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Wirklichkeitstreue der Figuren bildet von nun an das Problem sowohl
für die Tafel- wie für die Glasmalerei. Man kennt dabei naiverweise kaum
einen Unterschied; wie es denn auf Burg Karlstein in Böhmen ein
Kreuzigungsfenster in der Katharinenkapelle gibt, das sich als eine Zug
für Zug genaue Übersetzung eines Temperagemäldes der böhmischen
Schule („Theodorich von Prag") im Prager Rudolphinum, etwa 1380,
enthüllt.
Doch darf man bei dieser Parallelität auch das nicht außer acht lassen,
daß die Einteilung großer Fenster durch ihr Maßwerk häufig von selbst
für einen gewissen Idealismus sorgt. Ein schlagendes Beispiel ist das
riesenhafte Westfenster der Abtei Altenberg bei Köln aus derselben Zeit,
1380 bis 1390, das in den acht ganz hohen Feldern zwischen den Stäben
zwei Reihen von Einzeliiguren übereinander, durch hohe Baldachine
getrennt, anordnet und damit das altgotische Teilungsprinzip und die
Monumentalität der feierlichen Statuen wiederherstellt. Es ist das Haupt-
werk der kölnischen Schule, die auch jetzt noch bei ihrer Architektonik
beharrt und sich von der aleman-
nischen Farbenfreude sehr wesent- , „ V _ - 1. - .
lich durch ihre Vorliebe für die 4 ' h m'a EM
Grisaille, die Schwarzlotmalerei _ _ k! 4' I!" i
auf farblosem und gelbem Glase, ' ' ' . I w n Ni ü.
unterscheidet. Stilistisch hinkt die _' - i i I;
Kölner Schule der Straßburg-
Königsfeldener nach, indem sie
erst hier (und in der weit schmieg-
sameren Schwarzlotmalerei!) die
Stufe des perspektivischen und
iigürlichenRealismus von Königs-
felden erreicht, mit kubisch ge-
bauten Baldachinen und zeitge-
nössisch gekleideten, stark indi-
viduell gebildeten Gestalten. Denn
die hieratische Feierlichkeit der
Gotik kannte nur Typen und
Idealkostüme.
S0 bedeuten auch die Fen-
ster im nördlichen QuerschiiT
des Kölner Domes, die zwischen
1400 bis 1420 entstanden, nur
eine mäßige Modernisierung der
Altenberger Grundform in der
Richtung perspektivischer An-
schaulichkeit der Baldachinge-
Johannes Evangelist und Maria, in der Sakristeivon St. Ulrich
und Aira in Augsburg, nach Hans Holbein dem Älteren,
häuse. Ende des XV. Jahrhunderts (nach Schmitz)