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Die Begriffe des Plemstvo und Bratstvo, welche einst die Elemente des gesell
schaftlichen Lebens und der staatlichen Organisation der Südslaven bildeten, haben von
ihrer ursprünglichen Schärfe viel eingebüßt, bestehen aber, wenn auch ohne jede praktische
Consequenz, als eine alte Einrichtung in den südlichen Bezirken der Hercegovina, während
sich in Bosnien höchstens die Erinnerung daran erhalten hat.
Deutlicher haben sich die Hausgenossenschaften, welche die einzelnen Familien
bilden, erhalten. Die altererbte patriarchalische Lebensweise brachte es mit sich, daß
einzelne Familienbestünde so lange als möglich zusammenhielten. Ein Lostrcnnen
von der Familiengcmeinschaft galt immer als etwas Mißliches und wird durch
passende Aussprüche als solches bezeichnet: „Alleinsein ist Armut" (inolenütina —
siromaKliira), oder „Wehe dem Einsamen auch im Überflüsse" (ünleu sninui na
va^anri), de,m nur „ein einiges Haus erwirbt Vermögen" (2aäru/.na üuoa tooo
irnuöa).
Die Hansgenossenschaften bilden jede für sich ein abgeschlossenes Gemeinwesen und
vereinigen oft mehrere Generationen und Seitenlinien unter einem Dache. Über fte fuhrt
das Haupt des Hauses, der starjosina oder äornaöin (Älteste, Hausherr) ein fast
unumschränktes Regiment. Solch ein großer Familienbestand, der den bezeichnenden
Namen ruräruZa (Vereinigung) oder veliiea üuüa (großes Haus) führt und oft an
die fünfzig Mitglieder zählte, konnte nur dann prosperiren, wenn die Grenze zwischen
dem Befehlenden und den Gehorchenden strenge gezogen war, und Jeder auf dem ihm
anvertrauten Posten ausharrte. Der Jüngere mußte dem Älteren aufs Wort gehorchen,
die Weiber den Männern, und alle insgesammt dem Starjesina als Oberhaupt. Dem
Starjesina zur Seite steht der eoban-kaSa (der Herdenhauptmann), welcher die
Oberaufsicht über sämmtliches Vieh führt, für dessen Unterbringung sorgt und dessen
Verwendung bestimmt. Handelt es sich um Kauf oder Verkauf von Herden, so obliegt
dieses Geschäft nach vorheriger Rücksprache mit dem Chef des Hauses dem Eobanbasa,
welcher auch die Disciplinargewalt über die ihm unterstehenden Hirten ausübt. So lange
Bosnien noch keine fahrbaren Straßen und Bahnen besaß, gab es im Hause noch eine
dritte angesehene Charge, den leirick^i-ioasn (Frächter), welcher die Pferde zu über
wachen und Lastentransporte zu besorgen hatte, in freier Zeit Speditionsgeschäfte
abschließen konnte und oft wochenlang dem Hause fernblieb, um mit seinen Tragthieren
dem Verdienst nachzugehen. Über alle Erträgnisse der Wirthschaft hatte aber nur der
Starjesina zu verfügen; er übernahm das Geld, er bezahlte die Ausgaben, er vertrat die
Familie der Öffentlichkeit und der Behörde gegenüber.
Gewöhnlich ist der Älteste im Hause Starjesina, doch kommt es auch häufig
vor, daß jüngeren Familiengliedern durch besondere Wahl diese Würde zu Theil wird.