Die Tiberiasbilder, vor allem der Sturm auf dem Meere, dann die
Bekehrung Sauls und die Martyrszenen tragen mit ihrer reichen, landschaft-
lichen und architektonischen Fernsicht diese Gesinnung schon auf die Flügel
über, und von ihnen ist der Schritt zu den einschlägigen Gemälden auf dem
St. Wolfgangsaltar, die noch dazu um etwa ein Drittel größer sind, kein allzu
bedeutender mehr.
Die Tiberiasbilder beanspruchen, zumal der zeitliche Unterschied
zwischen dem Katharinenaltar und dem Altar in St. Wolfgang schon rund
fünfzehn jahre beträgt, eine hervorragende Stellung in dem Entwicklungs-
gange Friedrich Pachers. Sie erweisen sich als das wichtigste Bindeglied
zwischen den beiden Werken und die Vermutungen und Beobachtungen,
mit denen Semper bisher die dazwischen liegende Kluft ausfüllen konnte,
haben nun vollkommene Bestätigung gefunden. Der Weg von dem Neu-
Stifter Katharinenaltar - 1464 w über den ehemaligen Peter- und Pauls-
altar des Sterzinger Jöchlsthurns - 1475 _ zu den vier Wolfgangsszenen
auf den Außenseiten der Außenüügel und zu den acht Christiszenen auf
den äußeren Innenflügeln und den inneren Außentiügeln des Altars in
St. Wolfgang _- 1479 bis 1481 - und schließlich zu dem Freisinger Bild der
Taufe _ 1483 - bewegt sich in stetig aufsteigender Linie. Mögen auch da
und dort, wie es der rege Werkstattbetrieb mit sich brachte, eine oder
mehrere Gesellen- oder Schülerhände mitbeteiligt gewesen sein, so scheint
mir für diese in Frage stehenden Bilder der Ausdruck „Werkstattarbeiten" im
landläufigen Sinne zu weit gegriffen. Denn ganz abgesehen davon, daß man
in Friedrich Pacher den maßgebenden, Richtung bestimmenden Faktor dieser
Gruppe der Neustift-Brixener Malerschule zu erkennen hat, ziehen sich von
dem Katharinenaltar an bis zu der Freisinger Taufe durch alle Bilder, wie
oben dargelegt, so viele stilistische, gleichartige Einzelheiten und Eigentüm-
lichkeiten, daß man eben im wesentlichen mit einer und derselben Künstler-
individualität rechnen darf, und in diesem Sinne erscheint mir für die erwähnten
Werke die Bezeichnung„Friedrich Pacher" nicht nur zulässig und berechtigt,
sondern der Bezeichnung „Werkstattarbeiten" gegenüber vorzuziehen.
Erwägt man, um wieviel klarer sich nunmehr die Persönlichkeit
Friedrich Pachers durch das neugewonnene Bindeglied der Tiberiasbilder
gestaltet, so wird sich auf Grund der jetzt gesicherten Fixpunkte eine
Reihe in die Gruppe einschlägiger Malwerke in ihrer engeren oder weiteren
Zugehörigkeit zu Friedrich Pacher und seiner Schule näher bestimmen und
einordnen lassen. Am nächsten steht unserer Gruppe wohl die Anbetung
der Könige in Mitter-Olang, die erstmals Dahlke als Frühwerk Michael
Pachers angenommen hat, während Hans Semper sie zuerst dem Friedrich
Pacher zuschrieb, um später dann dessen Urheberschaft als unwahr-
scheinlich zu bezeichnen. Ich halte Sempers ursprüngliche Anschauung
für durchaus gerechtfertigt, namentlich in der Darlegung der Gründe,
die gegen Michael Pacher sprechen." Im Raumemplinden erkenne ich
' Hans Semper, a. a. 0., S. 3x.