eine beredtere und eindringlichere Sprache führte als der tote Buchstabe
des Pergaments. Denn Strigel hat die Figuren so geschickt anzuordnen
verstanden, daß Ludwig, trotzdem er in die rechte Ecke gerückt ist, doch
eigentlich im Mittelpunkt des Interesses steht und nächst dem Kaiser
als die wichtigste Persönlichkeit des ganzen Gemäldes wirkt. Mit nicht
mißzuverstehender Gebärde hält er eine Papierrolle über die Brüstung,
hinter der er sitzt: es ist der Adoptionsbrief, die Legitimation, die ihm das
Recht gibt, sich in diesem erlauchten Kreis als Gleichberechtigter aufzu-
halten. Und ebenso wohlberechnet ist die Handbewegung Karls V.: sie
lenkt das Auge des Beschauers unwillkürlich auf Ludwig hin, und der
halbgeöffnete Mund des Erzherzogs scheint zu sagen: „Seht, das ist unser
neuestes Familienmitglied, unser jüngster Bruder!" Auch daß Maria von
Burgund, nach der Urkunde vom 20. Juli Ludwigs „Adoptivmutter", gerade
hinter den Ungarnprinzen gestellt ist, geschah vielleicht nicht ohne Absicht.
Sie steht gewissermaßen schützend hinter dem Kinde und sieht frommen
Blickes nach aufwärts, wie wenn sie eben ein Gebet für dasselbe zum Himmel
senden würde. Der kleine König aber schaut mit stolzer Gelassenheit zur
Seite, als fühlte er, daß die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet sei.
Die Ausstellung der Adoptionsurkunde ist nach dem Wunsch des
Kaisers als strengstes diplomatisches Geheimnis behandelt worden; erst
nach dem Tode Maximilians im Jahre X519 drang die Kunde von ihrer
Existenz in die Öffentlichkeit, als Ludwig unter Berufung auf diese
„Begnadung" seine Ansprüche auf die deutsche Kaiserkrone geltend
machen wollte. Da aber der Kaiser selbst niemals ernstlich beabsichtigt
hatte. die in jenem Dokument übernommenen Verpüichtungen auch
wirklich einzuhalten? - betrieb er doch schon 1518 am Augsburger Reichs-
tage mit allem Nachdruck die Wahl seines Enkels Karl zum deutschen
Kaiser -, so erwies sich die Ausfertigung des Adoptionsbriefes letzten Endes
als diplomatisches Scheinmanöver und die Urkunde vorn 20. Juli 1515 als
wertloses Stück Papier. Dementsprechend dürfte auch das bei Strigel in
Auftrag gegebene Gruppenbildnis im Grunde nur für eine Augenblicks-
wirkung berechnet gewesen sein und es wird dem angestrebten Zweck, dem
Ehrgeiz der ungarischen Königsfamilie zu schmeicheln, genügt haben, wenn
Strigel noch während des Kongresses den versammelten Fürstlichkeiten
den ersten Entwurf dieses Gemäldes, zu dem er vom Kaiser selbst die
nötigen Direktiven empfangen, vorgelegt hat. Auch das wohlgelungene
Konterfei Maximilians und des kleinen Ludwig, die Vorstudien" für die
i Vgl. Ulmanu, Kaiser Maximilian L, Band z, pag. 550: „Ueber die staatsrechtliche Unsinnigkeit
dieses sicher nur als prunkvolles Schaugericht aufgetragenen Stückes ist kein Wort zu verlieren"; pag. 55x:
„Max hat trotz seiner gegentheiligen Behauptung sicher nie ernsthaft daran gedacht, die Kurfürsten in' dem
gedachten Sinn (nämlich für die Wahl Ludwigs von Ungarn) zu bearbeiten."
""' Dr. F. X. Weizinger hat in seiner jüngst erschienenen Arbeit „Die Malerfamilie der ,Stn'gel' in der
ehemals freien Reichsstadt Memmingen" (Festschrift des Münchener Altertums-Vereins zur Erinnerung an das
5ojährige jubiläum, München, H. Stobbe xgxq) auf pag. x41 von dem Einzelporträt Ludwigs II. von Ungarn
in der kaiserlichen Gemäldegalerie behauptet, daß es „genau nach dem Familienbild gemalt sei mit Abänderung
des Kostüms". Wie aus meinen obigen Darlegungen hervorgeht, ist gerade das Umgekehrte der Fall. Aber auch