einbauten mit Galerie, Büstenständer, Schränkchen und
Schränke drängen und schieben sich förmlich, und wo an
der Wand die Möbelstellung auch nur noch einen Geviert'
fuß Fläche freiläßt, da sind Bilder, Drucke, Teller, japanü
sehe Fächer, Wandbretter, Schilder und Wandleuchter am
gebracht. Es scheint eine förmliche Angst zu herrschen, durch
eine kleine ruhige Fläche den Eindruck des Leeren auf'
kommen zu lassen. Auf allen Tischplatten und Möbeln aber
prangen die „Nippsachen“, jene schlimmsten Eindringlinge
in die Einheit unserer Wohnung. Sie sind es, die in ihrer
Nutzlosigkeit und durch die Unruhe, die sie überall him
tragen, die babylonische Verwirrung noch um ein Unend'
liches vermehrt haben — ganz zu schweigen von den um
definierbaren Geschmacklosigkeiten, die sich gerade an ihnen
breitmachen; man denke nur an den bronzefarbenen Zink'
gußhund mit der Uhr in der Flanke, der im Takt des Uhr'
werkes mit dem Schwänze wackelt; oder an die allbeliebte
blecherne Ritterschildgarnitur als Wandleuchter !
Es ist nicht zu viel behauptet, und jeder, der sich auch nur
oberflächlich mit der Wohnungskultur vergangener Zeiten be'
schäftigt hat, wird hier beistimmen, daß der heutige WohnungS'
inhalt eine Unsumme von Unkultur darstellt, wie sie in keiner
Zeit auch nur im entferntesten dagewesen ist. Die Unkultur
ist eine Folge der Entfaltungssucht unserer Zeit. Nicht genug,
daß kein Geschmack da ist, die protzige Anhäufung von
Gegenständen, an die nicht die mindeste Qualitätskritik am
gelegt worden ist, bewegt sich jenseits aller Geschmacks'
grenzen ins Ungeheuerliche. Und das merkwürdigste ist.
niemand scheint diese Unkultur zu merken. Man gefällt sich
darin, ja, man watet mit Entzücken bis über die Knie in ihr
herum. Man findet das „gemütlich“, heimisch, wohnlich.
Man ist ein echter Parvenü, indem man sich in dickem
Überfluß behagt, ohne jenes Streben nach Ruhe und Zurück'
haltung auch nur zu kennen, das den vornehmen Mann von
Natur auszeichnet. Unsere heutige Wohnung wie unsere
heutige Gastlichkeit sind auf das Imponieren berechnet, in
beiden liegt die ängstliche Sucht verborgen, als reich und
vornehm zu gelten, den Anschein des Auf'großeimFuße'
Lebens zu erwecken.
Und damit stimmt noch vieles andere in unseren heutigen
gesellschaftlichen Zuständen überein. Man höre nur die
Unterhaltung gewisser Kreise, die sich bei Besuchen abspielt.
Sie dreht sich um Bäder und Reisen, mit denen man im'
ponieren will, um „erstklassige Hotels“, um vornehme Sports,
die man mitmacht. Nur das „Feine“, das man von sich be'
richten zu können glaubt, wird hervorgesucht tmd aus'
gebreitet. Es ist dann für den stillen Zuhörer köstlich, zu
sehen, wie sich zwei im Gespräch Begriffene gegenseitig zu
„überfeinem“ suchen. Unsere äußeren Höflichkeitsformen
kommen aus der schlichten Herzlichkeit, die sie früher
hatten, immer mehr in das versteift Gekünstelte. Man klappt
die Fersen zusammen, macht tiefsten Bückling und ku t
die Hand, alles mit jener geräuschvollen Eckigkeit, die den
Neuangelernten so sehr im Gegensatz zum Aristokraten der
alten Schule stellt, dem diese Dinge natürlich waren. Die
„gnädige Frau“ der alten Hörigkeitszeit ist heute wieder in
aller Munde, in einer Zeit, wo ein freies Menschentum sich
über veraltete Institutionen und Vorurteile längst erhoben
hat. Es herrscht eine geradezu ängstliche Sucht, die natur'
liehen Verhältnisse zu übertünchen, sich zu verkünsteln, ins
„Feine“ zu steigern, sich gewaltsam ins Talmi'Aristokratentum
zu erheben. Wir scheinen uns gerade dessen zu schämen,
was unser Stolz sein sollte, unseres Bürgertums. Wir wollen
Aristokraten sein in dem Augenblicke, wo das Bürgertum
zur Basis für unsere wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und
politischen Verhältnisse geworden ist, wo es sich zu einer
Höhe erhoben hat, daß es die Kultur unserer Zeit bestimmt.
