Urkunden über Antonello hat er sich nicht gekümmert, nur um die Bilder, die diesem von
der Tradition zugeschrieben werden: diese sah er an, prüfte er, verglich er, schied das
Gemeinsame aus, gelangte dadurch zur Charakteristik eines eigenartigen bedeutenden
Künstlers; ob die Bilder mit Recht oder Unrecht einem Mann, der jenen Namen trug,
zugeschrieben werden, daran lag ihm wenig. wie er denn zuletzt überhaupt den Wechsel
in den Zuschreibungen hervorragender Kunstwerke gar nicht mehr verfolgte, über die
„Attribuzler" und ihre so oft recht vergebliche Mühe spottete." Und so wie er als Historiker
seine Aussagen und Urteile sehr häufig verbringt, ohne zu ihrer Begründung irgend eine
Belegstelle zu geben, so weist er mitunter Kunstwerke ohne einen urkundlichen Anhalt
bloß nach seinem Gefühl unbedenklich einem bestimmten Künstler zu oder interpretiert
etwas in sie hinein. Für seine Auffassung des Konstantin bringt er v darin haben ja seine
Kritiker recht - kein einziges Beweisstück bei und wenn er ein Porträt der Munizipal-
galerie in Mailand ohne weiteres eben jenem Antonello zuschreibt und dies bloß damit
begründet, daß „keine andere Attribution möglich ist", oder in der Madonna di S. Girolamo
des Correggio in Parma den Künstler eine „neue Rechnung" (die der moralischen Äquiva-
lente an Stelle der früheren malerischen) beginnen läßt und hinzusetzt: ob sich Correggio
oder sonst ein Meister hierüber Rechenschaft gegeben, wisse er nicht: er habe nichts vor-
zubringen als seine Vermutung, so wird der exakte Forscher das Recht haben, sich damit
ebenso nicht zufrieden zu geben wie die Historiker, die seine Auffassung des Konstantin
abgelehnt haben. Aber nicht nur daß er seine Quellen nie in den Archiven suchte, sondern
auf Straßen und Plätzen, in Kirchen und Palästen, in Museen und Galerien, er stand auch
diesen mit einer souveränen Freiheit gegenüber, die bisweilen hart an Willkür streifte.
Der Vorwurf, daß er die einschlägige Literatur gar nicht oder doch zu wenig herangezogen
hat, trifft ihn hier ebenso wie dort: seinen Vasari kannte er wohl sehr genau und noch
wenige Wochen vor seinem Tode fand ihn ein Besucher über der Lektüre alter „Vite de'
pittori" - „die Katze läßt das Mausen nicht" sagte er - aber neuere Arbeiten hat er
eigentlich nur ausnahmsweise herangezogen; es fällt einem ordentlich auf, wenn er zum
Beispiel in der Studie über das Altarbild einmal eine Monographie wie die von Cornelius
über Jacopo della Quercia zitiert; in den „Erinnerungen an Rubens" findet sich von neuerer
Literatur nur Gurlitts „Geschichte des Barockstiles", Fromentins „Maitres d'autrefois",
das Waagensche Textheft zum Rubens-Album, Frimmels „Handbuch der Gemäldekunde"
und Woermanns „Geschichte der Malerei" - also fast durchaus Nachschlagebücher k
in den Fußnoten genannt. Es ist ja wahr, er kannte viel mehr als er nannte, aber immer-
hin ist da von einer „Beherrschung der Literatur" ebensowenig die Rede wie etwa in
seiner griechischen Kulturgeschichte. Nicht aus Geringschätzung kümmerte er sich so
wenig um sie, sondern weil ihm das Studium der Denkmäler, das ihm unendlich wichtiger
schien, dafür keine Zeit ließ. Dazu kommt noch, daß ihm der Trieb, einen Gegenstand
völlig zu erschöpfen, der so manchen Gelehrten sein ganzes Leben in Untersuchungen über
eine kleine Spanne Zeit oder gar eine einzelne Persönlichkeit hinbringen läßt, ganz fremd
war. Seine „Zeit Kaiser Konstantins" wie seine „Kultur der Renaissance in Italien" hat
ihn ein jedes nicht länger als zwei Jahre in Anspruch genommen: ein Jahr für die Quellen-
lektüre, ein zweites für die Ausarbeitung. Mehr Zeit nahm er sich eingestandenermaßen
überhaupt nicht für denselben Vorwurf: zwanzig Jahre über einem Leben Raffaels zu
studieren wäre ihm bei allem Enthusiasmus für diesen Künstler ebenso unmöglich gewesen
wie über einem Leben Napoleons. Dazu war sein Interesse zu vielseitig, seine Neugier
auf zuviel Dinge und Menschen gerichtet. Und so sind denn auch alle seine Schriften über
Kunst, vom „Cicerone" bis zu den „Erinnerungen an Rubens", in verhältnismäßig kurzer
Zeit entstanden und was er einmal abgeschlossen hatte, auf das grilT er fast nie wieder
zurück. Eine Ausnahme wie die zweite Auflage der „Zeit Konstantihs" gibt es in seiner
Kunstschriftstellerei nicht; vom ,.Cicerone" hat er bekanntlich schon die Besorgung der
zweiten und dann aller folgenden Auflagen anderen überlassen und wenn er in dem
' Nach Wölfflin im „Repertorium für Kunstwissenschafl", 1897, Seite 344.