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Volltext: Monatszeitschrift XI (1908 / Heft 10)

allseits gleichmäßiges Einhalten bestimmter Schulanschauungen geltend. Die äußerste Re- 
duktion aller Schmuckelemente spielt jene Rolle nicht, wie sie anderwärts vielfach zu den 
charakteristischen Erscheinungen der Modernität zählt. München ist auch in diesem 
Punkte nicht der Boden für eine allzuweitgehende Askese. Die Schaffenslust trägt noch 
immer den Stempel ungebrochener Lebenslust. Geschickteste Schreiner haben da in allen 
nur denkbaren teuren und billigen Holzsorten das beste geleistet, der Tapezierer arbeitete 
nach künstlerischen Angaben, Vergolder wirkten mit, hin und wieder außer dem Tüncher 
auch ein Kunstmaler durch Werke seiner Hand, bildhauerischer Schmuck und manch 
ein reizvolles Stück zwecklichen oder zwecklosen Daseins fand auf Etageren, Schreibtischen 
und andren Ablegestätten seinen Platz, um seinerseits wieder einen Liebhaber zu finden; 
alle möglichen Tonarten sind angeschlagen - aber, weiß der liebe Himmel, dieser über- 
quellende Reichtum an „Raumkunst" hat seinem größten Teil nach nichts Erwärmendes, 
denn der Raum spricht durchschnittlich weit weniger als seine Ausstattung! 
Die Ausstellungsleitung konnte bei der Beurteilung dieser Dinge nur die Qualitäts- 
leistung in Betracht ziehen: tadellose technische Ausführung, gepaart mit vollster Berück- 
sichtigung aller künstlerischen Anforderungen in bezug auf Form und Farbe. Einen Maßstab 
andrer Art anzulegen, war nicht angängig, denn die Juroren sind keine Seelenrichter. Für 
den emphndenden Beschauer aber gibt es noch einen andren Maßstab, dem gegenüber 
selbst die vorziiglichste Erfüllung der beiden genannten Qualitäten allein nicht ausreicht. 
Er gehört zu den Imponderabilien, er ist ausschließlich Empfindungssache. Warum kann 
ein tadellos gezeichneter oder gemalter Akt völlig nichtssagend wirken, während künst- 
lerische Schöpfungen, die nach dem Urteile „Sachverständiger" voll von Zeichenfehlern 
stecken, in der Farbe „nicht natürlich" sind, dennoch zuweilen einen Zauber eigener Art 
ausüben? Auf alle freilich nicht! Schöne seelenlose Zimmer gibt es genau wie schöne 
seelenlose Menschen, die einem gar nichts zu sagen haben und wieder gibt es andre 
Erscheinungen beiderArt, die ohne besonderesDazutun sympathisch, anziehend erscheinen, 
liebenswert und beglückend wirken! Schwinds entzückende Skizze in der Schack-Galerie 
zu München: ein junges Mädchen im Morgenkostüm am offenen Fenster stehend, bedurfte 
nicht all der Farbenregister, die Sonnenaufgangsmaler auf ihren Gemälden loslassen, und 
dennoch klingt durch dieses anspruchslose kleine Werk ein Lied voll Schönheit, voll 
Jugendempfinden, voll Sommerlust und Morgenanbetung. Auch Räume, Zimmer, treten 
unmittelbar mit einem andren Empfinden als bloß mit dem für „finishing" in Verbindung; 
sie können Vorstellungen wachrufen, wie mit wenigen Tönen hergestellte japanische Holz- 
schnitte, bei denen nicht das Sujet, sondern die Seele der Landschaft das gefühlsergreifende 
Moment bildet. Große „Aufmachung" allein bringt noch keine Stimmung zuwege. 
Möglich ist ja, daß Menschenkinder, die sich durch ein Zeitungsinserat zum „Bunde 
fürs Leben" einigen, hin und wieder wirklich zusammenpassen, womit nicht gesagt sein 
soll, daß alle Ehen, denen eine programmäßig sich abwickelnde Verliebtheit als Introduk- 
tion diente, immer gerade das Mustergültigste auch für die Folge bedeuten. Mit den 
Räumen, die man sich nun auf solchen Ausstellungen nicht bloß anschauen, sondern zu 
Nutz der Hersteller und der Ausstellungsunternehmung auch kaufen soll, hat der „Bund 
fürs Leben durch Zeitungsannonce" oft fatale Ähnlichkeit. Es finden sich Dinge und 
Menschen zusammen, die sich innerlich fremd sind; sie sollen sich aber fest aneinander 
binden! Freilich, heißt's da „Divorconsß so ist die Sache ja weit leichter als vor dem 
Richter des Scheidungsamtes. Die aufgewendeten Mittel, seien sie bei vielen dieser 
Interieurs noch so anspruchsvoll, genügen nicht immer, um jenes Gefühl wachzu- 
rufen, das der Kulturmensch im Zustand des Daheimseins sich wünscht. Mit dem 
,,Moderneingerichtet-Sein" ist's eine ganz merkwürdige Sache, vielleicht ähnlich wie mit 
dem früheren „Stilvoll-eingerichtet-Sein"! In beiden Fällen weiß der Betroffene oft nicht 
recht, was er mit dem Bewußtsein, der Mode seinen Tribut bezahlt zu haben, anfangen 
soll. Einen Palast, die Empfangsräume von Menschen mit völlig konventionellen Lebens- 
und Umgangs- auch Denkformen zweckentsprechend ausstatten - nichts ist leichter,
	        
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