Macht man sich alle diese Verhältnisse klar, für die übrigens
das am spätesten in die deutsche Kultur eingetretene Nord'
deutschland, an seiner Spitze BERLIN, den Ton angibt, so
begreift man die Stellung, die unser heutiges Publikum der
neuen kunstgewerblichen Bewegung gegenüber eingenommen
hat. Ging diese im Grunde ihres Wesens auf eine Veredlung
aus, die doch stets eine Verinnerlichung, ein Abstreifen der
formalistischen Unwesentlichkeiten bedeutet, so herrschte
hier gerade das geschilderte Streben nach dem Äußerlichen
und Repräsentativen vor. War dort die Einfachheit und Echt'
heit das Ziel, so war es hier das Pomphafte und Renom'
mistische, bei dem es mit dem Echten nicht allzu genau
genommen wurde, ja, das sich auf wirtschaftliche Verhältnisse
übertrug, in denen die Unechtheit, der Schein geradezu zur
Bedingung werden mußte. Ein totales Mißverstehen dessen,
was die neue Bewegung wollte, mußte die Folge sein. Und
sie ist es gewesen. Natürlich hielt man darauf, in jeder
Beziehung das Neueste zu haben, und so mußte man auch das
Neueste in der Wohnungsausstattung haben, sich „modern“
einrichten. Das Resultat war der Jugendstil: die Anpassung
der Industrie an die Gesinnung des Publikums. Nun haben
wir die alte Gesinnung in neuem Gewände, eine neue Mode,
die sich für den modernen Stil ausgibt, einen neuen Masken'
scherz, eine neue Unwahrheit. Das war aber auf dem Kultur'
boden, auf dem unser deutsches Bürgertum heute steht, nicht
anders zu erwarten, es mußte so kommen. So lange sich
unsere Gesinnung nicht veredelt, kann sich unsere Kunst
nicht veredeln, eine veräußerlichte Kultur kann keine ver'
innerlichte Kunst haben. .
Und doch, wenn die Anzeichen nicht trügen, ist eine Besse'
rung der Verhältnisse schon unterwegs. An verschiedenen
Ecken regt sich der Mißmut, viele empfinden das heutige
Scheinwesen als Druck und Zwang. Es hat den Anschein,
daß eine Sehnsucht nach Schlichtheit und Natürlichkeit die
Herzen mancher erfüllt, die nur noch nicht den Mut haben,
aus dem Maskenanzuge unserer Scheinkultur herauszutreten.
Ja, eine kleine Gemeinde ist bereits im Begriff, sich abzu'
sondern und ihr eigenes persönliches Leben zu fuhren. Es
ist klar, daß hier zunächst nur die geistig Führenden in
Betracht kommen können, wie denn die Kultur stets nur von
wenigen gemacht worden ist. Die Leute mit vorwiegen
intellektuellen Interessen, die geistig Produzierenden die
Künstler, Gelehrten, Denker, überhaupt die selbständigen
Charaktere auf jedem Gebiete, sie bilden heute schon den
Keim einer solchen Gemeinde, die es darauf ankame durch
Werbung zu verstärken, um die zerstreuten Fleckchen Kultur'
erde zu einem geschlossenen reinen Kulturboden zu ver'
einigen, auf dem eine neue, edlere und echtere Kultur in
größerem Umfang ersprießen könnte. _
Eine solche Gemeinde würde dann führend wirken, und zwar
in der ganz allgemeinen Art einer echten Gesinnung und
der reinen, sachlichen Betätigung auf allen Gebieten des
Lebens und in allen Äußerungen des persönlichen Wollens.
Eine geschlossene Liga gegen die Scheinkultur, eine geistige
Aristokratie, die berufen wäre, über die Schätze des geistig
Edelsten in unserem Volkscharakter zu wachen, die guten
Anlagen in ihm zu entwickeln, die schlechten Neigungen
zu beschneiden. Die echten Bürgertugenden, die sich bei den
Deutschen früher gezeigt haben, die in der Zeit der Not zu
großen Taten ermannten, in der Zeit der Armut wenigstens
durch Schlichtheit und Treue bedeutend waren, sie sollten in
der Zeit des beginnenden Wohlstandes nicht durch Parvenü'
tum verdunkelt und erstickt werden.
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