PARISER KUNSTGEWERBE IM ERZHERZOG
RAINER-MUSEUM 50' VON JULIUS LEISCHIN G-
BRUNN Sie
S scheint um so schwieriger, zwischen echter Kunst
und ihren marktgängigen Nachäffungen zu wählen,
je weitere Kreise die vor zehn jahren modern ge-
nannte Reformbewegung im Kunstgewerbe zieht,
je mehr sich die vernünftigen Grundsätze einge-
bürgert haben, daß ein alltägliches Gebrauchsgerät
sich unseren heutigen Bedürfnissen anzupassen
habe, statt den unerreichbaren Idealen entschwun-
dener Zeiten nachzujagerr. Es ist ja kein Zweifel
mehr: das Wort Sezession ist hiedurch zu einem
Schimpfwort geworden. - Weniger freilich in Paris als sonst irgendwo. Die
Stadt der Mode war ja nie in unserem Sinn modern und in Kunstfragen ist
niemand konservativer als der demokratische Franzose. Er hängt, aller
republikanischen Gesinnung zum Trotz, mit unerschütterlicher Loyalität an
den treu überlieferten Stilen seiner Könige. Er liebt es auch, zeitweilig zurück-
gedrängte Stoffe neuer Verarbeitung und künstlerischer Verwertung wieder
zu gewinnen, so augenblicklich das unscheinbare I-Iorn und den Schimmer der
Perlmutter.
Die kürzlich im Brünner Erzherzog Rainer-Museum eröffnete Ausstellung
modernen Kunstgewerbes bringt uns die Bekanntschaft ihrer jüngsten Haupt-
Vertreter.
Henri Hamm, der Hornschnitzer, macht sich die ebenfalls erst wieder
salonfähig werdende alte Mode der I-Iaarkämme zu nutze, um den unschein-
barsten aller Stoffe, das gewöhnliche Horn, zu adeln. Die Formen seiner
Wahl deuten allerdings doch auf den Umschwung der öffentlichen Meinung,
der sich auch Paris nicht entziehen konnte. Mit den Riesenkämmen, ja selbst
mit den so kleidsamen Diademen im Haar scheint es vorbei zu sein. Die
bürgerlichen und bäuerlichen Steckkämme, an denen namentlich die öster-
reichischen Museen so reich sind, finden indessen gerade in diesen Wochen
durch eine kleine Berliner Ausstellung willkommene Ergänzung.
Dort sieht man bei Keller und Reiner eine Pariser Privatsammlung
brasilianischer Kämme, zweihundert an Zahl, von den Dreißiger- bis zu den
Sechzigerjahren, also brasilianische Biedermeierzeit. Einfache und reich
durchbrochene, merkwürdig gebogene und gelältelte, kleine bescheidene
und vor allem Riesenexemplare, wahre Mammuthkämme in einer Sehnen-
länge von einem halben bis zu dreiviertel Meter. Jedes aus einem Stück, oft
aufs kunstvollste geschnitzt mit Blättern, Blüten und Insekten. Zu solch
einem Horngebäude gehören Haare, sehr viele Haare, eine ausgiebige
Gestalt als beruhigender Unterbau und eine entsprechend kraftvolle Tracht
- aber kein Hut.