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ERLINER KUNSTCHRONIK. FICI-IT-E IN DER BERLINER ALMA
MATER. Als Artur Kampf sein Monumentalgemälde für die Aula der neuen
Berliner Universität „Fichte als Redner an die deutsche Nation" begann, ahnte er wohl
nicht, welch umspannende und weittragende Bedeutung das Thema seiner künstlerischen
Aufgabe durch die Weltgeschichte erhalten würde. Wäre der Krieg mit seiner gewaltigen
Erhebung (an die Zeit vor hundert Jahren erinnernd) nicht gekommen, so würden wir die
jetzt bei Schulte veranstaltete Vorschau des großen Kartons und der zahlreichen farbigen
Studien zu diesem akademischen Wandschmuck mit betrachtendem Gleichmut wägen und
im übrigen das letzte Urteil bis zum Abschluß und bis zum Eindruck der Raumwirkung an
Ort und Stelle vertagen.
Heut ward nun alles anders. Wir geben uns gern und mit freudiger Demut dem
erregenden Schicksal hin, das uns umschwebt. Und wir können in solcher Stimmung nicht
als kühl objektive „Kunstkritiker" vor eine Darstellung treten, deren seelischer Inhalt uns
so tief und nah bewegt. Gewiß, daß wir auch in einer andern vom Krieg unerschütterten
Stunde bei dieser Gelegenheit Fichtes Reden aufgeschlagen hätten, um die Gestalt, die
der Maler Kampf dem Praeceptor Germaniae gab, an seinem geistigen Spiegelbild zu
messen. Aber dies Vergleichen wäre doch nur von genießerischem Ästhetenreiz gewesen.
Wenn wir heut bei diesem Buch, das der Insel-Verlag neu in einer würdigen Ausgabe
erscheinen ließ, mit empfänglichem Herzen einkehren und dann von seinem Odem
angeweht vor das Gemälde treten, so können wir nicht mehr als Kunstzensoren allein
urteilen, sondern es zwingt uns, von dem Ereignis dieses Mannes, Fichte, selbst zu
reden.
1808 rief er in der noch von den Franzosen besetzten Stadt sein Volk auf, wahrhaft
mit Erzengelzungen. Er verkündete den noch in Enge und Dumpfheit von dunklem, wenn
auch gutem Drang Getriebenen eine großartige, kühne und lebendige Auffassung von der
„Nation", als der „charakteristischen Gestaltung des geistigen und göttlichen Lebens": „für
den edlen Menschen ist die Eigentümlichkeit seines Volkes das Ewige, wodurch die kurze
Spanne seines eignen Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt
wird". Der Beweis dieser „eigentümlich geistigen Art" und die Darstellung der „tieferen
Grundzüge und des bleibenden Kerns vom deutschen Wesen" führt er an der deutschen
Sprache und an deutschen Persönlichkeiten aus, vor allem an Luther. Fichte weist den
Deutschen die Berufung zu, „den geistigen Charakter der Menschheit zu erhalten im
Gegensatz zu andern Völkern mit einer (man denkt dabei heut an England) „überwiegend
um äußere Zwecke bemühten Lebensführung". Die Kraft, diese Berufung zu leisten, ist
„kein bequemer Besitz, sondern will immer von neuem errungen sein". Sie „fällt uns auch
nicht durch ein Walten des Geschickes von außen zu, sondern sie bedarf unserer eigenen
Entscheidung und Ta ". Zu dieser Tat - so faßt Rudolf Euckens nachfühlende Einteilung
Fichtes Absicht zusammen -: Zu dieser Tat die Gemüter aufzurütteln und zu ihr die Wege
zu zeigen, das ist die Aufgabe der Reden an die deutsche Nation.
Wie gegenwartskräftig sie für unsere jetzige Wende sind, kann man übrigens aus den
eben veröffentlichten Kriegs-Aufsätzen von Houston Stewart Chamberlain erkennen, die in
ihrer Leidenschaft zum deutschen Wesen als Eideshelfer Fichte beschwören und sich seine
Auffassung von deutscher Sprache und Persönlichkeit (zur Luther-Verehrung kommt hier
noch eine männliche Goethe-Huldigung voll tieferer Erkenntnis) zu eigen machen.
Malerisch und gestaltend etwas von dieser Art Fichtes und seiner Reden in die
Erscheinung zu bringen, mußte das Ziel von Kampfs Monumentalbild werden. Man könnte
sagen, das Thema war: einen Mann und Menschen zu zeichnen, aus dem der Gedanke
herausspringt wie eine Handlung, bei dem das Denken sich entlädt, wie bei einem andern
aktivste Tätigkeit. Es galt einen Redner hinzustellen, der sein Reden übt wie ein anderer
das Schwert schwingt.