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TREPPEN UND TREPPENHÄUSER 50' VON
N einer geistreichen theoretischen Abhandlung hat
Gottfried Semper die Grundformen der Baukunst
auf vier Elemente zurückgeführt. Als erstes und
wichtigstes galt ihm der Herd und um diesen
gruppiert als schützende, abwehrende Formen
2. das Dach, 3. die Umfriedung und 4. der Erd-
aufwurf. Von allem Anfange an war der Mensch
bestrebt, seine Behausung, seine Opferstätten,
seine Denkmäler über den Erdboden emporzu-
heben. Was der Erdaufwurf in seiner primitiven
Form erreichen sollte, hat die Kunst des Maurers und Steinmetzen durch den
Terrassenbau zu hoher Bedeutung entwickelt.
Von diesem fundamentalen Element der monumentalen Baukunst haben
auch alle Betrachtungen, die sich mit Stufen und Treppen befassen, ihren
Ausgang zu nehmen. Die Terrasse ist die wichtigste und bedeutsamste
Ursache der Treppenform, sie bildet selbst im Grunde eine kolossale Stufe
und an ihr haben sich auch die meisten - jedenfalls alle wichtigen M monu-
mentalen Treppenformen entwickelt.
Das Grabmal, der Tempel, die Burg haben im alten Mesopotamien den
Gipfel, den Endpunkt großartiger Terrassenpyramiden gebildet. „Das Ganze",
sagt Semper, „stand auf einem immensen länglich viereckigen und erhöhten
Plateau, umgeben von Mauern mit Türmen, Zinnen, Toren und Freitreppen.
Innerhalb lagerten die Knechte und Tribut bringenden Untersassen in Zelten
und auf einem inneren Plateau erhob sich ein zweiter Peribolus. Hohe
gewölbte Tore führten in diesen wieder von Türmen und Zinnen geschützten
Bezirk, dessen Mauern wie die ersten von Metall, Bildwerken und Farben
glänzten. Hier fanden die täglichen Leibesübungen der ritterlichen Jugend
statt und unter hohen, von Zedernsäulen gestützten hypostylen Hallen ver-
sammelten sich die Männer zu Staatsgeschäften und zum Unterricht ihrer
Söhne.
S0 steigerte sich in mehrfachen Zirkumvallationen, deren jede wieder
in sich abgeschlossene Untereinheiten enthielt, die Wirkung bis zu der
eigentlichen Residenz der Dynasten, bis zu jenen bedeutungsvollen, von
mystischen Tierkolossen bewachten Pforten, die wir, vielleicht in sehr ge-
ringen Beispielen, jetzt im Louvre und im Britischen Museum anstaunen. Hier
war der große Salambek oder Audienz- und Gerichtshof, ein oft hundert-
und mehrsäuliger hypostyler Saal mit dem erhabenen Thron, von Vorhallen
und Nebenräumen umschlossen. Von ihm ging es wieder terrassenförmig
aufwärts zu den Privatpavillons des Fürsten, die in vereinzelten Massen unter
schattigen Gartenanlagen standen. Jeder bildete ein regelmäßiges Quadrat,
das einen gleichfalls quadratischen hypostylen Saal einschloß, und hatte sein
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