Künstler; kaum, daß ein Mißklang an diesen Wänden laut wird. Höchstens nimmt der
Bürger Anstoß an seinem Stoffkreis. Denn er lebte nun einmal im Pfuhle und malte und
zeichnete dessen menschliche Fauna, zunächst natürlich die weibliche. Ich habe ihn mit
Restif de la Bretonne verglichen, der ein Jahrhundert früher auch so die „Contemporaines"
geschildert hat, in unzähligen Bänden, die „aventures des plus jolies femmes de Yäge
present". Und da er Buchdrucker war, schrieb er sie oft gar nicht erst auf, sondern stellte
sich gleich an den Setzkasten und setzte sein Buch warm aus dem Gehirn heraus; wie
Toulouse-Lautrec sich aus dem Stegreif vor den Stein setzte und aus seinem Geblüt und
Nervenzustand heraus zeichnete. Toulouse-Lautrec war ein graphisches Riesentempera-
ment, und ein ganz anderes als Steinlen und Willette. Denn er war durchaus malerisch,
diese nicht. Er war der Stimmungskarikaturist, der Impressionist der graphischen Blague
oder Satire. Mit Nichtsen, farblosen oder farbigen, konnte er den Ton und Duft dieses
Lebens, den Rhythmus dieser Pulse fühlbar machen. Kein anderer kam ihm darin gleich.
Nicht Lunois, dem alles zum bunten Fest wird; nicht Chahine, der in Schwarz und Weiß
aufgeht. Von Degas kommt er am ehesten her, aber er berührt sich auch mit Manet, Rops,
Van Gogh, mehr oder weniger gelegentlich. Er ist eigentlich ein lyrischer Schwärmer,
der sich in die Hölle verirrt hat. Seine Durchtriebenheiten haben die Allüren von Naivi-
täten, die Sünde hört bei ihm auf, sündig zu sein, weil sie nur als ein ewiges Changeant
von menschlich und malerisch herauskommt. Er kann frech sein wie ein Plakat und dabei
harmlos wie eine jugendschrift. Niemals verliert er den Charme; seine Modelle mögen
ordinär sein, er wird es nie. Als zeichnete er stets in tadellos weißen Handschuhen. Und
schließlich ist alles so merkwürdig tragikomisch. Auf dem Grunde der lächerlichsten
Bluetten liegt ein dunkler Brocken Schicksal. Es fallt ihm nicht ein, moralisieren, satiri-
sieren oder rühren zu wollen, aber das Leben tut all das selbst, man braucht es bloß so
suggestiv darzustellen. Und so genial, natürlich. Der Beschauer muß sich einem Künstler
gegenüber fühlen, der gerade das muß und kann. Der dazu geboren ist, unterzugehen, vor-
her aber die mit ihm Untergehenden darzustellen. Wenn er nach dem Stift greift, muß er
aussehen, als griffe er nach dem Strohhalm der Ertrinkenden. Und das ist in Toulouse-
Lautrec. Technisch ist er ein Meister. Er zeichnet so recht für den Drucker, der auch ein
eigener Meister ist im Abziehen seiner Blätter. Zu Daumiers und Grandvilles Zeiten gab
es das noch nicht. Nicht einmal zu Raffets Zeit, der doch schon Stimmungslithograph
wurde. Man hatte noch nicht die handwerkliche Gourmandise, die erst mit Whistler und
Monet kam, von der Farbe her.
ILHELM BUSCH. Im Hagenbund eine große Ausstellung von Zeichnungen und
auch Gemälden des Meisters von Wiedensahl; aus dem Besitz seiner Verwandten
Nöldeke. Die Malereien zeigen, daß er dazu nicht geboren war. In Düsseldorf und Antwerpen
geschult, klebte er an den holländischen Vorbildern. In den Figurenszenen steckt immer
Teniers und Brouwer, in den Landschaften, unter denen es übrigens ganz geistreiche Stücke
gibt, Hobbema oder ein anderer, gelegentlich sogar der aufgelegte Samtbrueghel. In der
Farbe konnte er den braunen Schmutz nicht überwinden. Studiert aber hat er das Leben
ins Unendliche. Sogar gründliche Bleistiftstudien nach dem Skelett und nach PHanzen finden
sich, und natürlich Akte. Mit welcher Liebe und Treue er an der Erscheinung festhielt, zeigt
so manches schier sonderbar trauliche Blatt, zum Beispiel eine Bleistiftstudie nach Vaters
Lehnstuhl. Köstlich sind natürlich die Originalblätter zu seinen berühmten Hurnoresken.
Halb geschrieben, halb gezeichnet, erinnern sie an illustrierte Briefe, die von Kunstreisen
nach Hause geschrieben werden. Es ist ein eigenes Schreibtemperament auch in seinen
Federzeichnungen, die sich über ihre eigene Technik lustig zu machen scheinen. Viel hat
ohne Zweifel zu seinem simplistischen Stil der damalige Faksimile-Holzschnitt beigetragen.
Er mußte sich eben bescheiden, so zu zeichnen, daß ihm die Leute von Brend'am0ur oder
Cloß mit dem Messer gut nachkamen. Für unsere heutigen Wiedergabekünste hätte er sich