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Volltext: Monatszeitschrift X (1907 / Heft 12)

DIE DARSTELLUNGEN DER MYSTISCHEN 
EINHORNJAGD IN DER KUNST DES XV. UND 
XVLJAHRHUNDERTS SIP VON ALFRED 
WALCHER VON MOLTHEIN-WIEN 54h 
N der unermeßlichen Zahl von Bildwerken, welche 
das Leben der seligsten Jungfrau schildern -H 
dieser großen Reihe, in der sich alle Vorgänge 
des irdischen Lebens zusammenhäufen und mit 
_ V demJenseits verknüpfen 4 wurde neben der Dar- 
' , Stellung der Krippe kein Vorgang so häufig von 
Künstlern aller christlichen Völker behandelt, wie 
die Verkündigung Mariens. Aber auch kein an- 
derer Vorgang dürfte dem Künstler Gelegenheit 
geboten haben, seine Vorliebe für Architektur, 
Innendekoration, für schön gemusterte Stoffe und schließlich für jugendlich 
hübsche Mädchengestalten so leicht in einem Werke christlicher Tendenz 
zu vereinigen als eben in diesem, wo die Figuren der Maria und des Engels 
an Schönheit wetteifern konnten und sich die Szene in einem vornehmen 
Gemache abspielen durfte. 
In Italien haben diesen Vorgang im Madonnenleben die Meister des 
XV. und XVI. Jahrhunderts Fra Angelico, Carlo Crivelli, Botticelli und 
Lorenzo di Credi so gemalt, die Plastiker, in erster Linie Donatello und die 
Werkstätte der Robbia, so gebildet, daß wir uns kaum etwas Schöneres, 
etwas Anmutigeres denken können. Die Palme in der Behandlung des Stoffes 
gebührt, wenn wir nicht nur die besondere Vorliebe des Meisters für das 
Thema an erster Stelle setzen, Fra Angelico. Er bietet uns die Vorstellung 
höchster geistiger Verklärung, hat seiner Madonna das jugendlichste, ja ein 
mädchenhaftes Aussehen gegeben und sein Gabriel erscheint mit den bunt- 
schillernden Flügeln eines Falters. Immer aber behielt die italienische Kunst 
von der Schwelle des XIV. Jahrhunderts an eine Darstellungsweise des 
Mysteriums bei, welche die symbolischen Formen fallen gelassen und eine 
für die späteren Zeiten typische, die ganze Zartheit und Reinheit christlicher 
Empfindung widerstrahlende Behandlung des Vorgangs gewählt hat. Diese 
beschränkte sich auf die Figuren der Maria und des Erzengels ! sie auf 
einer Bank ruhend oder im Raume kniend mit dem Ausdruck des Staunens; 
der Engel mit vorgestreckter Rechten die göttliche Botschaft überbringend. 
Die Szene spielt in einem bald vornehmer, bald einfacher ausgestattetem 
Raume. Beigefügt ist noch eine auf dem Boden, dern Tisch oder im Fenster 
stehende Vase mit bunten Blumen oder einer einzelnen Lilie - in Anspielung 
auf die von David und den Erzvätern als „Lilie der Täler" begrüßte Jungfrau. 
Die italienischen Bilder muten uns an, wie wenn sie Gestalten und 
Dinge einer besseren und schöneren Welt vor Augen führten. In Deutsch- 

	        
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