Beherrschung des Stoffes war
vorhanden, seine Schmuckge-
genstände waren nicht gänz-
lich uninteressant, aber wahr-
haft befriedigen konnten sie
ebenfalls nicht, und zwar
hauptsächlich infolge der ein-
gangs erwähnten Mängel. Sie
waren alles eher als das was
man „reizend" nennt. Da wird
nun mancher einwenden, dass
die Ursache dieses abfälligen
Urteils viel mehr in unserem
Mangel an Verständnis liege
als in derQualitätjener Objekte,
denn diese passen sich tatsäch-
lich der modernen Kleidung
Blllmentopfständer von W. J. Neatby an, und das Sei doch ein VQr.
zug, der sie von vornherein als
mustergiltig erscheinen lassen muss. S0 ist es aber nicht. Die Goldschmiedekunst war
stets unter allen Kunstgewerben das höchststehende, das der hohen Kunst am nächsten
verwandte. Kein Kunstgewerbler schafft mit grösserer Freiheit und Ungebundenheit hin-
sichtlich des praktischen Nutzens und der Verwendbarkeit seiner Erzeugnisse als der
Goldschmied. Selbst der Architekt, dessen Beruf doch zu den akademischen zählt, ist
gebundener als er. Sein Handwerk bildet die Brücke zur hohen Kunst. Daher sind auch
so viele Maler der italienischen Renaissance aus Goldschmiedewerkstätten hervor-
gegangen. Das Schneiderhandwerk dagegen zählt zu jenen Gewerben, die auf
der ersten Stufe der Leiter zur hohen Kunst stehen. Ein grosser Abstand trennt
unsere Tracht von den Erzeugnissen der hohen Kunst. Wenn sich also der Schmuck
der modernen Kleidung anpassen will, so hat er prinzipiell zwar vollkommen recht.
Aber er hat unrecht, wenn er meint, er müsse deshalb auf das tiefe Kunstniveau
der Kleidung herabsteigen. Er soll mit der Kleidung harmonieren, aber zugleich
der hohen Kunst näher stehen als irgend ein anderes Erzeugnis des Kunstgewerbes.
Unser Schmuck ist kein Applikationsschmuck, wie er es in verschiedenen anderen
Geschichtsperioden war, er ist ein Akzentschmuck. Er soll in nicht allzu aufdringlicher
Weise, aber für den Wissenden doch deutlich genug, das feinste ästhetische Empfinden
des Schmuckträgers zum Ausdrucke bringen. Der demokratische Charakter der Kleidung
soll durch ihn einen leisen aristokratischen Beisatz erhalten. Das ist sein Sinn, sein Zweck.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend muss zugegeben werden, dass Ortliebs Entwürfe
im Vergleiche zu denen Van de Veldes tatsächlich einen kleinen Fortschritt aufweisen.
Sehen wir jedoch von dem Endziele, das erreicht werden soll, auf diese Kompositionen
zurück, dann zeigt sich, dass von ihnen bis zur Erreichung dieses Zieles noch ein recht
weiter Weg zurückzulegen ist. Folnesics
NEUE MÖGLICHKEITEN IN DER BILDENDEN KUNSTH"
In temperamentvoller Weise ergeht sich Hermann Obrist, der Münchener Bild-
hauer und unermüdliche Vorkämpfer der neuen Richtung, in allerlei Betrachtungen
über Aufgaben und Werdegänge in der modernen Kunst und erweist sich in der Art, wie
er an die verschiedensten Probleme herantritt, als warmblütiger Verfechter einer idealen
Auffassung des Lebens und der Kunst, als ein rastlos Strebender, der unermüdlich auf
"j Hermann Obrist, Bildhauer. Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst. Essays. Verlegt bei Eugen
Diederichs, Leipzig 1903.