gegenstände zu bezeichnen, die in sieben Erschei-
nungen eröffnet werden Sblllerlws.
Vom Standpunkt eines religiöse Werke schnitzen-
den Bildhauers jener Zeit muß man sich einmal ver-
gegenwärtigen, daß außer Orgelbekrönungen und
Kanzeln sowie additiv-figürlichem Beiwerk an und
auf Altären vor allem ein im Zentrum der Betrach-
tung stehendes Tabernakelgehäuse der richtige Ort
war, um dort Engelkinder in allen erdenklichen Po-
sen anzubringen, wobei der bildhauerischen Phan-
tasie kaum jemals Grenzen gezogen waren. Für die
erstaunliche Freiheit der dort vorhandenen Darstel-
lungen in Haltung, Bewegung und Ausdruck im
Zeitalter des Rckoko ist gerade die Komposition der
Stuttgarter Tabernakelbekrönungsgruppe als be-
sonders einleuchtender Beweis anzuführen. Es ist
verständlich, daß der figürliche Stil des Bildhauers
im Verlauf einer viele Jahre umfassenden Schaffens-
tätigkeit mehreren sichtbaren Wandlungen unter-
worfen war. Es bedarf daher keiner eingehenden Er-
läuterung, daß ein solcher Stilwandel sich auch bei
den von ihm geschnitzten Engelputten feststellen
läßt. Ihr Typus findet sich in allen seinen Werkpha-
sen. Ein ersterAnsatzpunkt auf diesem Sektor bietet
die um 1730 ausgeführte Engelkindergruppe, die
J. B. Straubwährend seiner WienerTätigkeitfürden
Korpus der einst in der Schwarzspanierkirche be-
findlichen Kanzel (heute in LaxenburglNO.) schnitz-
tew. Sind diese Straubschen Kinderengel ver-
gleichsweise noch schwerfällig und eher etwas be-
fangen und vor allem keineswegs räumlich konzi-
piert, so ändert sich der vom Bildhauer verwendete
Typus in späteren Werken zusehends. Man kann
dies etwa so beschreiben: er wird in zunehmendem
Maß proportionierter. Zugleich wird er im Gesamt-
habitus wesentlich geschickter. Es zeigen dies in
besonderer Weise jene hervorragenden Kinderen-
gel in betont ausgelassener Bewegung und einer
gleichsam tänzerischen Beschwingtheit, die der
Bildhauer um 1739 als Fietabelbekrönung für die
beiden Choraltäre in der ehem. Augustiner-Chor-
herren-Stiftskirche in Diessen am Ammersee
schnitzte". Aufgrund einer solchen Stillage ist aus
den in diesem Fall sich anbietenden Gründen anzu-
nehmen, daß die Engelkinder der Stuttgarter Bekrä-
nungsgruppe entsprechend später anzusetzen sind.
Man geht deshalb gewiß nicht fehl, wenn man sie
aufgrund dieser Voraussetzungen in das Jahrzehnt
zwischen 1740 und 1750 datiert. Es ist genau der
Zeitabschnitt, welcher der mittleren Schaffenspe-
riode des Münchener Bildhauers entspricht. Sicher
würde man ihr heute weit weniger Bedeutung bei-
messen, müßte man sich andererseits nicht im-
merzu vor Augen halten, daß sie es war, die aus-
schließlich typenprägend und typenbildend für je-
nen damaligen Schüler Straubs war, der heute als
die Inkarnation der Münchener Flokokoplastik
schlechthin gilt. Gemeint ist damit lgnaz Günther.
Die künstlerische Konzeption seines Frühwerks -
der Hochaltar in der Pfarrkirche in Koprivna-Gep-
persdorflCSSFl" - setzt eindeutig Stilerfahrungen
voraus, wie sie sich einst in Gestalt solcher Werke
Straubs. wie beispielsweise der Stuttgarter Taber-
nakelbekrönungsgruppe mit ihren schönen Engel-
kindern, als unvergeßliches Bildungserlebnis dem
eine Generation jüngeren Bildhauer in München
dargeboten haben.
Daß andererseits bei J. B. Straub eine keineswegs
zu unterschätzende Variationsbreite gerade bei den
von ihm in späterer Zeit geschnitzten Kinderengeln
unleugbar vorhanden ist, zeigen zwei andere Werke
gleichen Themas. Es ist dies zunächst ein aus-
drucksstarker sitzender Putto, der offensichtlich
einst für einen größeren szenarischen Zusammen-
hang komponiert war (H. 36,5 cm). Erwird hier erst-
mals Straub stilistisch zugeschrieben. Dieser
Straub-Putto befindet sich in den Städtischen
Kunstsammlungen in Augsburg". An diesen Stil
schließt sich ein anderes Werk Straubs von gleicher
AD
Qualität an. Es handelt sich um einen freundlich lä-
chelnden vergoldeten Kinderengel. Er befindet sich
zur Linken des von dem Münchener Bildhauer aus-
geführten Hochaltartabernakels in Schäftlarn".
An dieserStelleistnoch einmal aufdie lkonographie
zurückzukommen. Vorauszusetzen ist bei der Stutt-
garter Bekrönung, daß man sich, wie gesagt, den
unteren Teil zu ergänzen hat. Auch bei diesem Werk
muß man sich vorstellen, daß das Ganze einst als
selbständiges Gehäuse komponiert war. Es war ur-
sprünglich auf einer Mensa aufgestellt. Mittelpunkt
einer solchen Anlage im wörtlichen wie im übertra-
genen Sinn ist nach dem Zentraldogma der Euchari-
stie das unsichtbar im Tabernakel vorhandene My-
sterium vom eucharistisch anwesenden Erlöser.
