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Volltext: Monatszeitschrift XV (1912 / Heft 4)

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Sehr unangenehm und oft von schlimmen Folgen waren die ewigen 
Streitigkeiten zwischen den Ordensoberen und den Bischöfen von Brixen, 
die Rechte über das Stift betreffend, weil die Äbte des Stiftes zwischen den 
Parteien standen und zwei Herren dienen sollten. Dieser Exemptionsstreit 
hatte bereits unter dem Abte Erhard (1452-1458) begonnen, veranlaßt 
durch den päpstlichen Legaten für Deutschland, Kardinal Nikolaus von 
Cusa," Bischof von Brixen, der das Stift Wilten vom Ordensverbande der 
Prämonstratenser vollständig lostrennen wollte, wogegen der Orden selbst- 
verständlich remonstrierte. Die aus diesem Streite entspringenden Prozesse 
dauerten volle zweihundert Jahre, wobei es sogar im Jahre 1638 zu einer 
militärischen Aktion von seiten des Fürst- 
bischofs von Brixen und zur Gefangen- 
nahme des damaligen Abtes Andreas 
Mayr kam, bis endlich im Jahre 1655 die 
Parteien sich zu einem Vergleiche einten, 
der dem Orden seine Rechte hinsichtlich 
der inneren Leitung sicherte, dem Bischof 
einige Ehrenvorzüge und Abgaben zu- 
sprach. 
Unter dem Abte Gregor von Stremer 
(1693-1719) hob sich das durch diese 
fatalen Zustände moralisch und finan- 
ziell ziemlich herabgekommene und nur 
langsam sich erholende Stift zur alten 
Höhe. Vom Abte Martin von Stickler 
(1719-1747), dem Nachfolger Gregors, 
wurde das gegenwärtige Gebäude der 
Bibliothek errichtet und diese mit vielen 
wertvollen Büchern bereichert. Abt Nor- 
bert II. von Spergs (1778-1782) erwarb 
für das Stift eine kostbare Gemäldesammlung, bei welchem Kaufe der Bruder 
des Abtes, Hofrat Josef Freiherr von Spergs in Wien, hilfreich zur Seite stand. 
Der 17. September 1807 brachte wie allen andern Klöstern in Tirol so 
auch Wilten von seiten der bayrischen Regierung die Auflösung. Die 
Gemäldegalerie wurde geplündert, die Bibliothek größtenteils nach München 
überführt, alle andern Sachen von Wert versteigert und verschleudert. So 
wurde auch der noch vorhandene Abtstab des ersten Abtes Marquard, 
dessen Krümmung aus Elfenbein geschnitzt war und einen Drachen dar- 
stellte, von einem bayrischen Beamten gestohlen und seiner Silberbeschläge 
beraubt. Als der Mann sich verfolgt sah, warf er den Stab in die Fluten der 
reißenden Sill, in denen das historisch wertvolle Stück für immer ver- 
schwand. Als diese unglückliche Zeit endlich abgelaufen war, befand sich 
das Stift, wie leicht begreiflich, in einem sehr traurigen Zustand, und es 
' Er hieß eigentlich KhrypfTs (Krebs), geboren zu Cusa oder Kues an der Mosel, gestorben 1464. 
Abb. 6. Benediktinelstift St. Gallus 

	        
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