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Volltext: Monatszeitschrift XV (1912 / Heft 5)

viele „unabhängige Künstler" es gibt. Die Aufnahme in diese Gilde stehtjedem Menschen 
offen und ist durch keinerlei Jury beschränkt. 
_ In früheren Jahren hatten diese Ausstellungen immer einen sensationellen Charakter, 
man ging dorthin, um sich redlich zu entrüsten oder um sich an verschiedenen Lächer- 
lichkeiten zu ergötzen. Nun scheint es aber, als hätte das Publikum schon zu viel solches 
über sich ergehen lassen, besonders seit den Verrücktheiten des Futurismus ist es beinahe 
ein Ding der Unmöglichkeit geworden, etwas Neues, Verblüffendes zu erfinden! Wer im 
Winter die Ausstellung der Futuristen versäumt hat, kann hier diesbezüglich manches 
nachholen. Nimmt man sich die Mühe, in jedem einzelnen Saal gewissenhafte Umschau zu 
halten, so ist der Besuch der „Artistes Independants" immerhin sehr lohnend. Man lernt 
zum Beispiel, daß es auch schon Bildhauer gibt, welche nach dem kubistischen Prinzipien 
arbeiten. Die einarmige Venus von Alexander Archipenko ist ein Unikum an verschrobenen 
Proportionen. Eine gewisse Komik in der Komposition rettet einigermaßen die Situation. 
Kleinere kubistische Gebilde (Statuetten in Holz und in Bronze) sind von Auguste 
Agero. . 
In dieser Ausstellung sind alle Abarten und Ausartungen der modernen Kunst ver- 
treten. Von diesen Standpunkt aus betrachtet, ist sie hochinteressant. Gar viele seither 
anerkannte Talente haben ihre Laufbahn in den Independants begonnen. Zum Beispiel der 
berühmte Paul Signac, welcher gegenwärtig zu den bedeutendsten Vertretern der modernen 
Malweise gehört. Seine Bilder sowie auch diejenigen von Cyrill Bailly sind vorzügliche 
Resultate des Monetschen Einflusses auf die französische Kunst. 
Eines der kräftigsten Bilder ist „En Famille" von Andre Dignimont, ein brutales 
Sittenbild mit ungemein charakteristischen Typen, meisterhaft beobachtet und durch- 
geführt. Zwei große allegorische Darstellungen von Dusouchet: „Maternite" und „Le 
Genie du repos eternel", sind weit über jede Mittelmäßigkeit oder Nachahmung erhaben. 
Es liegt darin etwas Durchgeistigtes, Ergreifendes, wie man es selten findet. 
Die Schar der F uturisten, Kubisten und anderer ähnlicher Fanatiker hat sich reich- 
lich ausgetobt: Luce, Metzinger, Le Fauconnier, Geo Tribout, Anne Gerebtzoii", Merodac- 
Jeaneau und andere sind hier in ihrem wahren Element. Etwas gar zu schreiend grelle, 
aber talentvolle Aquarelle (Landschaften aus der Provence) sind von Van Maldere. 
Waroquier stellt stimmungsvolle japanische Landschaften aus. jose Maria Xiro malt 
phantasiereiche allegorische Meerbilder. Merkwürdige stilisierte Landschaften sind von 
Silva Bruhns. Sehr interessante Eigenschaften weisen auch die Originallithographien von 
Michel Silvany auf. Die vorzüglichen Lanclschahen von ]ean Hamman und von Laurent 
Gsell, die dekorativen Panneaux von Jaulmes und von Quesnel sowie die Arbeiten von 
Meister Francis jourdain sind nicht zu übergehen. _ 
Eine eingehendere Kritik der „Artistes Independants" würde zu weit führen und 
doch nicht viel mehr erklären. Die Verschiedenartigkeit all dieser Versuche und Resultate, 
Leben auf die Leinwand zu bringen, läßt sich selbst mit vielen Worten nicht gut 
beschreiben. 
Fast ebenso schwierig ist die Aufgabe da, wo es sich um die mannigfachen, fast 
durchwegs vorzüglichen Leistungen in der Ausstellung der „Dessinateurs-Humoristes" 
handelt. Diese heitere Gesellschaft hat sich heuer in dem neuen Ausstellungslokal, Galerie 
La Boetie, zusammengefunden. Das Herz des Parisers läßt sich durch nichts anderes so 
leicht erobern als durch drollige Einfälle. Man sollte nicht glauben, daß die Bezeichnung 
,,Dessinateurs-Humoristes" sich nur auf die ständigen Mitarbeiter der Witzblätter erstreckt. 
Alles was in die Kategorie Genrebild gehört, alles Hübsche, Heitere, Charakteristische, 
segelt jetzt unter der Flagge der „Humoristen". Der Besuch ihrer Ausstellung ist zweifel- 
los ein Vergnügen, vorausgesetzt, daß man eine Tagesstunde dazu wählt, in welcher das 
Gedränge nicht so groß ist, daß man die Bilder aus der Nähe besehen kann. 
Eine fabelhafte Virtuosität im Zeichnen ist bei allen Arbeiten von Leandre zu be- 
wundern, selbst da, wo es sich um groteske Karikaturen handelt. Man findet es sogar ein
	        
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