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DAS MOHAMMEDANISCHE KUNSTHAND-
WERK UND DIE AUSSTELLUNG MUNCHEN
1910 50' VON ERNST KUHNEL-BERLIN Sie
ER religiöse Haß, der durch das ganze Mittelalter bis
weit in die Neuzeit hinein zwischen dem christ-
lichen Europa und den mohammedanischen
Ländern lebendig war und durch politische
Gegensätze immer aufs neue geschürt wurde, hat
auch die wissenschaftliche Erforschung des
Islam lange beeinträchtigt und uns die Kenntnis
dieses wichtigsten aller fremdländischen Kultur-
kreise in jeder I-Iinsicht außerordentlich erschwert.
Diesem Religionsstreit in erster Linie ist es zuzu-
schreiben, daß bei der Beurteilung von allem,
was das andersdenkende Morgenland anging, das Aufkommen sachlicher
Gesichtspunkte stets im Keime erstickt und statt dessen der Phantasie
immer wieder freier Lauf gelassen wurde. Noch heute muß eigentlich jeder,
der sich für irgendein Gebiet mohammedanischer Zivilisation interessiert,
vorerst mit einem Wust herkömmlicher Vorurteile und irriger Grund-
ansichten, ja mit einem ganzen Märchen- und Fabelschatz aufräumen, ehe
er sich getrauen kann, mit einiger Objektivität an sein Thema zu gehen. Die
Rudimente historischer Anschauung, wie wir sie für andere Epochen schon
aus der Schule mitbringen, fehlen uns in diesem Falle so gut wie ganz, und
was der gebildete Mitteleuropäer unter der Glaubenslehre, den sozialen
Institutionen und anderen Einrichtungen des Islam versteht, erreicht an
Naivität tatsächlich oft die mangelhaften Vorstellungen, die sich der welt-
fremde Mohamrnedaner von unserer modernen Kultur macht. Nicht als ob
es heute noch unmöglich wäre, sich über derlei Fragen zuverlässig zu orien-
tieren; denn wir besitzen schon längst eine stattliche und kritisch gesichtete
Literatur, die diesem Zwecke vorzüglich zu dienen vermöchte, aber solange
ihre Resultate nicht zur Schulweisheit geworden sind, dürften die land-
läufigen Legenden in ihrer Primitivität wohl kaum wesentlich erschüttert
werden.
Ein gut Teil unserer Unkenntnis verdanken wir den phantastischen
Schilderungen vom Orient, die seit den Zeiten bramarbasierender Kreuz-
fahrer eine ständige Begleiterscheinung aller und jeglicher Reisen in jenen
Gegenden gewesen sind und sich daheim allmählich zu so nachhaltigen
Eindrücken verdichtet haben, daß man sich noch lange vergeblich mühen
wird, an ihre Stelle ein nüchternes Tatsachenmaterial zu setzen. Geradezu
verheerend hat in der Hinsicht besonders die Bekanntwerdung der Märchen-
sammlung von Tausendundeiner Nacht und ihre schnelle Popularisierung
gewirkt; denn seitdem pflegt alles, was mit dem Morgenlande zusammen-
hängt, in eine „Zauberwelt" oder in einen „Sagentraum" einbezogen und
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