Wanda Aschenbrenner
ZWEI B1 S H E R
UNBEKANNTE GEMÄLDE
PAUL TROGERS
Nach dem Erscheinen der Troger-Mnno-
graphie zu Weihnachten 1965 tauchten
diverse Troger-Bilder auf, von denen
zwei bisher unbekannte besonders er-
wähnenswert und vor allem einwandfrei
gesichert sind. Das eine Bild, eine wert-
volle Ölskizze in Wiener Privatbesitzl (Öl
auf Leinwand, Höhe 40,7 cm, Breite 48 cm),
ist der Entwurf für das Fresko im linken
Kreuzarm des Domes zu Brixen in Süd-
tirol und stellt eine Episode aus der Legende
des hl. Kassian dar, des ersten Bischofs
von Säben, des Patrons des Bistums
Brixen. Der Heilige befindet sich auf einer
Rompilgerfahrt und betätigt sich als Lehrer.
Er ist in einem Scherenstuhl sitzend
dargestellt, auf der Terrasse vor einem
klassischen Gebäude, und unterrichtet heid-
nische Kinder. Eine größere Anzahl von
Knaben umringt ihn, die auf der Terrasse
selbst oder auf den emporführenden Stufen
verteilt sind und eifrig in Büchern lesen
oder diskutieren. Die lernbegierigen Kinder
bilden natürliche und anmutige Gruppen
und einige wenden sich vertrauensvoll und
interessiert an den Lehrer. Den Hinter-
grund des mit einer schwungvollen Balu-
strade und Schmuckvasen abgegrenzten
Gebäudes bildet eine verdämmernde ita-
lienische Landschaft. Am Himmel schwebt,
von stimmungsvollen Wolkenbildungen
umgeben, eine lichte, reizvolle Engelgruppe
mit Bischofsstab und -mütze, mit Märtyrer-
kranz und Palme, den Emblernen des
Bischofs von Säben und des Märtyrers von
Imola. Die Komposition ist außerordentlich
harmonisch gestaltet, die für Troger so
charakteristische Verbindungslinie von Fi-
gur zu Figur verleiht der Darstellung
Bewegung und Geschlossenheit. Eine be-
sonders schöne, gut durchgezeichnete
Gruppe bilden die auf der obersten Stufe
der Treppe stehenden, einander zugewand-
ten Knaben. Zu voller Harmonie trägt
auch die ovale, das Bild umschließende
Rahmung bei. Die präzise zeichnerische
Gestaltung, wie wir sie aus den zahlreichen
Graphiken des Künstlers kennen, die
glänzende malerische Behandlung, die mo-
dellierenden Helldunkeleffekte zeigen die
unverkennbare Handschrift des Künstlers.
Das Fresko stimmt rnit dem Entwurf weit-
gehend überein. Diesem fehlt jedoch die
rahmende Architekturmalerei des Freskos.
Die abgerundete Formung ist beibehalten,
nur nähert sie sich im ausgeführten Fresko
mehr dem Kreis.
Das Gegenstück dieses Freskos im rechten
Kreuzarm zeigt den hl. Kassian als Bischof,
wie er eine heidnische Götterstatue zer-
stören läßt. Von diesem Fresko wurde noch
kein Entwurf aufgefunden, auch keine
Zeichnung, während die Ölskizzen aller
übrigen Brixener Domfresken bekannt sind.
Der Entwurf für das Chorfresko „Auf-
nahme Mariä in den Himmel" befindet sich
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im Tiroler Landesmuseum (Inv.-Nr. 1089).
Für das großartige Hauptkuppelfresko
„Anbetung des göttlichen Lammes" gibt
es zwei Fassungen von Ölskizzen, in der
Österreichischen Galerie in Wien (Inv.-
Nr. 4223} und im Diözcsanmuseum in
Brixen (Inv.-Nr. 185). Auch die Zeichnung
im Budapester Museum der schönen Künste
(Inv.-Nr. Sßjl K) zeigt eine Teilskizze zu
dem Hauptkuppelfresko. Im Salzburger
Privatbesitz befindet sich ein Entwurf für
das Orgelchorfresko, und die Ölskizze für
das Fresko „Die Fußwaschung" in der
Sakristei besitzt das Bozener Stadtmuseum.
Im Jahre 1753 verfertigte Troger auch ein
großes Altarbild für den Dom „Die Marter
des hl. Kassian", zu dem drei Ölskizzen
vorhanden sind: im Landesmuseum Fer-
dinandeum in Innsbruck (Inv.-Nr. 1268),
in der Österreichischen Galerie in Wien
(Inv.-Nr. 2169) und im Stadtmuseum in
Bozen (ehemals im Museum Bruneck). Es
ist zu hoffen, daß sich auch die Ölskizze
für das Fresko im rechten Kreuzarm Findet,
dann wären die Entwürfe für das in den
Jahren 174871750 geschaffene Hauptwerk
Trogers im Brixener Dorn vollzählig.
Das zweite Bild (Öl auf Leinwand, 11OX
131 cm) hat Kurt Rossacher in Rom unter
der Bezeichnung „Österreichischer Maler"
entdeckt und befindet sich nun im Besitze
der Residenzgalerie in Salzburg als würdiger
Vertreter Trogefscher Kunst.
Infolge der außerordentlich stark ausge-
prägten Bildcharakteristika dieses Künstlers
wurde es sogleich Paul Troger zugeschrie-
ben. Die ausdrucksvolle Sprache der Hände,
die harmonische Kompositionslinie, die
natürlich-erzählerische Darstellung, die an
seinen Lehrer Giambattista Piazzetta er-
innernde, die Gestalten forrnende Hell-
dunkelmalcrei sind für Troger kennzeich-
nend. Die beiden Männer auf der linken
Seite des Bildes zeigen große Ähnlichkeit
mit den Gestalten der Zuhörenden auf den
von Troger signierten und datierten Bildern
„Christus bei Nikodemus" und „Der
zwölfjährige jesus im Tempel" im Ursu-
linenkonvent in Salzburg-Glasenbach. Ge-
sicht und Gestaltung der weiblichen Figur
läßt ebenfalls an den Venezianer Piazzetta
als Vorbild denken. Bei der hervorragenden
Restaurierung durch Edmund Blechinger
kam auch die Signatur „P. Troger fec."
rechts unten zum Vorschein.
Das Bild ist voll Anmut und Ausdrucks-
kraft, voll Ausgeglichenheit, voll Licht- und
Farbsymbolik. Das Licht konzentriert sich
auf das Mittelstück Frau und Kind, streift
die sprechenden Hände und gliedert durch
Lichtrcflexc die anderen Gestalten in die
Szene ein. Die Mitte des Bildes nimmt eine
Frau in modischer Kleidung ein, die mit
anmutvollcn Bewegungen einen Knaben
hält, der die Ärmchen ausbreitet und mit
dem linken Fuß auf einen goldenen Kron-
reif tritt. Rechts von beiden, etwas tiefer,
sitzt unter einem Baldachirx auf einem
Thronsessel eine männliche Gestalt mit
einem Überwurf über der linken Schulter,
der auf der rechten mit Spangen gerafft
wird. Den Körper umschließt ein enges
Gewand. Der Mann wendet sich mit
ausdrucksvoll erhobenen Händen zur Mit-
telgruppe. Ihm gegenüber, auf der linken
Seite, blicken zwei Männer mit großer