Gestalt.
Die letzte dieser dekorativen Instrumentierungen für die Reinhardt-Bühne waren von
Professor Alfred Roller und sie galt Hofmannsthals Drama „Ödipus und die Sphinx".
Hier wurde sehr rein und konsequent auf alles naturnachahmende verzichtet und
einzig darauf ausgegangen, mit Farben, Flächen, Proportionswirkungen für das Auge die
dem Vorgang gemäßen Assoziationen hervorzurufen.
Roller berührte sich hier oft mit Craigh, so wenn er die Szene zwischen der alten
und der jungen Königin auf dem Hintergrund vor grau-violetten Faltenvorhängen spielen
läßt, auf die durch eine schmale steinerne Pforte von links ein Licht fällt. Durch diesen
gleichsam unkörperlichen Rahmen aus Licht- und Farbenwellen wird der Dialog ganz in
die Atmosphäre der Seele getaucht. Die stärkere Suggestion ging aber von dem Bild der
Thebischen Volksszene aus. Sie begibt sich vor dem Königspalast. Statt vortäuschender
Architekturen wählte Roller die denkbar einfachste Formulierung. Er ließ an der linken
Seite nur die cyklopische Mauer mit der Pforte sichtbar werden, als großflächige graue
Wand und gegenüber dunkelgrün geballt gleichfalls eine Hächige Wand, ein stilisierter
Zypressenhain. Beide Flächen heben sich scharf von dem lichthellen gespannten
Himmelshorizont ab, und zwischen beiden wogt rhythmisch, dunkel gegen den Himmel
gestellt, die lebendige Masse der Menge.
Von jener unheimlich lastenden Stimmung im Reich des starren Gesteins, im letzten
Akt, „wo nur die großen Formen dem Auge sichtbar werden", ward schon gesprochen.
Die Rollersche Wirksamkeit, die mit konstruktiver Erkenntnis aus den Möglichkeiten
und Bedingungen des Bühnenorganismus mit seiner Künstlichkeit eine Illusionskunst ent-
wickelt statt das Theater in die Verhältnisse der Wirklichkeit mühsam und unvollkommen
einzuzwingen, wird gewiß noch fruchtbar wirken. Sie stammt aus der gleichen Vorstellung,
die als eine Art „Moral" in unserem Kunstgewerbe heute leitend ist oder doch sein sollte z
jeder Aufgabe die ihr gemäße Formulierung aus ihrem eigenen Wesen abzuleiten, nicht
zu vertuschen oder mit Schmuck zu verdecken, sondern zu bekennen; aus der Not die
Tugend zu machen; von keinem Stoff etwas zu verlangen, was nicht in seinen Fähigkeiten
liegt, dafür aber gerade durch die starke Betonung seiner wesentlichen Eigenschaften
seine charakteristische Schönheit darzustellen.
Bei diesem Bühnenthema muß noch ein in Berlin lebender Künstler genannt werden,
der zwar nicht wie Roller so auf die Generalidee der Szenenreformation ausgeht, sondern
mehr spezialisierend im Entwerfen des einzelnen Biihnenbildes geschmack- und stimmungs-
feine Wirkungen erreicht.
Das ist Karl Walser. Er hat für Reinhardt manches gemacht, so die gelungenen
ironisch-stilisierten Bilder und Figurinen zu Nestroys „]ux", für Brahm komponierte er
zu Schnitzlers „Ruf des Lebens" die Wald- und Berglandschaft, kapriziös überschnitten
vom weißen Lattenwerk des Gartenzauns. Besonders gelungene waren seine letzten
dekorativen Arbeiten für Gregors Komische Oper. Zum Don Pasquale das Empirezimmer
des podagrischen alten Freiers mit den magisterhaft gelahrten Ahnenbildern in Zopf und
Perücke über der Vertäfelung, dem hohen Obelisk-Ofen mit der Umenvase darauf; dann
die weiße Halle mit dem Durchblick zwischen Säulengeländer auf das grüne Wipfelmeer
der Kastanien mit ihren weißblühenden Kerzen, aus dem sich wieder das schwarze zier-
liche Filigranwerk des Parkportals mit seiner Laternenkrone heraushob; den Stelldichein-
Pavillon, weiß mit Stacketwerk bekleidet, schimmemd hell im Mondlicht und feurig über-
Hackert vom brennenden Rot seiner Vorhänge.
Ferner die Bilder zu HolTmanns Erzählungen.
Dem Barkarolen-Akt gab er Canale Grande- und Palazzo-Feststimmung, eine andere
Variation des unerschöpflichen Themas Venedig. Unter blauem Himmel. im girlanden-
überhangenen steinernen Säulengang, über breiten Treppen, die zur Gondel führen,
spielt er.