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Objekt: Monatszeitschrift IX (1906 / Heft 12)

Truthahn beim Karokönig mußte sich die 
Amputation seines kronenartig ausgezackten 
Kammes gefallen lassen, um nicht doch mög- 
licherweise an die verpönte Kopfbedeckung zu 
erinnern. Das Szepter verwandelt sich in eine 
Art Pike und selbst aus den Kleiderstoffen 
müssen die ornamentalen Lilien heraus. Die 
Könige heißen „Genies", die Damen „Libertes", 
die Buben „Egalites". Dem Cartier Besse in 
Angouleme passiert es, daß er bei der Umfor- 
mung zwei Sinnbilder vergißt, das Kreuzchen 
auf dem Reichsapfel und den Namen Lahire. 
Solche Schlechtigkeiten konnten einen den Kopf 
kosten. Selbst die Attitüden der alten Karten 
wurden als staatsgefährlich gebrandmarkt und 
ein Dekret des Konvents vom 22. Oktober 1793 
verordnete  Schaffung ganz neuer Spiel" Spielkarte aus der Zeit der französischen 
karten. Das „p0rtrait de Paris" schrseibt Ver- gfxltigäiaßlvggefigijgwgixzirrjnvsgmnäw, 
fasser mutmaßungsweise Watteaus ohn zu. bisßm Jahmundm ' 
Die Könige erscheinen da alsWeise, die Damen 
als Tugenden, die Buben als „Brave". Piquebubeist einBastillesieger, Herzbube 
E? SansculgtteDmit gesJclglultertem BejileBBii anierlfn äpielenssind die Könige 
emente, ie amen a reszeiten, ie u en c er auer. tatt der Könige 
erscheinen auch die „Philosophen" Lafontaine, Moliere, Voltaire, Rousseau. 
Die Ausführung ist sehr hübsch, wie überhaupt bei allen antikisierenden 
Karten auch des Empire. Zur Abwechslung kommt die Landkarte von Frank- 
reich ganz oder partienweise auf die Spielkarten. Dann wieder republikanische 
Devisen, der revolutionäre Kalender, das metrische System, die Deklaration 
der Menschenrechte, der neue republikanische Erdmeridian, die zehn Tage 
der Dekade und so fort. Man könnte sie Vademekumkarten nennen. Ein köst- 
liches Intermezzo ist der „citoyen" Saint Simon als Kartenfabrikant, und 
zwar als in hohem Grade geschäftlich vorgehender, der ( I 793 bis 95) in be- 
geisternden Zirkularen seine Freunde aufforderte, seinen alleinseligmachenden 
Karten in der Gesellschaft Propaganda zu machen. In seinem Prospektus heißt 
es wörtlich: „Wenn die wahren Freunde der Philosophie und Humanität mit 
Vergnügen unter den Typen der Iilgalite den Sansculotten und den Neger be- 
merkt haben, werden sie besonders gern das Gesetz, den einzigen Souverän 
eines freien Volkes, das Aß seiner höchsten Macht umgeben sehen" und so 
weiter. Auf dem Umschlag dieser Spiele steht oben: „Le genie de laRepublique" 
und weiter unten: „Plus de rois, de dames, de valets" und so weiter. Der Graf- 
Citoyen ließ sich im Jahre II sogar handelsgerichtlich protokollieren, in 
Gemeinschaft mit zwei Firmen, die seine Teilhaber waren. Und seine 
Karten, die übrigens hübsch sind, wurden gekauft, ja sogar nachgeahmt. Als 
Rückschlag sei auch eine Spielkarte der Gegenrevolution verzeichnet, mit 

	            		
Epigrammen gegen Berühmtheiten des Tages und einer Vignette: zwei gekreuzten Degen unter einer Krone. Napoleon I. imperialisierte die Spielkarten, ließ sich aber lange Zeit. Erst am 1. Oktober 1810 erschien das bei David bestellte und von Andrieu in Stahl gestochene Spiel. Karokönig ist darin Napoleon unter Cäsars Zügen, Piquekönig ist David, dessen Name hebräisch geschrieben ist, Treffkönig Alexander, mit griechisch beigeschriebenern Namen. Die Phantasiekarten nahmen im XIX. Jahrhundert einen neuen Aufschwung. I-Iou- bigant brachte 1816 zur Hochzeit der Her- zoginvon Berryein Spiel aus derfranzösischen Geschichte in Umlauf, mit gotischer Schrift. Die Figuren ließen an Royalismus nichts zu wünschen; Henri IV., Jeanne d'Albret, Crillon, Franz I., Margarete von Valois, Bayard und Deutsche Spielkarte von 154i aus dem so weiter, lauter schön ausgeführte Ritter und Werke von Henry Dükllemagne: Die Spiel- goldgestickte Damen in unverfälschtem Re- kam" "m" XIV" bis Xx' Jahrhmdm staurationsstil. Ein anderes Spiel ging auf Ludwig XVI. mit Marie Antoinette, dem Herzog von Berry und so fort. Das Spiel der Cris de Paris ist bereits erwähnt. 1855 kam ein Spiel mit bekannten Schauspielern, die photographisch gegeben waren, und ein Spiel der „Drei Musketiere", mit D'Artagnan als Piquekönig, Aramis Herzkönig und so fort. 1859 kam zu Ehren Napoleons III. ein Spiel der befreundeten Souveräne: Königin Viktoria und der Prinz-Gemahl, Napoleon und Eugenie, Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, Alexan- der II. und die Zarin. In den Jahren 1824, 1849 und 1858 erschienen Spiele mit Modebildern, den neuesten Toiletten, ein ganzes Taschenmodejournal. Der zweiköpl-ige Typus ist schon ziemlich alt; ein solches Spiel brachte GaetanoSal- votti in Vicenza 1602 (Brüsseler Museum). In Frankreich tritt es offiziell 1827 auf, doch sind solche schon 1745 in den Grenzdepartements, für den Export, erwähnt, auch in Poitiers (1790) und Marseille (1801). Phantasiekarten dieser Art gibt es 1833 von Steinbecher in Frankfurt. In den letzten Jahrzehnten kommen politische und andere Spiele vor; die große Firma Grimaud, deren Teilhaber M. Marteau, einem bedeutenden Sammler, D'Allemagne sein Werk gewidmet hat, war in solchen Ausgaben fruchtbar. Die belehrenden Karten beginnen schon im XIV. Jahrhundert in Italien (1393 erwähnt) mit den sogenannten „Naibi" (50 Blatt), zum Gebrauch von Kindern. Verfasser hält das in der Bibliotheque Nationale befindliche soge- nannte Tarot de Mantegna (um 1470 gestochen) für eine treue Wiedergabe davon. Diese vielumstrittene Bilderserie gilt anderen überhaupt für kein Spiel.
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