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Volltext: Monatszeitschrift XII (1909 / Heft 2)

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der nachmittelalterlichen Weltlandschaft. So we 
nig das Auge sich indes hier topographisch arge 
hen kann, sowenig ist eine Stadt als Wohnort und 
Behausung gemeint. Man hat dieses Bild als das 
erste neuzeitliche Städtebild bezeichnet, aber in 
Wahrheit ist die Stadt selbst das Unwirklichste 
darin. Nicht die Festigkeit ihrer Mauern, die Si- 
cherheit ihrer Türme und des Alcazars, ja eigent- 
lich keine tturbanistischett Qualität kommt in die 
sem Phantasiebild zur Geltung. Die Stadt selbst 
ist ein ganz und gar unstoffliches, fragiles und 
im höchsten Maße wgelährdetesii Wesen. Halb 
scheint sie in der Natur zu versinken, halb aus ihr 
emporzutauchen und ist dabei doch ein Unbeweg- 
tes in einem einzigen Bewegungsstrom. Dieses 
schwer bestimmbare Gegenüber von gläserner 
Märchenwelt und apokalyptischer Unruhe geht 
wie ein Ftiß durch das ganze Bild. Ist es ein Nacht- 
stück, in dem ein Blitz die Landschaft erhellt? 
Falsch ist es, hier irgendeine Tageszeit bestim- 
men zu wollen. Es gibt nicht das Momentane im 
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zeitlichen Sinne, sondern das schlagartige der Er- 
scheinung. Das Bild ist eigentlich eine Land- 
schaftsepiphaniea. 
Im letzten Jahrzehnt des 16. Jh.s hat es bei Greco 
eine verstärkte Hinwendung zu mystischen Bild- 
stoffen gegeben; darunter sind so bedeutsame 
Bildthemen wie der "Einsame Kruzifixusii oder 
"Christus, das Kreuz umarmendit. Der Menschen- 
typus dieser Zeit ist ein übersensibler, in jeder Fa- 
ser vibrierender, der zunehmend den standfesten 
Bezug zur Erde verliert. Das Charakteristische et- 
wa der Kreuzigung im Prado (Abb. 7) kann in Stich- 
worten genannt werden: steiler, symmetrischer 
Bildaufbau, Konzentrierung der Gegenstände auf 
die vordere Bildebene, verstärkt durch eine inten- 
sive Buntfarbigkeit. Diese Ebene bildet aber kein 
Relief, wie Soehner meint, denn durch das Bild- 
dunkel, Grau und tiefes Schwarz, wird das farbige 
Kontinuum, das ein Korrelat zum Fteliefhaften zu 
sein hätte, zerrissen. 
Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für die Anbe 
tung der Hirten im Prado (Abb. 8). Grecos letztes 
eigenhandiges Werk, kurz vor 1614 entstanden 
und für seine Grabkapelle bestimmt. Dem steilen 
Bildtormat entspricht die gesamte Bildstruktur. 
Das Plastische ist als formbildendes Element na- 
hezu ganz verschwunden. Das Flackernde, Flam- 
mende und Flammenförmige in seiner für plasti- 
sches Denken äußersten Ungreifbarkeit bestimmt 
offen jede Form. Dabei ergibt sich gleichsam bei- 
läufig auch eine Modellierung des Gegenständli- 
chen, ist aber nie an dieses gebunden, sondern 
scheint einem ganz anderen Formverlangen anzu- 
gehören. In dem Maße, wie das plastische Sub- 
strat schwindet, wird das Sehen des Bildes von 
der klaren Unterscheidbarkeit der farbigen Fla- 
chen abhängig; deshalb lassen sich in Schwarz- 
weißreproduktionen die innerbildlichen Zusam- 
menhänge nicht mehr fassen. Die Farbe zeigt da- 
bei die Tendenz, schlagartig in ihrer reinen, urige 
brochenen und unvermischten Gestalt hervorzu- 
treten. Dieser letzten Phase eignet ein völlig kom- 
promißloser Zug. Die formalen Faktoren, die von 
Anfang an in Grecos Malerei angelegt waren, sie 
beherrschten und zunehmend deutlicher wurden, 
treten nun unumschränkt und unverhLillt hervor. 
