Der zweite Absatz der Inschrift beschäftigt sich mit der Persönlichkeit
und dem Alter der Dargestellten. Sebastian Felix, von dem die Inschrift
sagt, daß er „annum agebat etatis quintum decimum", war am I4. Jänner
1505 geboren? hatte also damals das r 5. Lebensjahr schon überschritten,
während sein als zwölfjährig bezeichneter jüngerer Bruder (geboren am
6. Dezember 1508),?" das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Bei
Cuspinian und seiner Gattin sind uns die Geburtsdaten unbekannt, weshalb
sich nicht beurteilen läßt, inwieweit die Angaben der Inschrift genauzu-
nehmen sind.
Von größtem Interesse ist der dritte Absatz, der von einer „prima
tabula" Kunde gibt, welche die Bildnisse des Kaisers Maximilian, Marias von
Burgund, Philipps von Kastilien, Kaiser Karls V., Erzherzog Ferdinands
und König Ludwigs von Ungarn vereinigt. Bode hat auf Grund dieser
Beschreibung die „erste Tafel" sofort mit dem im Wiener Hofmuseum
befindlichen Gruppenporträt der Familie Kaiser Maximilians (siehe Abb. 9)
identiüziertflf" dessen Entstehung wir oben auf den Wiener Kongreß zurück-
geführt haben. Nun lernen wir dasselbe Bildi- auch als eine Art Gegenstück
zum Cuspinian-Porträt kennen, das jener „prima tabula" gegenüber konse-
quenterweise als „altera tabula" aufzufassen ist, also in irgend einem Bei-
ordnungsverhältnis zu jener stand. Daß die beiden Bilder wirklich als
Pendants gedacht waren, zeigt nicht nur die fast völlige Übereinstimmung
in den MaßenJ-T sondern auch die ganz analoge Komposition. Hier wie dort
ist das Familienoberhaupt in die linke Ecke gerückt und mit den beiden
Knaben zu einer festen Gruppe verbunden, zu welcher die weibliche Figur
den rechten Gegenpol bildet. Auf beiden Bildern ist die ganze Familie hinter
einer niederen Brüstung postiert und als zweite Horizontale im Hintergrund
ein schmaler Wasserstreifen in Kopfhöhe angesetzt, während die Vertikale
in dem einen Falle durch den Teppich, im andern Falle durch den Baum-
stamm betont wird.
Ist das Maximiliansche Gruppenporträt mehr auf repräsentative Wirkung
berechnet, so erscheint das Cuspinian-Bild bloß für den engsten Familienkreis
bestimmt, da Cuspinian darauf weder als Arzt, Gelehrter oder Staatsmann,
"' Vgl. das Tagebuch Cuspinians, herausgegeben von H. Anltwicz in den Mitteilungen des Instituts für
österreichische Geschichtsforschung, XXX. Band (1909), pag. 294: "1505, januar 14: Mane 110;; ßtn nach," mius
meus Sebastianus, quem deus foveat et custodiat."
"f Vgl. Cuspinians Tagebuch. l. c., pag. 300: „1508, December 5: Mane hora 71' paulo post natus est
mihi filius Leopoldus Nicolaus Crisostomus."
"i: Jahrbuch der königlich preussischen Kunstsammlungen, II. Band, pag. 56.
1- Der Baldass'schen Annahme (l. c., pag. 276). daß das heute im Hofmuseum beßndliche kaiserliche
Familienbild eventuell auch eine für Cuspinian angefertigte eigenhändige Replik Strigels nach einem jetzt ver-
lcrenen, flir den Kaiser bestimmten Original sein könnte, möchte ich mit Rücksicht auf die von mir auf pag. t 1
dargelegten Umstände nicht heipdichten, sondern an der von Baldass gleichfalls schon in Betracht gezogenen
Möglichkeit festhalten, daß das ursprünglich für den Kaiser gemalte Original noch vor 1520 auf irgend eine
Weise in den Besitz Cuspinians gelangt sei.
H- Die „Familie Kaiser Maximilians" mißt dem Galeriekatalog von 19u7 (pag. 316, Nr. 1425) zufolge
73 Zentimeter in der Höhe und 6x Zentimeter in der Breite. Die von mir festgestellten Maße der „Familie Cus-
pinian" sind 71 Zentimeter Höhe und 6:": Zentimeter Breite. Die geringfügige Differenz im Format der beiden
Bilder konnte durch entsprechende Rahmen leicht ausgeglichen werden.