Nach dem biblischen Einsetzungsbericht (Luk.
22,10) ist das Sakrament des Altars- die hl. Euchari-
stie - identisch mit dem Sakrament der Danksa-
gung. Der dort bewahrten Hostie gilt die ewige An-
betung (Geh. Offenbar. 8,3 ff.) in Gestalt der immer
bei Straub-Tabernakeln vorhandenen symmetrisch
angeordneten, seitlich knienden Engel. Sie erschei-
nen als Vertreter der beiden obersten Engelschöre,
Ihre inhaltlich mehrschichtige Bedeutung resultiert
aus der überlieferten Idee der Kirche, wonach sie als
Angeli missae bei der Feier des Meßopfers anwe-
send sind's.
Dem in Rede stehenden Tabernakeltypus entspricht
es, daß das Gehäuse stets zwei Gelasse enthält. Das
untere befindet sich im Sockel. Bestimmungsgemäß
enthält es zwei Flügeltüren für die Aufnahme der
Hostien zur Kommunionspendung. Das unmittelbar
darüber befindliche, etwas höhere Gelaß enthält
eine Drehtüre für die Aufnahme der Monstranz. Die
kleine Türe ist häufig mit einem Flachrelief ge-
schmückt. im Werk Straubs finden sich zwei solche
Themenkreise. In Schäftlarn und in Eschenlohe ist
beispielsweise die Szene dargestellt, bei der Jesus
in Emmaus (Luk. 24,30) vor den zwei Jüngern das
Brot bricht und segnet. Als Vorbild der Eucharistie
(1. Kor. 10,3) und der himmlischen Seligkeit (Geh.
Offenbar. 2,17) dient eine andere Darstellung in Ge-
stalt des Manna-Wundere. Eine solche reliefierte
Szene findet sich am Straub-Tabernakel in der Al-
lerheiligenkirche am Kreuz in München. Die jeweils
halbrund eingetiefte Expositionsnische des Taber-
nakels bietet außerdem noch genügend Flaum für
das hier aufzustellende kleine Altarkreuz. Als Bei-
spiel sei das aus der Werkstatt des Bildhauers
stammende kleine vergoldete Altarkruzifix von der
Allerheiligenkirche am Kreuz in München ge-
nannt".
Der hier des öfteren zitierte Tabernakeltypus, wie er
uns in den vorgenannten Werken des Münchener
Bildhauers entgegentritt, entspricht genau dem, der
sich seit der Gegenreformation in den katholischen
Ländern eingebürgert hat. Wie man exakt nachwei-
sen kann, hat ersich aus Vorschriften entwickelt, die
ursprünglich der hl. Karl Borromäus (1538-1584) als
Kardinal und Erzbischof von Mailand für die ihm un-
terstellte Erzdiözese aufstellte".
Gleichsam mit einem Blick des Abschieds ist in be-
zug auf die Qualität der Stuttgarter Tabernakelbe-
krönungsgruppe ganz exakt festzustellen, daß sie
zweifellos zu den liebenswürdigsten Schöpfungen
J. B. Straubs gehört. Dies gilt vor allem für die in ge-
radezu sprechender Lebendigkeit wiedergegebe-
nen Engelkinder ebenso wie für das den Betrachter
unvenivandt anblickende Agnus dei. im Hinblick auf
die themengleichen Werke seines Meisterschülers
lgnaz Günther hat man bisherdie seines LehrersJo-
hann Baptist Straub meist ein wenig unterschätzt.
Angesichts der meisterhaft geschnitzten Taberna-
kelbekrönungsgruppe in Stuttgart muß ein solches
Urteil jedoch unbedingt revidiert werden. Sie ist un-
verkennbar eine Bereicherung unserer bisherigen
Kenntnis über das Schaffen dieses Bildhauers, den
man einmal mit Recht als eVater der bayerischen
Ftokokoplastikn apostrophierte.
Anmerkungen 9-17
' Der gleiche Symbolwen der hier In Betracht kommen
lung finde! sich im Erslun Respcnsorium zu den Lekti:
tunn am Feste Circumcisionis Domini Nostn Josu Chr
lßk der TQXQ: IEOCB AQIIUS dei. E009. qui tolln pacoata f
u: quo dloobam vob' ui posr me venit. am: meiam
non sum dignus corrigiam calcaamenti. solvere. Oui d
lerm loqultur; qui dacollo venit. superomnasest-u-B
turgische Studien. l. Regensburg und Rom 1912. S.
"' Vl.. Ein in Wien enrstandenes Frühwerk Johann Bap
dil aus der Schwsrzspanierkirche St. Mariä stammen
der Pfarrklrcho in Laxenburglml. in: Alte und moderl
1973. S. 15H. mit Abb. G. S. 19.
" Ebenda. Abb 11. S. 22.
" vc.. Franz lgnaz Günther. Der große Bildhauer des bay
kuko, Regtnnburg 1971. s. sno mit zum. 4-1. 40-42.
" F01. Helga Schmidt-Glulsner (Deutscher Kunstverlag
" Fot. Buch- und Kunstvarlag Emn Nr. 30:42.
" e. Woeckol-E Herzog. lgnaz Günthers Fruhwerk
(GapparsdmfVGSSR. I. in: Panrhaun. XXIV. esse. s. 2
" A. Schulz. Kreuzkircha i" MürlChBn. Op. CiL. Abb. S.
" .1. Braun. Der chrisllicha Altar und seine geschichtlil
lung, 2. München 1974. S. 6451