Ist EI Greco ein Manierist? Diese Frage Iäßt sich 
heute nicht mehr so eindeutig bejahen wie vor 
fünfzig Jahren, als der Manierismus als stilisti- 
sches und epochales Phänomen entdeckt wurde. 
Grecos Einstufung als Manierist datiert in diese 
Zeit und wurde am großartigsten von Max DvoFak 
ausgesprochen? Indessen kann nicht übersehen 
werden, daß seine Kunst nur sehr lose mit derzeit- 
genössischen Esoterik eines Gongora oder dem 
Concettismus eines Gracian verbunden werden 
kann; vollkommen fehlen ihr die zentralen Eigen- 
schaften, die der Malerei des internationalen Ma- 
nierismus im 16. Jh. die Physiognomik eines Epo 
chenstiles geben. Zur Malerei des Manierismus 
gehört das Kalte und Tote, die Todesnähe oder die 
Vertotung; das Maskenhafte, Erborgte, die tiefge 
hende Verfremdung; das Künstliche und Enigmati- 
sche; das Gestückelte, Panzerhafte und Starre, 
ebenso das erotisch Laszive; auch das Schillernde 
und Fahle, die Vertauschung und die Verweslich- 
keit der Farben. Als Lebenshaltung etwa die Über- 
intellektualität, Verschlossenheit und Egozentrik, 
der geheime Zweifel und die Weltangst als un- 
überwundene Hemmungen etc. In dieses Fach ge- 
hört Greco aber auf keinen Fall, er nähert sich die 
ser Haltung allenfalls in einigen Fruhwerken, sein 
spanisches CEuvre ist unendlich weit von dieser 
Bilanz des Manierismus entfernt. Hervorragend 
hat DvoFäk die geistigen und künstlerischen Strö- 
mungen aufgezeigt, mit denen Greco in Italien in 
Berührung kommen konnte, aber damit schon wie 
13 EI Greco. Bußender Hieronymus. Washington. National 
Gallery 
Anmerkungen 11-12 
" oazu Hans Sedlmayr. oie "Macchtau Eruegels. iri Jb d WIEUEY 
Kunsthlst Sgln. N F . Hd B. l934, S. 137 i . wiederabgedr in H S, 
Epochen uhd Werke. ges. Schriften z. Kunstgesch, ad t, Muri- 
ChertlWien 1959, s. 274 rizurri adgriii der MECChlB Seit LEDnardU 
vgl lvan Kohler. Die Floreritirier Macchiaoii, Munchner DlSS 1955 
(Masch Mariuskr i, S 55 ff 
" s P Lomazzo iuhri iri Seinem Trattalß dell'Arte de la Pittiira. Mai- 
land 1584, Buch i, Kap i. s 22 f. u. Buch e. Kap LXlll. s. 4st t.. 
die Theorie der riiigura aerpehtmata- aui Michelangelo zuruck ÜiE 
schlangerigleich bewegte. proportional hiaht lailbare Pyramide, iri 
der sich die großte Bewegung aufiert urid dem Feuer als dem Eie- 
Vtletit der großteri Aktlvltat (nach Aristoteles) entspricht, bewirkt 
dieser Theorie zufolge großte Schoriheit in der Kunst. (Ei Greco be- 
saß laut Nachlaßtnventar etrieh italienisch geschriebenen vtratado 
de ia pirtturaa, der leicht iaher des Lorriazzd gewesen aeiri konnte 
Vgl H E. Wethey. Ei Greco am! his School. Priricetnn 1962. Bd l, 
s. 77, Ahrri 3.) 
Freilich braucht die Kenntnis der Theorie der Figuril serperitiriata 
bei Greco nicht unbedingt vorausgesetzt werden. dann die Idee der 
Flammeniorm betrifft bei Lomalzo rrur die Makrostruktur der 
kdrripdaitidri, wahrerid aia bei cradd alles, auch die MlkrOSifUKtui 
der malerischen Faktur bestimmt urid VDtl Arttaftg ari D8! ihm ariga- 
legt ist, immerhin bleibt es aiiiraiierid. daß Sie zu vollem Durch- 
bruch erst utigeiahr seit der Mitte der achtziger Jahre gelangt.
	        
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