heute bannt uns die stille Poesie attischer Gräberstraßen,
noch heute erfüllt uns die in Trümmern liegende Pracht
der Via Appia mit Staunen und Schauer zugleich. Selbst
die kunstlose Anlage der Katakombengräber wirkt groß und
erhaben durch den einheitlichen Zug, welcher durch diese
geheimen, vom Blute der Märtyrer geweihten Zufluchtsorte
der Lebenden und Toten geht. Arcosolium und Columba-
rium blieben für alle Zeiten bei Errichtung von Massen-
gräbern mustergültig, mancher Campo Santo Italiens enthält
in seinen Laubengängen Nachbildungen der altchristlichen
Anlagen.
Im frühen Mittelalter überließ man, germanischen Über-
lieferungen entsprechend, den Schmuck der Gräber der Natur.
Sie tat das meiste, um die Friedhöfe, welche man um die
Kirche herum anlegte, zu stillen Stätten des Friedens zu
machen. Solange die Kirchen zumeist auf Anhöhen errichtet
wurden, sorgte schon das hügelige Gelände für Mannig-
faltigkeit und landschaftliche Stimmung. Später mußte man
sich nach dem Raume richten, welchen die anwachsenden vnllntujzigläzäsd"
Ortschaften frei ließen und da man auch Straßen und Märkte sgeiexy. London.
nicht nach Winkelmaß und Richtscheit anlegte, blieben 3:32:12:
so noch der traulichen Plätze im Grünen, der krum- Bernard Cuzner,
men und winkeligen Pfade genug. Selbst von den Gräbern
unserer Urgroßeltern weht noch ein Hauch der Roman-
tik, sanft elegischer Stimmung zu uns herüber. Erst als unsere Stadt-
erweiterungen mit ihren rechtwinkligen Parzellierungen, der peinlichen
Ausnützung jedes Fleckchens Erde einsetzten, kam der i-iskalische Geist auch
über die Ruhestätten der Toten. Auch sie wurden womöglich in der Ebene
rechtwinkelig begrenzt, von scharf linierten Kreuz- und Querwegen durch-
schnitten, die Gräber dicht, ohne jeden Zwischenraum nebeneinander
gesetzt, mit Mauern und Gittern abgesperrt wie Gefängniszellen. Manchmal
hilft Mutter Natur ein wenig nach, vereint die feindlich voneinander ge-
trennten Brüder, deckt die Kerkergitter ein wenig zu und mildert das augen-
blendende Weiß kalten Marmors. Es gibt Friedhöfe, deren Einförmigkeit
durch schöne Fernblicke in die Umgebung unterbrochen wird, in welchen
alte, weitverästelte Bäume und andere Überreste von Vegetation Ruhepunkte
schaffen, solche, die sich im Schatten eines Waldes ausbreiten und andere,
die einen Abhang mit Buschwerk und Hügeln hinabklettem. Aber wie selten
sind sie, besonders in größeren Städten, im Vergleich zu den geist- und
gefühllosen Schöpfungen moderner Ingenieure, welche in unserem Kultur-
leben nur den kühlen Verstand gelten lassen wollten und die zweite Hälfte
des vorigen Jahrhunderts nach Schulze-Naunburgs Wort zum „Zeitalter der
I-Iäßlichkeit" gemacht haben! Wir fliehen den Ort förmlich, an dem unsere
Toten ruhen, in dessen eintönigen Gängen uns Ermüdung, Uberdruß und