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PARISER AUSSTELLUNGEN. Die „Societe du Salon d'Automne" blickt
siegreich auf eine überstandene Vernichtungsgefahr zurück. Beinahe wäre es ge-
schehen, daß die Kammer die Abschaffung dieser Institution beschlossen hätte oder ihr
zum mindesten die Aufnahme ins „Grand Palais" verweigert worden wäre. Die Wolken
zogen vorüber und es wurde nur der Zeitpunkt infolge der vorher stattfindenden Auto-
mobilausstellung verschoben. Dafür bleibt der Herbstsalon diesmal bis anfangs Jänner
offen und es ist überall für entsprechende Beleuchtung der Säle gesorgt worden, um die-
selben dem Publikum bis 6 Uhr abends zugänglich zu machen.
Noch vor der Eröffnung machte der Salon vielfach von sich reden. Ein Künstler, der
sich über die Ablehnung seines Bildes empörte, ließ dasselbe in einem offenen Wagen
in den Straßen herumführen; eine Schar begleitender Kollegen sorgte dafür, daß es ent-
sprechend bemerkt werde und der Fall in den Zeitungen zur Erwähnung komme. Die
Neugierde wurde anderwärts auch dadurch
H angeregt. daß es hieß, die Polizeibehörde hätte
._ ,' ' h aus Sittlichkeitsgründen einige Bilder entfernen
. , l lassen. Es handelte sich, wie man später erfuhr,
_ 4' .331 um eine Arbeit von Kees Van Dongen. Dieses
1' - "" 431 ' Ereignis gab dern Künstler Gelegenheit, in der
Presse zu protestieren und kann ihm nur eine
gewünschte Reklame sein.
Nun zu dem eigentlichen Besuche der
Säle. Eine Aufzählung der wirklich guten Ar-
beiten wäre zwar keine endlose Liste, trotzdem
der Katalog über zweitausend Nummern ver-
zeichnet, jedoch um allem gerecht zu werden,
sei es erwähnt, daß vieles durch die Anord-
nung der Bilder um ein verdientes Bemerkt-
werden gebracht wird. Das Auge des Publi-
kums gewöhnt sich von Jahr zu Jahr immer
mehr daran, den Drang nach individuellem künst-
lerischem Schaffen nicht mit einer geschmack-
losen Effekthascherei zu verwechseln. Jeden-
falls ist es zu verzeichnen, daß die Zahl der
Anhänger der modernen Richtung immer mehr
anwächst. Ich will hier nicht behaupten, daß
zum Beispiel die Kubisten es zu etwas gebracht
hätten, aber es gibt in der Malerei einen ähn-
lichen Werdegang wie in der Mode, und manche Neuheit, die uns anfangs unangenehm
aus unseren gewohnten Begriffen rüttelte, erringt später unsere bewundernde Anerkennung.
Die Kreuzungen zwischen Kubismus und Futurismus ergeben vorläufig Resultate,
deren Sinn nicht gut zu entziffern ist. Derlei findet man sehr viel an allen Ecken und
Enden des I-Ierbstsalons. Es ist in dem Fall ja auch ziemlich überflüssig sich zu bekümmern,
von wem diese Bilder verfertigt wurden. Oder sollten wir es doch später einmal bereuen,
diese Werke mit Verachtung behandelt zu haben?
Zu den verständlichen Kunstwerken gehören die Bilder von Ferdinand Hodler, dem
berühmten Schweizer Meister, welcher bis jetzt in Frankreich nicht allgemein bekannt war.
Sein Riesengemälde „Unanimiteß (Einstimmigkeit) ist von packender Wirkung, es fällt
durch seine germanische Strammheit und die Kraft der Komposition insbesondere in einer
französischen Ausstellung stark auf. Die Frauengestalten Hodlers sind dem französischen
Ideal der Weiblichkeit zu sehr entfernt, um hier Anerkennung zu finden. Auch die beiden
Liebespaare in „Amour" sind vielleicht sehr „wahr", man kann sich aber eines gewissen
Unmutes darüber nicht erwehren, daß in dieser Auffassung auch nicht die entfernteste
Abb. 5. Kindemapf aus Silber, entworfen von C. R.
Ashbee, ausgeführt von der Ans and Crafts Guild,
Chippen Campden