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Kunst in der Gegenwart den Blick für die Wirklichkeit und für das volle
pulsierende Leben verloren hat. Genauestes, unausgesetztes Studium der
Natur lassen alle seine Arbeiten erkennen, und zwar wird dies Studium
immer sorgfältiger, die Beherrschung der Form immer vollständiger, je mehr
seine Entwicklung vorschreitet. Aber niemals hat Groll die künstlerische
Orientierung an der Natur mit dern Naturalismus, mit dem einfachen Ab-
schreiben einer oft herzlich unbedeutenden Natur verwechselt. Er studierte
die Natur, um sie nach künstlerischen Zwecken zu bilden, das heißt, um sie
Abb. 2x. Aus dem Deckenbild der Brigitta-Kapelle in Wien
zu stilisieren. Mit derselben Selbständigkeit, mit welcher er in den großen,
für den künstlerischen Schmuck von Barockkirchen bestimmten Fresken den
Formentypus dieses Stils zugleich festhielt und mit modernem Leben erfüllte,
hat er auch in den zahlreichen Arbeiten dekorativer Art, welche von ihm für
profane Architekturen ausgeführt worden sind, eine im Sinne der Meister
des Secento aufgefaßte und urngebildete antike Formensprache den künst-
lerischen Zwecken der Gegenwart anzupassen verstanden. Die monumental-
sten Arbeiten dieser Art aus seiner späteren Zeit (die Braunschweiger
Deckengemälde wurden bereits erwähnt) sind die Deckengemälde im neuen
Rathaus der Stadt Reichenberg in Böhmen: im Sitzungssaal der Kampf der
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