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Objekt: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 153)

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Die zweite der genannten Gruppen unterscheidet sich wesentlich 
von der eben erwähnten. 
Wohlbedacht und systematisch arbeitend geht sie daran, die Er- 
scheinungsformen der Natur, insbesondere der Pflanzenwelt, zu durch- 
forschen und die einzelnen Species auf Entwicklung und Gestaltung zu 
prüfen. Der hiebei eingehaltene Vorgang bezieht sich anstatt auf das un- 
mittelbare Anschauen und Genießen und auf die vielleicht nur unbewusst 
richtige Verwerthung des gewonnenen Eindrucks auf ein kritisches, bis 
in die feinsten Einzelheiten gehendes Studium. Hiemit soll dem Orna- 
mentiker Gelegenheit geboten werden, den" Weg des fortgesetzten Copirens 
von Zierformen vegetabilischen Charakters zu verlassen, um auf diese 
Art der Gefahr zu entgehen, statt des organisch Entwickelten, nach den 
Gesetzen der Naturnothwendigkeit Gebildeten das todte Schema, die roh 
verallgemeinte Form in Anwendung zu bringen. Ferner aber soll der 
Künstler darauf hingewiesen werden, die Motive seiner Ziergebilde der 
Flora seines Heimatlandes oder seiner Umgebung überhaupt zu ent- 
nehmen; Pflanzenformen hingegen, welche ihm an lebenden Exemplaren 
wohl niemals zu Gesicht gekommen, nach Thunlichkeit zu vermeiden. 
Dass Projecte solcher Art ihre gesunde Grundlage offen und klar 
zu Tage treten lassen und hiedurch sogar manchen Skeptiker wenigstens 
zur ruhigen besonnenen Prüfung der angestrebten Reformen nöthigen, 
ist leicht erklärlich. ln der That scheint schon in der Einfachheit und 
Deutlichkeit der Motivirung solcher Verbesserungsvorschläge, welche auf 
eine in der angedeuteten Weise vorzunehmende Förderung des Natur. 
studiums abzielen, die beste Gewähr für das Gelingen zu liegen. 
Nutzen werden sie auf jeden Fall. 
Wie weit sich aber dieser Nutzen erstrecken kann und wird, ist 
erst zu ermessen, wenn in den verschiedensten Arten der Technik, in 
den verschiedensten Zweigen der Kunsttlbung Aufgaben mit Zugrunde- 
legung der neugewonnenen Erfahrungen zu vollständiger Lösung gebracht 
sein werden. 
Herstellungsart und Zweck dürften da gar oft die Benlitzung der 
schönsten, wohldurchstudirten Form unthunlich erscheinen lassen. Manche 
Aufgabe, welche vor ein paar Jahrhunderten noch in glänzender Weise, 
gleichsam spielend, bewältigt wurde, dürfte mit Benützung des der Natur 
entnommenen Formenschatzes entweder nur unvollkommen oder gar 
nicht zu lösen sein. 
Vergegenwärtigen wir uns eine solche Aufgabe" etwa in der Her- 
stellung eines eisernen hohen Abschlussgitters, für den Chor eines Domes 
bestimmt. Betrachten wir irgend ein solches aus den Zeiten der deutschen 
Spätrenaissance oder der frühesten Barockkunst. Wohlgefügt und stark 
sehen wirsdas Rahmenwerk, -wie es Meister Schmied nach seinen Erfah- 
rungen und den Regeln seiner Kunst geschaffen. ln schöner Proportion 
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