich selbst „precious" - etwas Wertvolles, selbst wenn der Zusammen-
hang mit dem ganzen Bilde aufgelöst ist. Und für den Kunstverständigen
wird selbst die Betrachtung eines solchen Segmentes ein Genuß sein. Und
in dieser Beziehung steht Whistler dem Velasquez viel näher als Sargent.
Schließlich sind es jedoch nur die Wenigen, die einKunstwerk von diesem
analytischen Standpunkt aus betrachten. Und Sargent bietet so viel Genuß
für das Auge, so viel Anregung für den Geist, daß man dieses rein techni-
schen Mangels kaum gewahr wird. Auf jeden Fall ist er nicht bedeutend
genug, um das Unvermeidliche zu verhindern: daß Sargent im goldenen
Buche der Kunstgeschichte einen Platz einnehmen wird, wie er wohl
keinem anderen lebenden Künstler beschieden ist.
john Singer Sargenl, Coventry Patmore