KÜNSTSCHAÜ 1908. Unter diesem Titel veranstaltet die Klimt-Gruppe eine außer-
gewöhnlich interessante Ausstellung, die bis in den Herbst hinein dauern wird. Die
moderne Kunst Wiens gibt da ihr Bestes, neue und neueste Bestrebungen kommen zu
Wort. Eine große Stegreifarbeit, da die Entscheidungen lange auf sich warten ließen, ist
sie doch in der Spanne von sechs Wochen über Erwarten glücklich aus dem Boden ge-
stampft worden. Die Regierung, der Landesausschuß, die Stadt Wien haben das Unter-
nehmen krähig unterstützt und die Energie Josef Hoffmanns tat das Übrige. Er hat eine
weiße Kunstkolonie, links der Schwarzenbergbrücke, ins Leben gerufen; Holz und Putz
sind das Material, der Stil ist einfache Zweckmäßigkeit. Einteilungen und Ausschmückung
sind in diesem Betracht mustergültig. Eine Anzahl jüngerer Architekten, meist Wagner-
Schule, sind an der Ausgestaltung mitbeteiligt (Otto Schönthal, Mareell Kammerer, Emil
Hoppe, Ed. J. Wimmer, Karl Witzmann, Robert Farsky, A. 0. Holub, Otto Prutscher und
andere). Die Mannigfaltigkeit der Ausstellung ist ganz ungewöhnlich. Kunstgewerbe,
Theaterausstattung, Reformmode, Kinderkunst, Plakate, Friedhofskunst sogar sind ver-
treten. Hochinteressant die neuen Mosaikversuche (Prutscher, Karnmerer, Richard Teschner,
Zeymer) mit Verwendung von geformten Fayenceplatten, Glasiiüssen, Halbedelsteinen,
Metall (ausgeführt von der Mosaikwerkstätte Leopold Forstner). Als baulicher Schlußpunkt
dient das „billige" Landhaus von Professor Hoffmann, wo das Prinzip des gebogenen
Holzes (J. und J. Kohn) nutzbar wird; da ist guter Rat billig. Und sogar ein Garten schließt
sich an, mit Naturtheaterchen und Kaffeehaus; da wird es szenische Kleinkunst aller Art
geben, irgendwelche Spezialismen von Künsterlaunen für Sommerabende. Eine erstaun-
liche Vielfältigkeit, von allen Seiten her zugleich in Angriff genommen und in einem Geist
durchgeführt. Die Ausstellung ist in jeder Hinsicht ein großer Erfolg. Vor allem aber ist
Wien in ihr. In dem Sinn nämlich, daß eine solche Kunstschau schlechterdings nur in Wien
gemacht werden kann; mit dieser Art von künstlerischer Modernität, von eigenartig
geläutertem, man kann auch sagen trainiertern Geschmack und von gefälliger Virtuosität
des Hervorbringens. Nur in Wien ist auch der Klimt-Saal möglich und ebenso der Hoff-
mannsche Saal der Wiener Werkstätte. Klimt hat sechzehn Bilder vereinigt, die meist für
Wien neu sind. Damenbildnisse in seinem neuen Mosaikstil, Phantasieszenen, Land-
schaften. Das ist eine Welt für sich, eine Zierwelt, in der das Leben aus Omamentalität
besteht. Und dennoch ist sie von tiefem Naturgefühl getragen, alle Kaprice ruht auf dem_
Grund eines durchdringenden Naturverständnisses. So ziellos spielend eine mosaikartig
wirkende Bildfläche erscheinen mag, sie ist das Ergebnis endlosen Suchens und Versuchens,
prüfenden und verkostenden Zusammenstellens, Harmonisierens. So ein Damenbildnis
mit seinem Apparat von Gold- oder Silbermosaik hat er gar manchesmal abgekratzt und
wieder ganz neu gemalt, so daß es schon schade ist um die vielen vernichteten Versuchs-
bilder. Ich habe diese Bilder, als ich sie vorigen Sommer in Mannheim zuerst sah, als
„Malmosaik" qualifiziert. In der Tat streben sie die Wirkung musivischer Prachtarbeit
an, wie sie in unseren tapezierten Gemächern möglich ist, ohne plastisches Relief der ge-
bauten Umfassung, ohne Monumentalität und Palastmäßigkeit, also die steinernen und
gläsernen Elemente einfach durch Farbe und Metallglanz ersetzt. Eine Reihe von Jahren
hindurch ist Klimt diesen Weg gegangen; die obere Hälfte der "Jurisprudenz" ist der
erste entschiedene Schritt, diese letzten Damenporträte in ihrer tonreichen Gold- und Silber-
pracht sind der Abschluß der Versuchsreihe. Ein neues System von Innendekor ist gefunden
und kann ins Unendliche ausgebildet werden. Insofern ist dieser Klimt-Saal auch für das
moderne Kunstgewerbe wichtig. Ein kunstgewerblicher Brennpunkt ist ferner der große
Saal der Wiener Werkstätte. Hoffmanns Gepräge ist nicht zu verkennen, obgleich er gerade
die für seinen Geschmack typisch gewordenen Formen meidet. Nur er kann einen weißen
Saal so mit zierlichem, schwarzem Linienornament, wie mit Streifen applikierter schwarzer
Zwirnspitzen dekorieren. Und ebenso eigen und zweckgerecht ist die Anordnung. Fünf
hohe schmale, in die Wand versenkte Vitrinen entsprechen fünf Künstlern (Hoffmann,
Moser, Czeschka, Prutscher, Löfiier-Powolny) und diesen gegenüber öffnen sich fünf