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Volltext: Monatszeitschrift XI (1908 / Heft 5)

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Denkmals. Von verbrauchten Schulmotiven ist zwar wohlweislich abgesehen, aber der 
ganze Aufbau gliedert sich in zu viele Kleinigkeiten, selbst einiges kümmerliche Ornament 
ist nicht verschmäht. Im ganzen ein Werk jetziger Kompromißplastik, aber mit starker 
Hinneigung zur konservativeren Hälfte unseres Publikums. Wenn man will, ist auch dies 
ein Zug der Zeit. Man hält die Überlieferung fest, aber mit einem Griff von merklicher 
Unentschlossenheit. 
HERMANN HALLER. Bei Miethke eine interessante Ausstellung von Arbeiten 
dieses Bildhauers, der voriges Jahr in Mannheim zum erstenmal wesentlicher in 
Erscheinung trat. Seine Figuren standen dort mit solchen vorr den Parisern Aristide Maillol 
und Bernhard Hoetger in einem strengen Saal von Peter Behrens, dessen Wände mit 
Karl Höferschen Aktszenen in seiner auch hier bekannten Freskoweise bedeckt waren. 
Das gab einen starken Ein- und Vollklang. Haller und Höfer streben in Rom ernsten Stil- 
wirkiingen zu. An der Antike lernen sie Einfachheit, eine schlichte Selbstfülle, ein Ver- 
schmähen kleiner Virtuositäten. Maillol, der Führer in dieser Richtung, in Wien noch 
unbekannt, geht noch viel weiter, bis nach Indien, Java, bis zu den hinterindischen Khmers, 
möchte ich sagen, deren iigurenreicher Tempel auf der Pariser Weltausstellung rgoo gewiß 
Anregung dazu bieten konnte. Man ist dort jetzt verliebt in jene entlegenere Kunst, wo der 
Urmensch einst zu Hause war, wenigstens nach seinen Knochenstücken, die vor einigen 
Jahren in Java entdeckt wurden. Dort stammt der Mensch noch immer ein wenig vom 
Affen ab. Die Tänzerinnen aus Kambodja haben kürzlich in Marseille einen Rodin entzückt, 
er fand anihnen, was man Urbewegungen nennen könnte, die unbewußte Grazie der Tiere, 
die Geschmeidigkeit der Schlangen und Lianen. Alles fern von unserer zur Gewohnheit 
gewordenen Kultur, mithin ein Träger neuen Reizes. Und Hoetger geht noch weiter; seine 
Figuren sind schon buddhistisch, birmanisch, frühjapanisch, jedenfalls altertümlich bis zur 
Primitivität. Man wird nicht zu alledem zu schwören brauchen, sondern einfach das Symp- 
tomatische daran vermerken. Es drängt einige Künstler mächtig, aus einer überwürzten 
Begritfswelt herauszukommen und sich in das Jungbad einer beliebigen Primitivität einzu- 
tauchen. Von ihren persönlichen Übergriffen abgesehen, ist ihr allgemeiner Zug die 
Vorliebe für das Archaische. Indem sie sich in eine naive Unbeholfenheit hineinemplinden, 
glauben sie der natürlichen Natur näher zu stehen. Auch Hermann Haller ist so ein 
gewollter Primitiver. Manche seiner Figuren mit ihrer gebundenen Geberde und dem ver- 
legenen Ausdruck der Gesichter erinnern an die Ägineten und an jenes Schreiten mit ge- 
bundenen Füßen, wie der Apollo von Tenea es hat und Gretchen in der Walpurgisnacht. 
Selbst Büsten jetzt lebender Menschen bekommen bei aller sichtlichen Wohlgeüoffenheit 
etwas Frühchristliches oder Hellenistisches im Sinne der Grafschen Mumienporträte (nicht 
der gemalten, sondern der plastischen, deren es auch eine ganze Reihe gibt). Was an all 
diesen Bemühungen Eklektisches ist, wird man nicht übersehen können, es ist die natürliche 
Genäschigkeit solcher Universalerben aller Kulturen, wie wir es alle sind. Aber sie schließt 
einen strengen künstlerischen Ernst nicht aus, wie ihn Hildebrandt und seine doch so 
persönliche Antike hat. Wenn das Individuelle eines Künstlers, unter all der Vielgestaltigkeit 
und Vielsinnigkeit der langen Kunstentwicklung gerade mit dieser Phase sich aufs innigste 
verschmelzen und durch sie zur Neugeburt erblühen kann, so ist das der Naturvorgang, 
der schließlich jede Kunst hervorgebracht hat. Auf seinen eigenen Schultern steht niemand. 
Darum ist Maillol echt und lebendig, I-Ioetger allerdings schon „Snob", Haller aber wieder 
ein ernster, in sich vertiefter und stark begabter Künstler. Ursprünglich Maler, bei Knirr, 
Stuck, Kalckreuth gebildet, wurde er in Rom Bildhauer. Dafür ist er geboren. Der weibliche 
Akt, oft als Halbakt gegeben, beschäftigt ihn einstweilen am meisten. Er faßt seinen Sinn 
wie in nuce zusammen, indem er Gefüge und Bewegung gleichsam auf die kürzeste Formel 
bringt. Die Natur ist ja so einfach, man braucht sie nur nicht kompliziert zu sehen. Aber 
um sie nicht kompliziert zu sehen, muß man sie bis in ihre heirnlichsten Beweggründe 
verstanden haben. Dann ist sie ein Einmaleins. Und dieses Studium füllt Hallers Leben in 
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