Natur der einzelnen Volksstämme liegt und jeder deutsche Volksstamm
sein künstlerisches Eigen nennen kann.
Gerade wenn es sich darum handelt, das künstlerische Nationalver
mögen der ganzen deutschen Nation zu verwerthen, ist es nöthig, die
reiche Begabung einzelner Stämme in kunstgewerblicher Richtung voll
ständig auszunützen und in das gemeinsame volkswirtschaftliche Bewusst
sein aufzunehmen. Das deutsche Reich und Oesterreich bilden auf diesem
Gebiet einen vollständigen Gegensatz. Während in Oesterreich die einzelnen
Volkstämme und Kronländer einen volkswirthschaftlichen Krieg unter
einander führen, jedes Kronland zuerst an sich denkt, ohne die gemein
samen volkswirthschaftlichen Interessen zu berücksichtigen, ist die ganze
volkswirtschaftliche Politik des deutschen Reiches darauf gerichtet,
die Interessen einzelner deutscher Stämme zu amalgamiren und diese, ge
fördert durch volkswirtschaftliche, im großen Style entworfene Ver
fügungen, dem Weltverkehre zuzuführen. Es wird aber lange Zeit brauchen,
bis dieses Ziel erreicht wird; denn es zeigt sich überall im deutschen Reiche
eine Unsicherheit in der Behandlung der Frage, wie die Geschmacksbildung
der Gewerbetreibenden am besten gefördert werden soll. Wir berühren hier
nur einige Erscheinungen, die uns in Berlin besonders aufgefallen sind. In
mehreren Städten des deutschen Reiches, wo Kunstgewerbeschulen sich be
finden oder gegründet worden sind, hat sich ein Gegensatz zwischen der ge
werblichen und der akademischen Kunst herausgebildet, der für die weitere
Entwicklung der Kunstgewerbe nichts weniger als nützlich ist; dazu kommt
noch, dass einflussreiche Kreise von der irrigen Voraussetzung ausgehen,
als wenn die Kunst, welche den Kunstgewerben dient, eine mindere Kunst
sei, als jene welche in den großen Kunstschulen gelehrt wird. Damit
hängt es wohl auch zusammen, dass die deutschen Gewerbetreibenden an
das künstlerische Vermögen jener Künstler, welche sich dem Kunstgewerbe
zuwenden, einen viel zu geringen Maßstab anlegen.
Es hat sich in vielen deutschen Städten, speciell in Berlin, im Kunst
gewerbeleben ein künstlerischer und ästhetischer Dilettantismus herausge
bildet, der für die Entwicklung der Kunstgewerbe hemmend ist, weil
manchen Gewerbetreibenden und ihren Vertretern in der Oeffentlichkeit
öfter das richtige Verständniss von dem fehlt, wozu die Kunst im Gewerbe
berufen ist.
So wird Vieles jetzt als ein Fortschritt bezeichnet, was in Wahrheit
nichts weniger als ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in unserer
Kunstbildung und Kunstanschauung ist. Jede Nachahmung des Alten, ins-
besonders der deutschen und niederländischen Manieristen des 16. und 17.
Jahrhunderts, jede sogenannte Neuerung, wenn sie sich nur auf dem Markte
recht breit macht, wird als ein Fortschritt der deutschen Nation pro-
clamirt. Es mag sein, dass sich diese künstlerisch ganz unqualificirbare
Marktwaare vorübergehend auf dem Weltmarkt verbreitet, und es kann
immerhin Vorkommen, dass einige kaufmännisch geschickte Industrielle