sein. Wir wollen uns bei der
weiteren Untersuchung also
allein auf die Zeichnung des
Musters beschränken.
Auf jeden, der in den Stoffen
des späten Mittelalters und der
beginnenden Renaissance auch
nur einigermaßen bewandert ist,
wird diese Zeichnung nun einen
sehr befremdlichen Eindruck
machen und der Erforscher der
„großen Kunst" wird sich viel-
leicht veranlaßt sehen, hervor-
zuheben, daß hier eine grobe
oder wenigstens ungenaue und
skizzenhafte Darstellung vor- EEJVSRF-iääiFbRQFJ-WJE
liegt, die ungefähr den Eindruck
eines gemusterten Stoffes ma-
chen soll; doch darf man sich
heute mit einer solchen Bemer- QQEEEQQEZ-äifzäßgä
kung nicht mehr begnügen. Den
Eindtuckdes Fremdartigenhabe: Nctenlitel von Melchicr Lechler
offen gestanden, auch ich, als ich
das Werk vor einigen Jahren zum ersten Male in einer photographischen
Abbildung vor Augen bekam, sofort empfangen und offenbar ist dieser
Eindruck auch ein ganz beabsichtigter.
Den Meistern des Mittelalters und der Renaissance ist es natürlich nie
beigekommen, die heiligen Vorgänge, etwa wie französische Maler im zweiten
Viertel des XIX. Jahrhundertes, sozusagen als geschichtliche Ereignisse des
orientalischen Volkslebens aufzufassen; aber doch können wir vielfach er-
kennen, daß die Künstler irgendwie daran erinnern wollten, daß sich der
Vorgang tatsächlich auf dem Boden des Morgenlandes abgespielt hat. Ich
erinnere zum Beispiele nur an die zu Beginn des XVI. Jahrhundertes auf
venezianischen Bildern allgemein übliche Darstellung auffällig orientalisch
wirkender Stickereien an den Tüchern und Schleiern, die das Haupt Mariens
zu bedecken pflegen; es läßt sich die Vorliebe für solche Formen an solcher
Stelle gewiß nicht damit allein erklären, daß orientalische Muster tatsächlich
nach Italien, und besonders wohl nach Venedig, gelangten und auch in
italienischen Stickereien Nachahmung fanden. Auch die Kopfbedeckungen
etwa der Freier Mariens auf toskanischen oder umbrischen Bildern der
Zeit sollen ja gewiß orientalische sein und das auffällige Verdrängen orientali-
scher Inschriften und orientalischer Teppiche auf Marienbildern der früheren
Renaissance ist wohl gleichfalls nicht bloß durch den tatsächlichen Gebrauch
solcher Zieraten und Arbeiten im damaligen Europa zu erklären, sondern
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