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Volltext: Monatszeitschrift XIX (1916 / Heft 5, 6 und 7)

Im Gegenwartsleben kaum je, im Anschauen vergangener Zeit jedoch oft übermächtig 
erlebt, tritt uns im Kriege die Macht einer großen Idee stündlich entgegen. Was im Frieden 
nur lange Zeit und mühsame Arbeit zu vollbringen vermag,'schafft jetzt das Kriegs- 
ministerium im Verein mit dem Kultusministerium. Bildhauer, Gartenarchitekten und 
Landschaftsgärtner treffen sich, beraten sich, stellen Leitsätze auf, formulieren sie 
allgemein und doch mit der Aufforderung, das Individuelle in jedem Anlaß, unter jeder 
Bedingung zu wahren. 
Ausstellung um Ausstellung veranschaulicht ihre Arbeit, Vorträge propagieren ihre 
Gedanken,Führungen erläutern die Resultate,Beratungsstellen, über ganze Reiche verstreut, 
ökonomisieren ihre Leitsätze: die Industrialisierung aller menschlichen Kräfte. Und alle 
diese Energien kreisen um den ewigen und tiefsten Gedanken, um den Gedanken der 
Humanität. Dessen erstes Zeichen aber war das Grab. 
Es kann hier nicht der Ort sein, die beiden Ausstellungen in Berlin, die im Anschluß 
an die Besprechungen der Kommissionen Deutschlands und Österreichs in Berlin während 
der Monate März und April stattgefunden: die Ausstellung des Volkwang-Museums 
Hagen i. W. in der Berliner Sezession und die große Ausstellung, die als Wanderausstellung 
des „Freien Bundes" zu Mannheim in dem Kunstgewerbemuseum in Berlin, in ihrer 
großen Mannigfaltigkeit zu besprechen, zumal viele Gedanken über dieses Thema in einem 
gehaltvollen Artikel vor Monaten in dieser Zeitschrift schon ausgeführt worden sind. Ein 
paar allgemeine Ausführungen möchten sich aber doch noch hervorwagen. 
Der gestaltende Grundwille aller dieser Versuche ist architektonisch. Er ist gebietend 
bis zur Despotie. Die Leitsätze der Kommission empfehlen Ausnutzung der Gegebenheiten 
im Terrain. Die ist immer gut gewählt worden, und so liegt das Fundament des „Grabbildes" 
richtig. Nach der Ökonomie kommt die Phantasie; sie aber erstarrt zu oft im Architek- 
tonischen. Ein Blick auf die kleinen Aufgaben (Einzelgrab und so weiter) läßt dies beson- 
ders deutlich werden. Und das „Grabbild" wird einförmig. Hügel gehen und kommen, ihre 
Schritte greifen ineinander; das kleine Massengrab, das in ihrem Lauf liegt, hemmt ihre 
natürliche Bewegung. Es ist architektonisiert. Die Baumreihe, die es umsäumt, der Hain, 
in dem es steht, sie sind gebaut. Mag auch das Empfinden des ewigen Friedens durch 
keine andere Form größer und tiefer gestaltet werden als durch die unabwendliche Logik 
von Horizontal und Vertikal, so wird die künstlerische Freiheit sich gerade davor hüten 
müssen, daß die Industrialisierung aller künstlerischen Kräfte zu einem großen Zwecke 
nicht eine Uniformierung aller Formen nach sich zieht. Nicht eine besondere patriotische 
Forderung, sondern lediglich die Freiheit für die Form ist es, die fragt: „Gibt es denn in 
Deutschland nur zypressierte Bäume und keine Eichen mehr?" Kommt dann aber die große 
AufgabeJritt zum Massengrab auf dem Schlachtfelde dasKriegerdenkmal, dann mag auch die 
Form ihre größeren Kreise ziehen und „gebaute Situationen" erzeugen.In der kleinenAufgabe 
gewinnt diese Stilisierung leicht den Beigeschmack von „geschmackvolkt Vielleicht ist aber 
für jene großen Aufgaben die Zeit noch nicht gekommen ;_hier kann Warten nurvon Segen sein. 
Vielleicht ist eine Lösung aber überhaupt zu verwerfen; es ist das Reihengrab auf 
dem Friedhof mit dem gleichen Gedenkzeichen an Form, Höhe, Farbe. Das ist pure Uni- 
formierung. Es gibt leider viele solcher Lösungen mit Anspruch auf „architektonische 
Strenge". Die Schönheit eines jeden alten Friedhofes liegt in seinem „GewordenseirW, in 
seinem „Gewachsenseirrh Vielleicht ist die Schönheit des Grabes überhaupt keine rein 
ästhetische; sicher ist viel historisches Empfinden darin. Rein künstlerisch wird nur das 
Grabmal sein, das in freierer Form etwas „darstelltü Es sind die Kriegerdenkmäler, die 
als Brunnen, Säulen, Obelisken in der Stadt oder wo immer stehen. In beiden genannten 
Ausstellungen waren für diese Aufgaben retrospektive Abteilungen eingerichtet. Von 
Ägypten bis Schinkel über Mittelalter, Renaissance herüber lief die Linie besonders reich 
in der Mannheimer Wanderausstellung. Zu dieser Freiheit der Formen gehört die Freiheit 
des Zeitabstandes gehört die Dezentralisierung der künstlerischen Kräfte im Frieden. 
' Wilhelm xumi
	        
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